Geisel dieser Welt (8)

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Als Eden mit Nero am Fuße des Leuchtturmes stand und dessen Blick stur auf der quietschenden Schaukel lag und sie seine Aufmerksamkeit mit keiner ihrer Silben kaufen konnte, ahnte sie, dass sie ihn längst im Wald verloren hatte. Nicht nur der kühle Küstenwind ließ sie erschaudern. So einsam wie sie sich einst in der Welt der Menschen fühlte, kurz bevor sie den Entschluss fasste, sich selbst das Leben zu nehmen, so desorientiert wirkte Nero in jenem Moment. Das Schmerzhafteste an diesem Anblick war, dass sie Mitschuld an seinem Zustand trug. Sie war es doch, die ihm mehrfach das Messer in sein Herz rammte und ihn qualvoll ausbluten ließ. Sie war es doch, die ihm all seine Hoffnungen zunichtegemacht hatte.

„Nero?"

Sein leerer Blick war immer noch auf den Abhang gerichtet.

„Gehen wir nach Hause?"

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er seinen Nacken in Bewegung setzte und ihr zunickte. Er gab ihr nicht die Antwort, die ihm sein Herz diktierte. Sie wusste, dass er wieder alles sagen und machen würde, nur um sie glücklich zu machen. Aber der Drang, ihr den Himmel auf Erden zurückzubringen, resultierte nicht mehr aufgrund seiner Liebe zu ihr, sondern seiner Gnade, seinem Mitleid jedem Geschöpf gegenüber, das er verletzt am Wegesrand auffand. Die Zeit, die er an ihre halbherzige Liebe verschwendete, konnte sie unmöglich wiedergutmachen. Dennoch könnte er versuchen, wieder Seiten an ihr zu finden, die er ansatzweise so lieben könnte wie zuvor. Wenn ihm dies nicht gelingen könnte, würde er noch weiter verzweifeln und verbittern, bis er anfangen würde, jede Zelle ihres Körpers zu verachten. Sie hatte ihm die Gabe zu lieben entrissen, weswegen es nicht mehr als fair war, wenn sie nun Leidtragende seiner Kälte werde.

War das nun Edens glorreiche Zukunft? Vergebens auf die Liebe zu warten, die sie jahrhundertelang ignorierte und versäumte, diese in Empfang zu nehmen? Ihr Glück wurde ihr auf dem Silbertablett serviert und sie hatte es verpasst.

„Willst du mich nicht mehr bei dir haben?", fragte sie.

Sie musste ihn wirklich in Erklärungsnot bringen, bis er sie wieder ansehen konnte. Die grauen Augen zeugten zugleich von seiner Aufrichtigkeit und Unsicherheit.

„Doch. Wieso sollte ich das nicht wollen?"

„Du hast jeden Grund, mich zu hassen", sagte sie. „Ich bin nicht mehr die Frau, die du liebst. Ich kann verstehen, wenn du mich nicht mehr sehen möchtest."

Die entsteigenden Wolken vor ihrem Mund verschleierten ihr verzweifeltes Gesicht. Seine Hände berührten ihre schwachen Schultern.

„Was auch immer vorgefallen ist ...", sagte er. „Ich werde dich nicht zurücklassen. Nicht in einer Welt, die so grausam sein kann."

Sie entwich seinen wärmenden Händen und ging einen Schritt zurück.

„Warum bist du nur so zu mir?", fragte sie. „Ich hatte mich benommen wie er ... Ich hatte dir nie das Gefühl gegeben, von ganzem Herzen geliebt zu werden, obwohl du es so sehr verdient hättest."

Er sah sie an. „Wir hatten unsere schönen Zeiten, Eden. Rede nicht so, als hätte es diese niemals gegeben. Sie liegen lange zurück, aber sie haben existiert. Sonst hätte der Gedanke an dich mich nicht für so lange Zeit erfüllen können."

„Lange her, nicht?", fragte sie unter einem traurigen Lächeln. Sie war sich seiner Ehrlichkeit bewusst, aber ihr fiel ebenfalls auf, dass er nur von der Vergangenheit sprach. Er suchte bereits nach Ausreden, warum er sie noch lieben konnte. Die Flucht in die heile Vergangenheit war der bequemste Ausweg. Sie könnte ihn niemals mehr glücklich machen. „Du warst wohl auch überrascht, als du sie gesehen hattest, oder?"

Nero musste erst gar nicht nachfragen, ob sie Celes meinte. Bei der Begegnung im Wald war Eden von Eifersucht zerfressen, doch als sie nun über ihre Konkurrentin sprach, schimmerte plötzlich Verständnis durch.

„Du willst sie retten, oder?", fragte sie. „Weil dir niemand helfen konnte, willst du nun für jemand anderen da sein, der ähnlich verloren ist wie du. Du willst sie vor jemandem wie mir bewahren."

Nero zog die Mundwinkel nach oben. „Eden, bitte beruhige dich. Du redest gerade so, als wärst du ein Monster. Wir wissen beide, dass du das nicht bist."

„Ein Engel bin ich für dich aber auch nicht gewesen", sagte sie unter einem traurigen Lächeln. „Hätte ich früher jemanden wie dich gehabt, wäre ich wohl nie so verkommen wie Lazarus." Sie streckte ihre Hand nach ihm aus. „Lass mich alles wieder gutmachen."

Als sie ihm ihre Hand reichte, warf er einen verstohlenen Blick in Richtung der Leuchtturmspitze. Ihr Lächeln war unverändert, als er sich wieder ihrem hoffnungsvollen Angebot widmete. Wie lange er auch zögerte, sollten auch weitere Jahrhunderte vergehen, ihre bleiche Hand würde geduldig auf seine warten.

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now