Ein Stück des Himmels (3)

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Während der arbeitsscheue Dorfpolizist Helmut sich mit Pedro, Aniela und der mittlerweile rehabilitierten Constanze unterhielt, stand Fiona geistesabwesend am Rande des Gespräches. Die Übelkeit in ihrer Bauchgegend hatte sich mittlerweile derart verstärkt, dass es ihr kaum noch möglich war zu reden. Die Kopfschmerzen und das mit einhergehende Schwindelgefühl taten ihr übriges zu Fionas Sprachlosigkeit.

Nicht einmal die aufschwingende Tür der Maurier-Residenz konnte ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken. Unter normalen Umständen hätte sie sich sofort erkundigt, ob Nero die Villa lebendig verlassen konnte, doch Fionas geistige Abwesenheit ließ sie an Ort und Stelle verweilen. Dafür sahen die übrigen Anwesenden umso gespannter zu der sich öffnenden Tür. Die Enttäuschung war groß, als keine blutüberströmte Gestalt mit einem funkelnden Kristall in den Händen aus dem Haus trat.

„Hallo Marlene", sagte Aniela amüsiert.

Die gebrechliche alte Dame trat mit langsamen Schritten aus der Residenz. Ihr Kleid war aufgrund der zahlreichen Strapazen, beispielsweise das Jonglieren von Nero auf ihrem Rücken, rumpelig und an mehreren Stellen mit kleineren Blutspritzern versehen. Ihre mit Falten verzierten Mundwinkel hingen tiefer als bei einer Bulldogge. „Wo steckt Vincenz? Wo hat sich der Lausbube versteckt?"

„Dein Neffe war bis eben noch hier", erwiderte Aniela. „Er bekam einen Anruf und war daraufhin verschwunden. Du müsstest dich nur kurz gedulden."

„Der Bube hat nur Flausen im Kopf", sagte Tante Marlene. „Wie kann er sich um so eine Uhrzeit mit einem Freund verabreden? Ich predige ihm immer, dass ein junger Mann in seinem Alter acht Stunden Schlaf benötigt!"

Pedro zeigte auf die Blutspritzer auf Marlenes Kleid. Mit einem Grinsen widmete er sich dem Dorfpolizisten. „Woher wohl die Blutspritzer stammen?"

„Schaut euch mein Kleid an!", raunzte Marlene. „Woher die stammen, das kann ich dir sagen! Das ganze Haus sieht aus wie ein gottverdammter Gottesacker! Überall tote Männer und Frauen, die Wände verziert mit Blut und Gedärmen! Da musste ich mich kurz auf eine Couch setzen, nur um kurz durchzuatmen. Selbst dort war alles voller Blut!"

„Leichen? In der Villa? Das klingt nach Gefahr!" Pedro sah entsetzt zu Helmut herüber. „Schnell, Herr Polizist! Gehen Sie bitte nachschauen."

„Jetzt sagt nicht, ihr fallt auf das Geschwätz der dementen Dame hinein", sagte Helmut grinsend. „Ab einem bestimmten Alter brennen da oben ein paar Sicherungen durch. Später behauptet sie noch, ihren toten Ehemann zu sehen."

„Was für eine Unverschämtheit!", sagte Marlene und drohte mit ihrem Zeigefinger. „Bewegen sie sofort ihren faulen Arsch in das Gebäude! Dahinter stecken bestimmt dieser verdammte Kain und meine gierige Schwester."

„Deine Schwester?", fragte Pedro.

„Ja, Helena dieses gierige Stück ...", sagte Marlene. „Ich schäme mich so sehr, mit so einer Person verwandt zu sein. Ein Wunder, dass sie so einen lieben und netten Jungen in die Welt setzte. Es kann nur an meinem guten Einfluss liegen, dass Vincenz nicht seiner schrecklichen Mutter nachschlug."

„Wir reden von Helena Wachter?" Pedro machte große Augen. „Bedeutet das, Vincenzo ist der Erbe der Wachter AG? Der Kerl wird irgendwann mal diesen Edelschuppen erben?"

Marlene schloss die Augen und schüttelte bedauernd mit dem Kopf. „Wenige Jahre nach Vincenz Geburt verlor Helena den Verstand. Sie adoptierte aus Mitleid diesen missgebildeten Kain und nahm ihn in ihrer Familie auf. Vincenz und Kain waren damals im selben Alter, doch sie wollten sich nicht als Brüder anerkennen. Helena machte ihrem Ruf als schlechte Mutter alle Ehre und schenkte ihrem Adoptivsohn mehr Liebe, als ihr leiblicher Sohn je erfahren sollte. Jedes Weihnachten, an jedem Geburtstag übergab sie Kain ein größeres Geschenk als dem kleinen Vincenz. Wie an dem Weihnachten, als sie dem kleinen Bastard ein Spielzeugfeuerauto schenkte und der kleine Vincenz nur zwei neue Pullover bekam - in braun! Braune Pullover zu Weihnachten! Kein Wunder, dass er sich irgendwann von der Familie löste und versuchte, auf eigenen Beinen zu stehen. Irgendwann schloss er sich Tyrannis-Einheit an, woraufhin er von Helena enterbt wurde."

Bei dem Wort „Tyrannis-Einheit" sah Helmut unschuldig pfeifend in die andere Richtung.

„Und beide sind hinter dem Himmelsstein her", schlussfolgerte Pedro. „Also arbeitet Vincenz gegen seine eigene Mutter?"

„Ich kann es ihm nicht verübeln", sagte Marlene. „Wie kann eine Mutter nur ihr Kind auf diese Weise demütigen? Sie verwehrte ihm jegliche Liebe, aber schenkte diese wiederum einem anderen Kind. Das alles vor seinen unschuldigen Kinderaugen ... Kein Wunder, dass er Kain bis auf den Tod hasst."

Aniela, die Vincenz Geschichte zu oft hörte, sah gedankenverloren in den Wald hinein. „Er ist in den Wald hinein gerannt." Daraufhin grinste sie herausfordernd Helmut an. „Wie seine eigene Tante es gerade so schön sagte: Er ist ein Mitglied der gefährlichen Tyrannis-Einheit. Wäre das nicht die Gelegenheit, ihn festzunehmen?"

„Hm, bitte was?", fragte Helmut. „Ich habe gerade nicht zugehört."

Eden OdysseeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt