Die Versteigerung (1)

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Eine Reihe von Lampen blinkte in regelmäßigem Abstand auf. Wie eine hellgrüne Lichterkette beleuchtete die kleine graue Kiste die dunkelste Ecke der hohenheim'schen Residenz. Die mysteriöse Box hing wenige Zentimeter über dem Fußboden, direkt neben der Tür zum gemütlichen Wohnzimmer. Nero verschränkte seine Arme und betrachtete das Lichtspiel skeptisch.

„Und wegen dieser Kiste ist dieses Internet überall im Raum verteilt?", fragte er unsicher.

Pedro saß im Schneidersitz genau vor der Box und balancierte seinen Laptop auf den Knien. „Ja, das Internet ist in diesem Raum verteilt. Jemand hat das gesamte Internet genommen, es fein säuberlich zu klitzekleinen Molekülen verarbeitet und in deinem Haus verstreut."

„Und diese Funkstrahlen, die diese Box aussendet ... sind nicht irgendwie gefährlich?", fragte Nero weiter und wirkte überfordert.

„Nicht viel gefährlicher als dein Magnetismus, der mir das Blut aus dem Körper ziehen kann."

Voller Ehrfurcht ließ Nero die Lichterkombination nicht eine Sekunde aus den Augen. „Um uns herum schwirren also Unmengen an Daten, die von den Menschen ins Internet gestellt werden? Findest du das nicht unheimlich?"

Genervt schnaufend klappte Pedro seinen Laptop zu. „Ach, warum beschäftigen wir uns überhaupt mit diesem ominösen Internet? Wir könnten doch stattdessen einfach mit dem Blut fremder Menschen experimentieren."

Nero ließ von der kleinen Box ab und sah Pedro streng an. „Oder geschminkt über Friedhöfe schleichen ..."

„Immerhin tue ich nur so, als wäre ich eine sonderbare Kreatur", konterte Pedro mit ebenfalls strengem Blick. „Mit dir hingegen stimmt so einiges nicht."

Das giftige Blickduell der beiden Männer konnte nur durch ein Thema aufgelockert werden, welches bei beiden direkt gute Laune aufkommen ließ.

„Wo steckt eigentlich Fiona?", fragte der Graf plötzlich.

„Wo schon!?" Pedro deutete zur Treppe. „Sie sitzt wohl immer noch in ihrem Zimmer."

„Sie hat ihr Zimmer in den letzten drei Tagen ja nicht gerade oft verlassen", resümierte Nero. „Glaubst du, ich habe etwas Falsches gesagt? Ist sie vielleicht beleidigt?"

Pedro sah zur Decke und ließ die drei seit dem Umzug vergangenen Tage vor seinem inneren Auge Revue passieren. Während er viel Zeit im Flur verbrachte, um in dem altmodischen Haus Telefonleitungen zu legen und einen Internetzugang einzurichten, hatte er alle Geschehnisse im Überblick gehabt. Jedes Mal, wenn sich Nero im Wohnzimmer aufhielt, verkroch sich Fiona in ihr Zimmer, doch kaum war Nero aus dem Haus oder im Keller verschwunden, tauchte sie auf und unterhielt sich mit Pedro über ihr Lieblingsthema: Nero. Zusammen sah er sie und den Grafen allerhöchstens zufällig im selben Raum und wenn, dann floh Fiona auf schnellstem Weg zurück in ihr Zimmer. Auch wenn Nero in der Küche die Mahlzeiten für drei hungrige Mäuler zubereitete, ließ sie sich nicht blicken und wärmte sich das Essen unter fadenscheinigen Ausreden, wie, dass ihr übel sei oder sie ihren Schönheitsschlaf in die Länge strecken müsste, auf, wenn Nero nicht in der Nähe war. Die Mikrowelle war übrigens die erste Anschaffung, die Pedro für die Hohenheim-Residenz besorgt hatte. Aus irgendeinem Grund wollte Fiona den Grafen meiden und mit Pedro trotzdem über nichts anderes reden.

„Ich glaube, sie ist ganz schön verschossen in dich", resümierte er. „Wahrscheinlich geht sie dir nur aus dem Weg, um interessanter auf dich zu wirken. Du weißt schon ... was Frauen eben so tun, um uns Männer zu nerven."

„Sie kann unmöglich Gefühle für mich haben - sie kennt mich doch gar nicht", sagte Nero. „Sie sollte sich einen Mann in ihrem Alter suchen."

„Nero, ich werde versuchen, es mal vorsichtig auszudrücken..." Pedro holte tief Luft, ehe er leise flüsterte: „Fiona hat einen riesengroßen Dachschaden. Du hast vielleicht unzählige Kriege überlebt, aber glaub mir, diese Irre wird dich ins Grab bringen."

„Ach, rede nicht so gemein über sie", sagte Nero nun grinsend. „Sie ist nur etwas ... eigen. Sie wird noch früh genug verstehen, dass sie und ich aus zwei verschiedenen Welten stammen."

„Darauf würde ich nicht wetten wollen", erwiderte Pedro.

Wenn man vom Teufel spricht - gerade ging die Tür zu Fionas Zimmer ruckartig auf, ehe sie mit einem Knall wieder zufiel. Sofort blickten die Männer zur Treppe und warteten gespannt, wie Fiona ihre Auferstehung von den Toten inszenieren würde - schon als sie an der obersten Treppenstufe stehen blieb, wurden bereits jegliche Erwartungen übertroffen. Sie trug einen perlweißen Rock, darüber einen ebenso weißen Blazer mit gerafften Armabschlüssen, die ihr gerade so bis über ihre Ellbogen gingen. Unter ihrem Blazer trug sie eine marineblaue Bluse mit einem perlenbesetzten V-Ausschnitt. Ihre schulterlangen braunen Haare waren diesmal geglättet, kaschiert von einem riesigen, schneeweißen Sonnenhut. Wieder hatte sie ihre Lippen knallrot angemalt und ihre schwarz geschminkten Augenlider wirkten, als hätte sie sich von Pedros Schminkkünsten inspirieren lassen. Wie eine Diva stand sie an der obersten Treppenstufe, ließ den Männern allerdings kaum Zeit sie lange zu bewundern. Gut gelaunt lief sie die Treppe hinunter, hielt sich am Geländer aus Buchenholz fest und schwang sich, sobald sie am Fuße der Treppe angekommen war, in einem hohen Bogen über die letzte Stufe, um gleich darauf auf dem Fußboden zu landen.

Beide Männer starrten sie entgeistert an. Eine Duftwolke wehte ihnen entgegen, vereinte die Düfte von frisch gepressten Orangen, Maiglöckchen und Veilchen.

„Warum habt ihr euch denn noch nicht rausgeputzt?", fragte Fiona irritiert.

„Für was denn, wenn ich fragen darf?", Pedro fühlte sich mal wieder, als hätte er etwas verpasst. „Bestehen für den hohenheim'schen Flur jetzt schon Kleidungsvorschriften?"

„Heute ist doch die Versteigerung", sagte sie und blickte zu Nero. „So steht es zumindest in deinem Kalender."

„Du hast in meinem Kalender geschnüffelt?", fragte Nero.

„Ja", sagte Fiona so selbstverständlich, als wäre es das Normalste der Welt. „Müssten wir nicht längst los?"

„Also ..." Nero räusperte sich und sah noch einmal zu Pedro, von dem er in irgendeiner Form Unterstützung erwartete, die zu seinem Bedauern jedoch ausblieb, „eigentlich hatte ich vor ... alleine dorthin zu gehen."

„Nein, musst du nicht!", sagte Fiona strahlend. „Nun hast du ja uns. Pedro und ich begleiten dich doch gern."

„Ausgeschlossen", widersprach dieser. „Jetzt, da die W-LAN-Verbindung stabil ist, kann ich endlich von meinem Zimmer aus meine Serien streamen. Ich werde mich heute keinen Zentimeter mehr aus dem Haus bewegen. Keinen einzigen!"

„Was hat er da gerade gesagt?", fragte Nero überfordert.

„Das war Pedros die ganze Zeit unterdrückter Hilfeschrei", erklärte Fiona. „In Wahrheit würde er gerne mal was mit uns unternehmen. Tu ihm doch den Gefallen, und nimm ihn mal mit vor die Tür, um neue Menschen kennenzulernen. Ich kann euch begleiten und Pedro zur Seite stehen. Das Eis zu brechen ist meine Spezialität!"

„Und das war gerade Fionas die ganze Zeit unterdrückter Hilfeschrei", informierte Pedro. „In Wahrheit ist es ihr scheißegal, ob ich mitkomme oder nicht - Hauptsache du nimmst sie mit zu dieser beschissenen Veranstaltung. Tu ihr bitte den Gefallen und verbring Zeit mit ihr, bevor sie uns alle weiter in den Wahnsinn treibt."

Nero hätte die Veranstaltung am liebsten still hinter sich gebracht, doch würde er Fiona nun stehen lassen, würde sie sich die nächsten Tage garantiert noch sonderbarer verhalten. Es konnte wohl nicht schaden, ihr eine kleine Freude zu machen. So drehte er sich zu Pedro und sagte: „Fiona hat recht. Du hättest aber ruhig schon eher fragen können. Gerne gehe ich mit dir zu der Veranstaltung, damit du auch mal an die frische Luft kommst. Vielleicht finden wir für dich ja eine tolle Freundin ... oder einen tollen Freund."

„Bitte!?" Pedro zog die Augenbrauen hoch.

„Das wird schon werden", sagte Fiona aufmunternd und zwinkerte Pedro zu. „Ich bin sicher, du wirst heute den Spaß deines Lebens haben."

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now