Omega Station (20)

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C - Kuppel

Für einen kurzen Moment war Helmuts Herz stehengeblieben. Die kalte Hand, die ihn gepackt hatte, entpuppte sich zu seiner Erleichterung als eine raue Männerpranke und nicht als filigrane Hand einer schwarzen Witwe.

„Bist du des Wahnsinns?", flüsterte Nero und deutete auf den Moskito.

Der Polizeihauptkommissar hielt den winzigen Revolver immer noch eisern umklammert. Zumindest schien es so. Insgeheim hatte er sich nichts Sehnlicheres gewünscht, als dass ihn jemand von seinem lebensmüden Vorhaben abhielt.

„Wenn es so weiter geht, werden sie uns alle umbringen. Wir müssen etwas unternehmen!"

„Es wird niemand mehr sterben", versicherte ihm der Graf und streckte seine Hand aus. „Kannst du mir bitte den Revolver aushändigen?"

Ohne zu zögern, überreichte Helmut das geliebte Erbstück. So ähnlich wie der Wachmann, der seine Waffe so schnell wie möglich Kain zuwarf, wollte Helmut die Verantwortung abgeben. Sollte von nun an etwas schiefgehen, so könnte der Polizist behaupten, ihm wurde seine einzige Waffe entwendet. Im anderen Fall, sollte Nero erfolgreich den Helden mimen, könnte Helmut behaupten, all dies war nur möglich, da er unter lebensfeindlichen Bedingungen den Moskito in die Zentrale geschleust hatte.

Kaum hatte er den Moskito weitergegeben, wurde dieser sogleich Fiona überreicht, die einen Meter neben dem Grafen lag.

Überfordert nahm sie den Minirevolver an. „Was soll ich damit tun? Du weißt, ich habe davon keine Ahnung."

„Gerade deswegen. Du kannst damit keinen Unsinn anstellen ... im Gegensatz zu Helmut."

Als eine schwarze Witwe an ihnen vorbeimarschierte, stoppten sie schnell ihr Geflüster. Erst als die bewaffnete Söldnerin vorbeigezogen war, drehte Fiona wieder ihren Kopf in seine Richtung. „Ich mag diese Frauen nicht. Man erkennt ihr Gesicht nicht und sie reden kein einziges Wort. Willst du endlich etwas gegen sie unternehmen?"

„Gib mir zwei Stück", sagte Nero trocken. „Wird für sie reichen."

Sofort griff Fiona zwischen ihre Beine. Wie Helmut war sie zu Recht davon ausgegangen, dass die Wachleute nicht auf die Idee kommen würden, ihr unter den Rock zu schauen. Mit Klebstreifen hatte sie insgesamt vier Blutkonserven an ihre Oberschenkel geklebt - auch nur für den Fall der Fälle. Sie nahm jeweils einen Kunststoffbeutel von einem ihrer Beine hervor und überreichte ihn unauffällig ihrem starken Begleiter. Sofort legte er diese unter seinen Oberkörper, um sie vor der Patrouille rechtzeitig zu verstecken.

Währenddessen hatte sich Aniela das nächste Vorstandsmitglied zurechtgelegt. Dieser sprach bereits sein letztes Gebet, als er den Sturmgewehrlauf an seinem Hinterkopf spürte.

„Wollt ihr nun verhandeln?", fragte Aniela und blickte zur Kamera herauf.

Die Aufmerksamkeit aller galt wieder nur Aniela und ihrer Geisel. Niemand beachtete die Blutlache, die ihr erstes Opfer hinterlassen hatte. Der blutrote See schien zu brodeln, kleine Luftbläschen zerplatzten an der Oberfläche.

Gerade als sich Anielas Finger um den Abzug legten, geschah das Unerwartete: Das rote Licht über den Türen begann wieder zu kreisen. Die Glastüren öffneten sich.

„Du hast gewonnen."

Walburgas Durchsage ließ die Gäste kurz aufatmen. Noch erleichterter war das verschonte Vorstandsmitglied, als er nicht mehr das tödliche Gewehr in seinem Nacken spürte.

„Behaltet sie im Auge", sagte Aniela zu ihren schwarzen Witwen und deutete auf die übrigen Vorstandsmitglieder. Sie war gerade den ersten Meter in Richtung Ausgang gelaufen, als sie aus dem Augenwinkel etwas Ungewöhnliches sah. Sofort sprang sie auf den Boden, als eine blutrote Welle in ihre Richtung stürmte. Aus der letzten Ecke des Raumes hatte sich ein blutroter Nebel aufgetan, eine Ansammlung aus mehreren Blutpartikeln, die sich wild im Kreis drehten. Sie verdichteten sich zu festen Schwaden, die durch den Raum schwebten. Das Sichtfeld aller Beteiligten im Raum färbte sich blutrot, sodass es den Beteiligten kaum möglich war, die Hand vor Augen zu erkennen. Das Spektakel dauerte kaum mehr als zehn Sekunden, doch hielt die Betroffenen noch für fast eine Minute lang in ihrem Bann. Als die Sicht wieder geklärt war, suchte Aniela mit ihrem Sturmgewehr den Ursprung dieses Phänomens ab, aber niemand in diesem Raum wusste sich diesen Vorfall zu erklären. Sogar die speziell ausgebildeten schwarzen Witwen blieben ratlos. Vorsichtiger als zuvor lief Aniela wieder los und passierte den Ausgang zur Brücke BC.

Dass Nero und Fiona innerhalb des Blutspektakels verschwunden waren, hatte niemand bemerkt.

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now