Die Versteigerung (2)

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Nachdem Nero angeboten hatte, Pedros Internetrechnungen für das nächste halbe Jahr zu übernehmen, ließ sich die geschminkte Miesmuschel zum Besuch der Versteigerung breitschlagen. Der dunkelblaue Abendhimmel über ihnen sah aus wie gemalt. Wie schon vor drei Tagen verleitete es das ungleiche Trio auf den Friedhof, diesmal aber, weil der kürzeste Weg zu der Versteigerung über den Gottesacker führte. Fiona war in ihr strahlend weißes Outfit gekleidet, Pedro trug wieder ein pechschwarzes T-Shirt und Jeans sowie sein Vampir-Make-up, welches Fiona nur schweren Herzens akzeptieren konnte. Als Kleinster der Gruppe hatte er die ehrenvolle Aufgabe, Fionas pinkfarbene Kühlbox zu tragen. Der Graf hingegen zeigte sich in einem für die beiden anderen neuen Kleidungsstil - er trug eine alte Soldatenuniform, dieselbe, die er auch oft auf den Pressefotos trug. Das Beinkleid sowie die Oberbekleidung waren dunkelrot, die kniehohen Stiefel kohlschwarz, ebenso wie die eckigen Schulterkappen und die Ärmelaufschläge. Oberhalb des Gürtels mit der viereckigen goldenen Gürtelschnalle befanden sich acht gleichmäßig verteilte goldene Knöpfe. Sein Degen mit goldenem Griff in der schwarzen Schwertscheide passte perfekt dazu. Stolz schritt Nero in seiner Uniform voran, wobei Fiona Neros Statur zum ersten Mal genauer betrachtete. Die Frage, ob er ein Vampir sei oder nicht, war in ihrem Kopf bislang so präsent gewesen, dass sie kaum auf etwas anderes geachtet hatte. Nero war ungefähr 1,90 Meter groß – zwanzig Zentimeter größer als sie selbst und sogar dreißig Zentimeter größer als Pedro. Die schwarzen Schulterkappen der Uniform betonten seine starken, breiten Schultern. Generell schmeichelte ihm die alte Uniform dermaßen, dass sie sich Nero nun auch sehr gut als Soldat vorstellen konnte und nicht nur als teetrinkenden, einsamen Vampir, der seine Gemälde anstarrte. Es gab an ihm offenbar wohl noch viel mehr zu entdecken, ging es ihr durch den Kopf.

„Eine Mitternachtsversteigerung - das klingt ja so spannend!", quasselte Fiona begeistert. „Was genau wird alles versteigert? Vielleicht ein neues Haus? Ein wertvolles Auto? Ein schönes Gemälde?"

„Heute wird der Grund versteigert, warum ich in dieses Dörfchen gezogen bin", erklärte Nero. „Eigentlich habe ich all die Zeit nur auf diese Versteigerung gewartet."

„Und dafür bist du hierhergezogen?", fragte Pedro skeptisch. „Hättest du nicht auch einfach nur herfahren können?"

„Ich wollte dem Objekt nahe sein", sagte Nero. „Oder zumindest in seiner Nähe, sollte es zwischenzeitlich gestohlen werden."

„Und was genau ist es?", fragte Fiona ungeduldig.

„Für euch wird er wie ein hochwertiger Edelstein aussehen. Auf den Fotos, die bisher davon veröffentlicht wurden, sieht er aus wie eine Kreuzung aus Diamant, Rubin, Saphir und Smaragd. Der Stein leuchtet in vielen verschiedenen Farben, allerdings ist er auch leicht mit einer billigen Fälschung zu verwechseln. Auf verschiedenen Trödelmärkten stolpert man über ähnliche Steine. Ich hoffe, dass diese Tatsache viele Mitbewerber abschreckt und sie deshalb gar nicht erst zu dieser Versteigerung erscheinen werden."

„Und was genau hat dieser Stein für einen Wert?", fragte Pedro. „Was, wenn es sich wirklich um eine Fälschung handelt und du Unmengen an Geld dafür ausgibst, aber später keinen Käufer findest?"

„Er hat für mich mehr einen persönlichen Wert", erklärte Nero. „Ich nehme an, niemand der heute erscheinen wird, interessiert sich für seinen materiellen Wert. Dieser Stein sei angeblich vom Himmel gefallen, ähnlich einer Sternschnuppe. Daher auch seine Bezeichnung: Himmelsstein. Möglicherweise nicht mehr als ein kleiner Felsbrocken aus dem All, aber ich vermute, es steckt mehr dahinter. Ich glaube, dieser Stein fiel nicht vom planetaren Himmel."

„Sondern aus dem Himmel?", fragte Fiona mit großen Augen.

„Der Himmel, der meine Familie, meine Freunde und mich verfluchte", ergänzte Nero. „Es handelt sich eventuell um ein Zeichen der Engel."

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now