Geisel dieser Welt (7)

2 1 0
                                    

Die Spindeltreppe führte sie in schwindelerregenden Höhen, wo sie zwischen dunklen und feuchten Gemäuern ein kleines Festmahl erwartete: Ein angeschnittener Braten und dampfende Salzwasserkartoffeln warteten bereits auf die hungrigen Mäuler - allerdings war nur für zwei Personen gedeckt worden. Eine passende warme Atmosphäre ließ das Innere des Leuchtturmes schmerzlich vermissen. Da das Obergeschoss auch als das Laternenhäuschen diente, wo das Leuchtfeuer seine Kreise zog, endeten die kniehohen Wände in einem gläsernen Übergang, wodurch das Leuchtturmlicht ausbrechen konnte. Durch die kreisrunde, balkonförmige Bauweise mit Ausblick auf das eisige Meer wirkte der Raum eher wie ein gläserner Käfig. Von dem Zentrum aus rotierte das Leuchtfeuerlicht knapp über ihren Köpfen hinweg und strahlte sein Licht bis hin zu den grauen Wolken. Am Rande der gläsernen Wand stand ein klappriger Holztisch sowie zwei Stühle, wo auch das Essen serviert wurde. Als Celes und Nero das einengende Gefühl der Szenerie erst verdauen mussten, erblühte Lazarus an seinem Lieblingsort, der Zitadelle, von wo aus er die beste Aussicht auf der ihm unterlegenen Menschheit hatte.

„Da wären wir", sagte er und blickte Nero an. „Bevor wir uns verabschieden, wollte ich dir nur einmal diesen herrlichen Ausblick gewähren."

„Willst du mich schon gehen lassen?"

„Du hast deine Aufgabe bereits erfüllt. Ehrlich gesagt zweifelte ich, ob du unsere letzte Auseinandersetzung überlebtest. Verstehe mich nicht falsch – ich hatte niemals vor, dich aus dem Turm zu stoßen. Da waren einfach die Pferde mit mir durchgegangen. Doch irgendwie ahnte ich, dass dein besonderer Fluch dich überleben ließe und dich sogar dazu befähige, Celes aufzuspüren. Es war wohl nicht die schlechteste Idee, dir, meinem grauen Phantom dieser Welt, zu vertrauen. Du hattest sie wieder dorthin geführt, wo sie hingehört: An meine Seite."

„Die Pferde mit mir durchgegangen ...", wiederholte Nero fassungslos, als er sich an die Qualen in der Wachter AG zurückerinnerte.

In Celes' Gesicht lag ein eiskalter Ausdruck, während Edens Augen um die Wette rollten. Nero dagegen wusste den Wahrheitsgehalt von Lazarus' Worten nicht einzuschätzen. Einerseits hatte dieser einen großen Aufwand betrieben, um seine Celes zurückzugewinnen. Von dem Himmelsstein, den er in diese Welt schmuggelte und Constanze in die Hände fallen ließ, nur um Nero zu der Versteigerung zu locken und mit ihm Kontakt aufzunehmen, bis hin zu der erschaffenen Edenkopie, die als Belohnung fürs Nero Mühen diente. Was Lazarus' Engagement bei der Wachter AG bedeuten sollte, war ihm noch nicht bewusst, allerdings würde auch wohl in jener Hinsicht bald der Vorhang fallen.

„Kommen wir zu deiner Belohnung, Nero", eröffnete der Engel und deutete auf Eden. „Ich hatte dir versprochen, dir im Gegenzug etwas zu geben, was du glaubtest, verloren zu haben. Ich weiß, sie ist vielleicht nicht, was du erwartet hattest, aber dennoch wollte ich dir eine kleine Freude machen ... Und sie ist immer noch besser als gar nichts."

Eden sprach mit ihm kein einziges Wort. Seine herabwürdigende Art, wie er über sie redete, als wäre sie ein austauschbarer Gegenstand, wusste sie gekonnt zu ignorieren. Wenn sie jetzt eine Szene machte, wäre sie ohnehin zum Tode verdammt. Außerdem würde sie auch Nero gefährden, die einzige Person, die sie vor der bevorstehenden Einsamkeit bewahren könnte. Die Frage, die offenblieb, war, ob Nero sich auf diesen herzlosen Handel einlassen würde, und Celes, die Frau, die ähnliche Leiden durchleben musste wie er, zurücklassen könnte.

„Ihr dürft jetzt gehen", sagte Lazarus und lächelte Nero und Eden an. „Celes und ich haben noch viel zu besprechen, was ihr bestimmt nachvollziehen könnt. Euch müsste es ähnlich ergehen."

„Was genau willst du damit erreichen?", fragte Nero. „Ich kann mir vorstellen, dass du es bevorzugst, wenn wir uns fortan aus dem Weg gehen. Doch ich kann nicht ignorieren, was du im Hintergrund für ein perfides Spielchen treibst."

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now