Nullpunkt (3)

3 1 0
                                    

Tausende Kilometer hatten Nero von der bitteren Wahrheit getrennt. Als er vor der hohenheim'schen Residenz stand, fuhr das Taxi hinter ihm davon. Mit letzten Kräften hatte er sich von der verlassenen Küste bis in das nächste Dorf geschleppt. Dank der Weltvereinigung war das Bankennetz zusammengeschlossener als zuvor, weswegen es ihm auch möglich war, mittels eines Telefonanrufs in die heimische Bankfiliale seine Identität bestätigen zu lassen. Natürlich passte sein zerrissenes Auftreten nicht zu dem edlen Namen der Hohenheims, aber dem Banker am Telefon reichte der Telefonpin sowie Neros Stimme vollkommen aus, um die Kollegen vor Ort dazu zu bewegen, ihm immerhin ein Notgroschen auszahlen zu lassen. Damit konnte er die Heimreise finanzieren.

Ein Monat war vergangen, seit er das letzte Mal sein Haus verlassen hatte. Früher war es für ihn keine unübliche Zeit gewesen, in der er sein stattliches Zuhause unbewohnt ließ, doch dann hatte er endlich Freunde gefunden, die seine Familie ersetzten. Nach siebenhundert Jahren hatte er zumindest für kurze Zeit einen Grund gehabt, die vielen Reisen zu meiden und zwischendurch wahres Heimweh erfahren. Als er klingelte, war er bereits von der Angst übermannt, dass ihm fortan ein Grund fehlte, nach Hause zurückzukehren.

Pedro öffnete ihm die Tür.

„Du lebst?"

Nero trat ein. „Unkraut vergeht nicht", sagte er lächelnd. Kaum wurde die Tür hinter ihm geschlossen, ließ er den neugekauften Mantel zu Boden fallen. Sichtbar wurde wieder die darunterliegende, zerfetzte Uniform. Pedro erschrak, als er die vielen Löcher erblickte, sowie die freigelegten Narben auf Neros Haut. Er ging einen Schritt zurück. „Nero ... dein Arm? Was zur Hölle war passiert?"

„Jedes Abenteuer hat seinen Preis."

„Ich bin so froh, dass du hier bist!", sagte Pedro, wobei er nicht so fröhlich wirkte wie sonst. „Von der Wachter AG wusste niemand, ob du noch lebst, oder im Feuer umkamst. Es gab keine einzige Spur von dir! Ich habe immer gewusst, dass man dich so schnell nicht kleinkriegt, aber nach so langer Zeit ... Und dann tauchst du einfach hier auf?"

„Es tut mir leid, aber ich konnte nicht früher erscheinen. Ich war so schnell gekommen, wie es mir möglich war."

Im Flur stellten sich nun auch die vier Kätzchen Schleifchen, Pumachen, Schneebällchen und Fleckchen auf. Sie sahen Nero wie einen Fremden an.

„Schön, dass du wieder da bist", sagte er. „Ruh dich aus. Du siehst ziemlich durchgebumst aus."

„Beinahe hätte ich dich vermisst", sagte Nero scherzhaft und ging den ersten Schritt in Richtung seines geliebten Wohnzimmers. „Ist Fiona noch in der Wachter AG oder wurde sie in ein Pflegeheim verlegt? Oder ist sie bereits wieder aufgewacht?"

„Du weißt es nicht?", fragte Pedro mit großen Augen.

„Ich werde mich heute dranmachen, ihr die Pflege bei uns zu Hause zu ermöglichen.

„Nero ..."

„Ich fühle mich so schlecht, dass ich all die Zeit nicht bei ihr sein konnte. Aber wir werden einen Weg finden, sie aufzuwecken!"

„Nero ... Hör mir bitte zu ..."

„Wie konnte all dies nur geschehen?", fragte Nero sich selbst. „Ich wollte doch auf sie aufpassen ... Das Leben ist manchmal schrecklich."

„NERO!", schrie er, woraufhin der Graf sich umdrehte. Vor ihm stand ein in Tränen aufgelöster Pedro. Bei seinen Worten musste er voller Verzweiflung seinen Kopf schütteln. „Fiona ... sie ist ... Fiona ist tot."

Nero blieb sprachlos stehen. „Nein ... Nein, sie ist nicht tot! Wir können sie pflegen und irgendwann wird sie bestimmt wieder aufwachen! Ja, das wird sie."

„HÖR MIR ZU VERDAMMT!", schrie er. „Sie hat es nicht geschafft. Die Geräte waren ausgefallen ... und ..."

„Red keinen Unsinn!", zischte Nero. „Wo ist Fiona?"

Pedros Mundwinkel klappten nach unten. Die Tränen verwischten seinen Lidschatten. „Wir hatten sie bereits vor 4 Wochen bestattet."

In Neros Gesicht war keine Regung mehr zu erkennen.

„Es tut mir leid", sagte Pedro. „Ich wünschte, es wäre anders und ich wünschte, ich hätte es dir nicht sagen müssen ... Es tut mir so leid."

Es wurde schwarz vor Neros Augen. Der unsichtbare Eisensplitter, der in jenem Moment sein Herz durchbohrte, ließ ihn zusammenbrechen.

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now