Bitte, lieb mich! (3)

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Natürlich hätte sich der Graf eine bessere Abendunterhaltung gewünscht, als mit einer Frau über den Friedhof zu spazieren, die sich vor seinen Augen eine Flasche Blut übergeschüttet hatte. Fiona hingegen konnte sich nach ihrem kleinen Aussetzer keinen schöneren Ausklang für ihren fehlgestarteten Abend wünschen. Der Graf hatte ihr gegen die Kälte eines seiner Sakkos gegeben, welches sie sich sofort dankbar übergestreift hatte. Mittlerweile war es stockfinster, sodass der asphaltierte Gehweg des Friedhofs nur noch durch den Schein der roten Grabkerzen auf den Ruhestätten sichtbar war. Ruhigen Schrittes spazierten beide durch die gruselige Szenerie, die Fiona vorkam wie ein romantischer Ausflug in den Stadtpark.

„Waren Sie immer schon von Vampiren dermaßen fasziniert?", fragte der Graf. „Ich meine, es gibt doch noch sicherlich interessantere Fabelwesen."

Es war seit Beginn ihres Spaziergangs das Erste, das zwischen ihnen gesprochen wurde. Fiona war wieder in Gedanken versunken gewesen und hatte sich zurechtgesponnen, wie ihr Ausflug auf himmlische Art und Weise enden könnte, als Hohenheims Worte sie aus ihrer Traumwelt zurück in die Realität katapultierten.

„Ich würde es eher Begeisterung nennen", berichtigte Fiona. „Ja, es gibt Unmengen an Fabelwesen, die auch ihren Reiz hätten, aber Vampire sind einfach sehr romantische Geschöpfe. Ich liebe alles, was mit ihnen zu tun hat - Bilder, Legenden, Bücher, Filme ... - einfach alles!"

„Waren Vampire nicht ursprünglich gefürchtete Wesen, die Menschen umbrachten, um ihr eigenes Dasein zu bewahren? Berichtigen Sie mich, aber das klingt für mich nicht sonderlich romantisch."

„Ja, es gibt diese Vampire und es gibt diese Vampire. In meiner Fantasie sind sie keine blutrünstigen Bestien, sondern einfühlsame, missverstandene Geschöpfe. Ihr Geheimnis und ihre Lebensumstände zwingen sie in eine ewige Einsamkeit. Sie können sich kaum jemanden anvertrauen, da sie sonst verraten und umgebracht werden, und deswegen müssen sie der Person, die sie einweihen, vollkommen vertrauen. Und umgekehrt muss diese Person auch dem Vampir so weit vertrauen, dass dieser sie nicht im Blutdurst anfällt. Wenn die Voraussetzungen stimmen, sind sie mit dem anderen Menschen ein Leben lang verbunden."

„Es klingt leicht morbide, aber irgendwie schön", sagte der Graf amüsiert. „Trotzdem wäre es ein erzwungenes Glück, da dem Vampir ja keine große Auswahl bliebe. Er wäre von seiner Vertrauensperson abhängig."

„Erzwungenes Glück wäre immer noch besser als gar kein Glück", erwiderte sie. „Deswegen habe ich mir so sehr gewünscht, dass Sie ein Vampir sind. Sie wären mehr oder weniger dazu gezwungen gewesen, mir zu vertrauen und mit mir zusammenzuleben. Sie wären gezwungen gewesen, mir zumindest eine Chance gegeben. Mehr erwarte ich von normalen Menschen ja auch nicht."

Je länger er Fionas wahnhaften Vorstellungen lauschte, desto mehr Verständnis entwickelte Hohenheim für ihre durchgeknallte Art. Sie sehnte sich nicht direkt nach einem außergewöhnlichen Menschen oder Fabelwesen, sondern nur nach jemandem, der sie unter gar keinen Umständen alleine lassen würde.

„Sag doch bitte ‚du' zu mir, Fiona", bot der Graf plötzlich an.

„Nepomuk." Bei der Wiederholung seines Namens musste sie auflachen. „Dein Name ist wirklich lustig."

„Meine Eltern verfügten über einen seltsamen Humor."

Für einen kurzen Moment hatte sich ein Schmunzeln in ihre besorgten Züge geschlichen. Doch ihre Freude war kurzweiliger Natur. Als sie zu einer Kreuzung kamen, sah sie links entlang der Reihe von Friedhofskerzen.

„Hast du den Blitz gesehen?", fragte Fiona.

In dem Moment war Fiona wieder vollkommen abgelenkt.

„Nein?" Der Graf sah sich verwundert um. Statt eines ominösen Blitzes fiel ihm nur das krankhafte Funkeln in Fionas Augen auf. Ihr Wahn hatte sie wieder vereinnahmt - er konnte sie nicht mehr bremsen. Gerade als er so etwas wie Verständnis für sie entwickeln wollte, musste sie sich auch schon wieder merkwürdig verhalten.

„Er ist es ...", rief Fiona überzeugt. „Das Gerücht ist wahr! Der Vampir ist hier!"

Ehe sich der Graf versehen konnte, rannte Fiona kopflos in die Dunkelheit der Grabreihen. Kopfschüttelnd blieb der Graf vorerst stehen.

„Nicht schon wieder ..."

Auch wenn Fiona ihm an diesem Abend zahlreiche Gründe präsentiert hatte, sich von ihr fernzuhalten, drängten ihn seine guten Manieren dazu, sie nicht allein auf dem Friedhof zurückzulassen. Widerwillig nahm er die Verfolgung auf.

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now