Bitte, lieb mich! (5)

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„Ich nehme an, ihr habt ein paar Fragen", sagte der Graf gut gelaunt.

Nachdem sich Pedro wieder beruhigen ließ und Fiona den ersten frenetischen Anfall von Freude überwunden hatte, war das ungleiche Trio zurück zum Anwesen des Grafen gegangen. Nun saßen sie in dem Wohnzimmer, in dem auch schon das erste Interview mit Fiona stattgefunden hatte. Fiona und der zittrige Pedro saßen auf der bequemen Ledercouch, während Hohenheim mit einer Tasse Zitronentee gegenüber in seinem Sessel Platz genommen hatte. Pedro wollte sich nicht ausmalen, woher die frisch aussehenden Blutsflecken auf dem Teppich kamen.

„Was zur Hölle sollte diese Scheiße vorhin?", fragte er nun aufgeregt. „Was hast du mit diesem Diego-Kerl angestellt?"

„Ich habe ihm nur ein paar Manieren beigebracht", erklärte der Graf grinsend. „Ich hatte doch nicht wirklich vor, ihn ausbluten zu lassen. Ich wollte ihn nur stoppen, ehe er Fiona wehgetan hätte."

„Bitte, bitte, bitte ...", bettelte Fiona. „Sag uns endlich, wer oder was du bist. Bist du ein Vampir?"

„Ich bin kein Vampir", erwiderte der Graf schmunzelnd. „Aber ich bin auch kein direkter Nachkomme der von Hohenheims und mein Name ist auch nicht Nepomuk. Mein richtiger Name lautet Nero."

„Nero?", fragte Fiona lächelnd. „Das klingt viel ... männlicher. Aber das erklärt immer noch nicht, was wir vorhin gesehen haben."

„Ja, erklär mal lieber, was das für eine kranke Scheiße war", sagte Pedro mit aufgerissenen Augen.

„Dafür muss ich etwas weiter ausholen. Was ich gleich erklären werde, klingt ein wenig unrealistisch und etwas ... weit hergeholt. Aber es handelt sich wirklich um die Wahrheit oder zumindest um meine Wahrheit, meine Realität, meine Umstände, mit denen ich bisher leben musste."

Freudig nickte Fiona dem Grafen zu, während Pedro sich in böser Vorahnung an der Couch festhielt.

„Eigentlich stamme ich nicht aus dieser Gegend, und irgendwie gehöre ich nicht mal in diese Zeit", erzählte Nero. „In eurer Zeitrechnung wäre ich mittlerweile um die siebenhundert Jahre alt."

„Leck mich doch!", schrie Pedro. „Wer soll dir den Scheiß denn abkaufen?"

Fiona saß mit offenem Mund da. Ihre Augen strahlten pure Glückseligkeit aus.

„Wie ich schon sagte ..." Nero lehnte sich zurück, „es ist für euch sicher nicht ganz nachvollziehbar, aber ich kann nur von dem berichten, was ich erlebt habe. Vieles kann ich mir bis heute selbst nicht erklären. Ursprünglich stamme ich aus einer kleinen Stadt, weit entfernt von hier. Ihr habt ihren Namen sicher schon mal gehört: Babylon."

„Babylon?", fragte Fiona.

„In einigen religiösen Schriften wird von ihr berichtet", sagte Pedro. „Handelt es sich dabei nicht um die Stadt, deren Bewohner einen Turm, der bis in den Himmel reicht, bauen wollten? Der Legende nach hatten die Babylonier Gott verärgert, sodass dieser den Bau unterband, indem er jedem Bewohner seine ursprüngliche Sprache nahm. Durch die Verständigungsprobleme konnte der Bau nie fertiggestellt werden, sodass er letztendlich abgerissen werden musste."

„Das ist halbwegs korrekt", sagte Nero. „Es gibt viele Legenden darüber, warum der Turmbau letztendlich scheiterte. Jedoch ist die Realität, die ich miterleben musste, fern der religiösen und blutarmen Version. Es geschah, als ich etwa in Fionas Alter war. Zu dieser Zeit galt das Erreichen des Himmels als die Grenze des Menschenmöglichen. Statt Göttern beteten wir Engel an, die von oben herab über uns wachten. Wir bauten Statuen von ihnen, schickten unsere Gebete gen Himmel und glaubten daran, dass sie auf unsere Toten aufpassten. Es war eine Frage der Zeit, bis die Menschheit dem Mythos der Engel näherkommen wollte, weswegen sie den Turm von Babylon in Auftrag gaben. Er sollte als Verbindung zwischen der Welt der Engel und der unseren dienen."

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now