Bitte, lieb mich! (4)

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„Na? Hast du deinen Vampir gefunden?", fragte der Graf. Erst als er Fiona komplett eingeholt hatte, konnte er das Chaos erkennen, das sie wieder verursacht hatte.

Sie kniete mit dem Rücken zu ihm mitten auf einem Grab und presste ihre Hände in die feuchte Erde. Erst nach einem Schritt zur Seite erkannte der Graf auch den armen Kerl, der unter Fiona buchstäblich begraben wurde: ein junger Mann, höchstens Anfang zwanzig, mit schwächlicher Statur. Sein Gesicht wurde von Fiona verdeckt, doch anhand seiner zittrigen Körperhaltung und den ausbleibenden Befreiungsversuchen war zu erkennen, dass der Knabe wohl Todesängste ausstehen musste.

Langsam und unheimlich drehte Fiona ihren Kopf in die Richtung des Grafen, ohne dabei von dem überwältigten Kerl abzulassen. Die Grablichter beleuchteten Fionas grüne Augen, in denen sich glasig pure Enttäuschung abzeichnete. „Er ist gar kein Vampir ... Sieh ihn dir an ... Das ist kein Vampir."

„Willst du nicht mal von ihm runtergehen?", fragte der Graf vorsichtig.

Schleichend ließ sie von dem Knaben ab und ohne ihn aus den Augen zu lassen, ging sie einen Schritt zurück. „Schau ihn dir genau an, Nepomuk. Schau dir diese Enttäuschung an."

Nachdem ihm Fionas elfenhafter Körper nicht mehr die Sicht versperrte, erkannte auch der Graf die Enttäuschung, von der sie sprach. Zuerst sah er die schwarz geschminkten Augenlider, die, den Blick auf Fiona gerichtet, panisch flatterten. Sein bleiches Gesicht resultierte aus einer Mischung aus Angst und weißer Theaterschminke. Die Hakennase fiel neben den künstlichen Augenringen, bestehend aus verwischtem schwarzem Lidschatten, nicht weiter auf.

„Was soll das sein?", fragte der Graf überfordert. „Hat er sich als Panda verkleidet?"

„Es ist eine Schande", sagte Fiona enttäuscht und den Tränen nahe. „Er ist eine Schande für alle Vampire."

Der Knabe robbte hektisch rückwärts, bis er mit dem Rücken gegen den Grabstein stieß. „Was ... Was wollt ihr von mir!?", fragte er ängstlich.

„Geh mir bloß aus den Augen!", tönte Fiona. „Ich kann mir das nicht weiter ansehen."

„Behalte doch mal die Ruhe", versuchte der Graf Fiona zur Vernunft zu bringen, ehe er sich dem Knaben widmete. „Wie heißt du und was machst du hier?"

„Mein Name ist Pedro", antwortete der Knabe und versuchte sich zu beruhigen. „Ich wollte hier nur ein paar Fotos machen, ganz privat, versteht sich. Und dann kam diese Verrückte vorbei!"

„Der Blitz seiner Handykamera hatte mich angelockt", stellte Fiona fest. „Ich dachte, eine übernatürliche Lebensform hätte sich mit einem Blitz auf diesen Friedhof teleportiert. Doch stattdessen entdecke ich diese erbärmliche Gestalt, diese missgestaltete Imitation eines Vampirs, die vor fremden Grabsteinen posiert und sich selbst fotografiert."

„Ich bin keine Imitation!", schrie Pedro nun sauer. „Meine Freunde und ich mögen diesen Stil eben. Das ist unsere Sache und geht dich gar nichts an!"

„Und wo sind deine tollen Freunde?", fragte Fiona provozierend. „Dass sich jemand mit einem so erbärmlichen Vampir abgibt, glaube ich nicht. Nepomuk, sieh dir an, wie er mit seiner schlechten Imitation den Ruf der Vampire schädigt."

„So lange er sich nicht mit Blut übergießt, ist alles in Ordnung", kommentierte der Graf grinsend, woraufhin Fiona reflexartig auf seine Schulter schlug. „Jedenfalls solltest du den armen Kerl in Ruhe lassen. Wenn er diesen zweifellos fragwürdigen Stil bevorzugt, dann lass ihn doch."

Dankbar lauschte Pedro den Worten des Grafen, während er Fionas Unaufmerksamkeit ausnutzte, um sein Handy vom Boden aufzuheben. Er wischte die Blumenerde von dem Gehäuse des Smartphones ab, ehe er es in seine Hosentasche steckte.

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now