Die Stadt der Engel (1)

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Nach der gescheiterten Versteigerung kehrte auch in der Hohenheim-Residenz wieder der alltägliche Wahnsinn ein. Pedro hatte die letzten Tage damit verbracht, das gealterte Landhaus mit allerhand technischen Schnickschnack auszustatten. Endlich verfügte Neros Wohnsitz über einen Fernsehanschluss und kabellosen Internetempfang in jedem noch so erdenklich abgelegenen Winkel. Die Beleuchtung und Rollläden konnten mit Hilfe der Mobiltelefone bedient werden, zur extremen Freude von Nero, der kein Mobiltelefon besaß. Auch Fiona hatte ihre Verbesserungsvorschläge sofort umgesetzt, natürlich ohne vorher zu fragen. Neuerdings besaß Nero vier Katzen, jeweils alle mit einer anderen Färbung: Der schneeweiße Kater namens „Schneebällchen", die getigerte Katze namens „Schleifchen", die schwarzweiße „Fleckchen" und der pechschwarze Kater „Pumachen". Für die süßen Namen war natürlich niemand Geringeres als Fiona verantwortlich. Die vier kleinen Kätzchen trollten auf dem Boden und fraßen, was von dem Frühstückstisch hinunter fiel.

Pedro saß bereits am Esstisch und zelebrierte die Früchte von Neros jahrelangen Kochkünsten. An jenem Morgen hatte der Graf Rühreier mit Speckstreifen sowie Räucherlachs zubereitet. Es war kein besonders ausgefallenes Gericht, wie keines von Neros zubereiteten Speisen, dennoch hatte Pedro in seinem Leben nie besser gespeist.

„Sag, wo hast du so gut kochen gelernt?", fragte Pedro, während er die Rühreierstückchen in sich hineinstopfte. „Das sind die besten Rühreier meines Lebens!"

„Danke", sagte Nero lächelnd. „Nun ja, da ich die meiste Zeit meines Lebens alleinstehend war, musste ich mir wohl oder übel das Kochen beibringen. Zu meiner Zeit damals gab es leider keine Fertiggerichte oder Lieferdienste."

„Immerhin ein Vorteil, den deine Unsterblichkeit mit sich brachte", sagte Pedro schmatzend. „Deine anderen Angewohnheiten, wie diese Blutsauereien sind zwar dafür umso widerlicher, aber deine Kochkünste gleichen es aus." Er legte das Besteck neben seinem Teller ab und griff zu einem Stück Speck, das er sogleich zu seinem Mund führte. „Übrigens, was ich mich schon länger fragte, zumindest seitdem mir Fiona von deiner Geschlechtskrankheit erzählte ..."

„Sie hat dir davon erzählt?", fragte Nero wenig überrascht. Er hatte zwar Fionas Redefreudigkeit fest einkalkuliert, dennoch hätte er ihr zugetraut, dass sie wenigstens für drei bis vier Wochen Stillschweigen bewahren könnte. Er hingegen behielt ihr unangenehmes Geheimnis, dass sie mehrere Jahre in einer Anstalt festsaß, für sich. Wobei Pedro wahrscheinlich eine derartige Lücke in Fionas Lebenslauf bereits vermutet hatte.

„Klar, hat sie das. Schon direkt nach der Versteigerung."

„Och, Fiona ..."

„Ich hatte mich gewundert, warum es bislang keine Frau von Hohenheim gab. Liegt es an deinem Fluch? Du denkst wohl, dass er ansteckend ist und du, sobald du mit einer anderen Frau schläfst, sie mit demselben Virus ansteckst."

„Ich glaube schon", sagte Nero schulterzuckend.

„Du glaubst es?", fragte Pedro entsetzt. „Heißt das, du hast es noch nie ausprobiert? Also noch nie mit einer anderen Frau als diesem Engel geschlafen?"

Nero sah Pedro unbeeindruckt an. „Schon mal etwas von Verhütung gehört?"

„Oh, doch klar. Aber früher waren die Menschen doch noch nicht so aufgeklärt. Früher habt ihr doch bestimmt alles gerammelt, was nicht niet- und nagelfest war."

„Da ich niemanden gefährden wollte, hielt ich mich anfangs zurück, auch wenn es damals durchaus einige Kandidaten gab, die an nichts anderes denken konnten. Allerdings wusste ich die erste Zeit nicht von meinem verpfuschten Kreislauf, weswegen die Möglichkeit existiert, dass ich die ein oder andere mit Unsterblichkeit gesegnet habe. Dennoch gab es damals auch noch keine blutdruckshemmenden Medikamente, welche eine ungefährliche Transformation ermöglicht hätten." Nero petzte seine Augen zusammen und sah Pedro streng an. „Doch wer weiß? Vielleicht wartet da draußen eine verflossene Vampirdame ... auf ihrer unsterblichen Rachemission, sich an mir für die verhängnisvollste Liebesnacht ihres Lebens zu rächen. Sie könnte jede Nacht hier auftauchen, um mich und alle Bewohner des Hauses zur Rechenschaft zu ziehen."

„Klingt gruselig", sagte Pedro unbeeindruckt. „Aber nicht halb so fürchterlich wie die Vorstellung, was Fiona mit dir anstellt, wenn sie herausfindet, dass es noch andere Frauen gab. Tue uns allen den Gefallen und erzähle ihr nichts davon."

„Glaubst du, ich bin lebensmüde?"

Als sie gerade vom Teufel sprachen, schreckten die vier Katzen auf. Sofort ließen sie von ihren überlassenen Speck- und Lachsstückchen ab und liefen panisch davon. In böser Vorahnung verteilten sie sich in allen möglichen Verstecke, die das Haus zu bieten hatte.

„Fiona kommt", stellten Nero und Pedro gleichzeitig fest.

Dank des animalischen Frühwarnsystems wussten die beiden Männer bereits von Fionas Ankunft. Keine Sekunde später platzte sie auch schon in die Küche hinein, dicht gefolgt von einer blumigen Duftwolke.

„Guuuten Mooorgen!", schrie sie durch die Küche. „Tut mir leid, dass ich erst so spät komme, aber ich musste noch meinen Koffer packen."

„Koffer packen?", fragte Pedro, während Nero bereits zusammenzuckte.

„Ja, wir machen doch heute einen Ausflug", sagte Fiona lächelnd. „Steht zumindest in Neros Kalender."

„Und wohin geht es heute?", fragte Pedro und sah Nero grinsend an.

„Also ..." Nero räusperte sich. „Liva, diese Verrückte, die meinen richtigen Namen kennt oder zumindest jemanden kannte, der meinen richtigen Namen kennt ... Sie meinte, ich solle mich zu der sogenannten Stadt der Engel begeben. Dank Pedros Internetrecherchen fand ich heraus, dass im Süden erst kürzlich eine Ruine restauriert wurde. Sie wird für Besucher neu eröffnet und trägt den passenden Titel „Stadt der Engel". Ich wollte die Ruine nach Hinweisen erkundigen, aber ... eigentlich wollte ich ja alleine fahren."

„Tja, daraus wird wohl nichts", sagte Pedro immer noch grinsend.

Während Fiona ihn erwartend anlächelte, schüttelte Nero mit dem Kopf. „Ich sollte meinen Kalender wegsperren."

„Alternativ könntest du auch einfach Fiona rausschmeißen", schlug Pedro vor.

„Vielleicht ..." Nero sah spaßeshalber zu Fiona rüber, die ihm einen keifenden Blick zuwarf. „Also eigentlich ... sollte ein abschließbarer Kalender bereits ausreichen."

Pedro deutete auf die vier verschiedenen Futternäpfe, die für die jungen Kätzchen bereitgestellt wurden. Berge aus Trockenfutter türmten sich in den Plastikschälchen. „Ich nehme an, du hast deinen Katzen bereits vorsorglich genug Futter gegeben."

Fiona nickte. „Aber laut Neros Kalender sind wir ja schon morgen wieder zurück."

„Was alles in deinem tollen Kalender drinsteht", sagte Pedro begeistert. „Ich sollte auch mal anfangen, ihn zu lesen."

Eden OdysseeWhere stories live. Discover now