Sonntag, 8. Oktober (3/3)

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"Alkoholvergiftung wurde grad so umgangen mein Freund.", sagte der Arzt wütend. "Ich wollte das nicht.", sagte ich mit zittriger Stimme und schaute ihn dabei nicht an. "Hätte böse enden können mit deiner Kopfverletzung, sei froh das die Frau rechtzeitig kam." Er legte mir etwas auf den Tisch neben mir und verabschiedete sich. Ich wusste das sich was ändern musste, so konnte das alles nicht weiter gehen. "Max.", flüsterte Lorena durch die Tür. "Komm rein." Ich musste Lorena verlassen, das war einer der Schritte, endlich ein neues Leben beginnen zu können. "Wie geht's dir?", fragte sie leise und setzte sich auf den Stuhl neben mein Bett. "Es geht, ich hab tierische Kopfschmerzen." Sie nickte und schaute auf den Boden. "Max?" "Hmm?" Sie atmete tief ein und aus. "Wir sollten das hier beenden." Kurz blieb mir die Luft weg, denn ich spürte wie mein Herz in Millionen Teile zersprang, obwohl ich genau dasselbe vor hatte. Ich nickte nur stumm und schaute sie an. Sie hatte erneut viel geweint und auch ihr letztes Piercing war zugewachsen. "Bleiben wir trotzdem Freunde?", fragte sie nach einer langen Denkpause. Ich nickte und wir lächelten uns an. Noch bevor sie was sagen konnte, zog ich ihr Gesicht zu mir und küsste sie ein letztes Mal. "Man sieht sich.", brummte sie heraus und verschwand aus dem Raum. Ich wusste das sie weinte und hätte ich gekonnt, wäre ich zu ihr gerannt und hätte sie getröstet, aber ich war fest gekettet. Nun war der nächste Schritt so zutun als wäre all das, was hier geschah, nie passiert. Als wäre Kaithlin nie aufgetaucht, als wäre ich nie Lena begegnet, als wären Lorena und ich nie zusammen gewesen, einfach alles. Ich wusste, das es schwieriger werden würde als ich es mir vorstelle, aber so war das eben. Der Verband um meinen Kopf schränkte zudem mein Denkvermögen ein, was mir weniger Sorgen machte. Ich wollte so wenig nachdenken wie möglich. "Schatz.", holte mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken. "Du bist dümmer als Scheiße.", brummte sie wütend hervor nachdem sie die Tür geschlossen hatte. "Es war nicht extra okay. Ich wollte das gar nicht." Sie ließ sich seufzend neben mir nieder und sackte in sich zusammen. "Was machen wir nur mit dir? Erneut einweisen lassen wäre sinnlos." Nun seufzte ich genervt. "Ich wollte nicht sterben Mama. Mir geht es gut. Ich will auch das alles hinter mir lassen. Das Jahr in Schweden wird mir helfen." Ihre Augen weiteten sich und sie fing langsam an zu lächeln. "Sind diese Worte auch ernst gemeint?" Ich nickte und griff nach ihrer Hand. "Wie geht's Laura?" "Sie ist krank vor Sorgen und bereut es total das sie gesagt hätte du sollst dich verpissen. Es tut ihr furchtbar leid." Ich musste grinsen, meine Tante war sensibel. Sie zeigte es selten aber sobald etwas trauriges oder gar schlimmes passierte, war sie die erste die einknickte. "Wann kann ich gehen?" "Morgen Abend. Ich bleib solang hier, dann fahren wir direkt 'nach Hause' und du kannst erstmal deine Ruhe haben. Wir haben dich von der Schule abgemeldet, du wirst erst in einem Jahr hier wieder zur Schule gehen." Ich atmete erleichtert auf. "Wenigstens eine gute Nachricht seit einem Jahr." "Ja und eine hab ich auch noch. Du bist morgen 18." Noch nie hatte ich meinen Geburtstag vergessen, aber in all dem Drama, durch die ganzen Koma's und Ablenkungen, war mein Geburtstag ganz nach hinten gerutscht. Besonders mein achtzehnter, wie egal er mir einfach war. "Noch so 5 Stunden und 23 Minuten und bist erwachsen.", lachte Senna vor sich hin und stand auf. Auch ich erhob mich langsam aus meinem Bett da mein Kreislauf noch ziemlich wackelig war. "Hast du Hunger?" Ich nickte nur und zog meine Schuhe an. "Ich hol schon." "Ich brauch frische Luft. Ich warte draußen auf das Essen." Senna seufzte wieder nur und half mir bis zum Fahrstuhl. "Pass auf und wehe du fällst wieder um, ich helf dir nicht.", rief sie mir noch hinterher doch ich war sofort draußen und atmete die kalte Winterluft ein. Für den 8. Oktober war es sehr weiß, doch das war normal in Kopenhagen. Die Flocken fielen nur so vom Himmel und es dämmerte. Wenn ich es mir so recht überlege, war ich ganz froh das mein Leben nun so war. Vielleicht war meine Freundin tot, doch das hieß nicht das ich mein Leben deswegen verschwenden sollte. Ich setzte mich auf eine Parkbank die noch einigermaßen vom Schnee verschont war und schaute dem Schnee beim fallen zu. Wie kalt es wohl war? Bestimmt Minusgrade. "-13 Grad.", flüsterte Senna und reichte mir eine Suppe. "Danke. Und woher weißt du was ich denke?" "18 Jahre mein Sohn. Ich sehe dir an was du denkst." "So offensichtlich?" "Was denkst wieso ich dich hab einweisen lassen? Ich habe gesehen wenn du dich umbringen wolltest, wenn du dich verletzen wolltest, wenn du Albträume hattest. Ich kenne meinen Sohn besser als jedes Buch. Wäre traurig wenn nicht." "Ich bin ja eigentlich nicht dein Sohn.." Sie schaute mich lange und durchdringlich an. "Du bist mein Sohn. Ich habe dich aufgezogen, ich habe dich erzogen. Niemand ist so wie du und so liebe ich dich." "Danke Mama." Sie lächelte und wuschelte mir durchs Haar. Nachdem wir unser Essen gegessen hatten, war es 21:48 Uhr. Ich musste zurück auf mein Zimmer, denn um 22 Uhr war Bettruhe. "Willst du mir etwas beantworten?" "Was denn?" Senna drehte sich von Fenster zu mir und schaute überlegend. "Kaithlin. Was war sie für dich?" "Sie war meine erste große Liebe." Senna nickte. "Würdest du sie noch lieben wenn sie leben würde?" Ich nickte leicht aber sie sah es. Und ab da sagte keiner mehr was. Was mit Lorena gewesen war, all das, war so ziemlich egal. Es zählte das Kaithlin ein Kapitel in meinem Leben gewesen war, das mir viele neue Türen geöffnet hat. Als es 00:00 Uhr war, war ich 18 Jahre alt. Dennoch fühlte ich mich nicht so. Nicht mal als meine Mutter mir mein Geschenk überreichte. Meinen Autoschlüssel zum meinem eigenen Auto. "Laura wollte das du endlich dein eigenes Auto benutzt wenn du wieder abhaust.", lachte Senna und legte sich in das andere Bett in meinem Zimmer. Es wurde still und die Nacht war klar. Wie lange ich am Fenster saß, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß, das ich zum ersten Mal nicht den Drang hatte zu springen. Sondern das ich den Horizont betrachtete und wusste: mein Leben fing jetzt erst an.

The Song of the DeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt