Samstag, 11. September

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"Wie geht es dir?", fragte der Arzt während er sich meine Geräte ansah. Am Tag konnte ich die Kabel für das Schmerzmittel abmachen, da ich mich im Schlaf drehte und dadurch ein unerträglicher Schmerz entstand. "Mir geht es gut.", lächelte ich. Er schüttelte den Kopf und schaltete die Geräte aus. "Du kannst nun ohne Schmerzmittel schlafen gehen. Bitte öffne deinen Verband, ich muss deine Wunde desinfizieren." Ich öffnete den Verband und es erwartete mich eine riesige, unendlich scheinende Wunde. Man erkannte noch wie tief ich die Klinge eingedrückt hatte, denn man konnte sehr gut das offene Fleisch erkennen. Sein Blick wanderte meinen Arm entlang, dann hielt er mein Handgelenk fest. "Gestreckt halten, Augen zusammenkneifen und stark sein." Er sprühte das Desinfektionsmittel auf meinen Arm und für einen kurzen Moment entstand ein furchtbar brennendes Gefühl. Dann ließ es nach und der Arzt wickelte einen neuen Verband um meinen Arm. "Du darfst auch ab heute wieder das Gebäude verlassen. Nur bitte sei um halb vier pünktlich auf deinem Zimmer." Ich nickte und ließ mich wieder ins Bett fallen. Es war anstrengend immer so zutun als wäre alles gut. Vermutlich war es Kathy auch so ergangen. Ich ging zu meinem Schrank und fischte mir einen neuen Pullover sowie eine Boxershorts und Jogginghose raus und machte mich auf den Weg zur Dusche. Für den Arm gab mir eine Krankenschwester eine Plastikhaube mit damit er nicht nass wurde. Nachdem ich mir meine Haare gerichtet hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. "Übrigens hat das gestern deine Mutter vorbeigebracht." Ich schnappte mir mein Handy und legte mich ins Bett. Dank dem Ladekabel spielte ich bis um halb vier nur an meinem Handy rum. "Hallo Max." Es war die selbe Stimme wie vor ein paar Wochen gewesen. Tief, rau und bösartig. "Wie geht es dir?", fragte er und schloss die Tür. Ich zuckte mit den Schultern und blickte von meinem Handy nicht auf. "Was heißt ein Schulterzucken?" "Es heißt keine Ahnung." Er nahm sich einen Stuhl und zog ihn neben mein Bett. "Wie fühlst du dich?" "Leer." "Inwiefern leer?" "Ich fühle mich als wäre mein Inneres tot." Kurzes schweigen trat ein. "Warum fühlst du dich so?" Ja wieso fühlte ich mich so? Das war eine sehr gute Frage. "Weil ich nichts mehr habe was mir Sinn gibt um zu leben." "Du hast deine Mutter." Ich seufzte. Wann gibt er endlich auf? "Meine Mutter zählt nicht." "Doch, sie sollte sogar an erster Stelle sein. Stell dir vor du hättest den Selbstmord geschafft, wie hätte sie reagiert? Denkst du sie wäre glücklich gewesen das ihr einziger Sohn den sie seit 16 Jahren aufzieht, aufwachsen sieht, mit ihm Höhen und Tiefen durchmacht, ihn liebt wie nichts anderes, aufeinander tot ist und sie nichts tun konnte außer dich sterben lassen? Nein, sicherlich nicht. Und die Menschen die dich verachten weil du Fehler gemacht hast: sie werden sich ebenfalls die Schuld geben. Du bist nicht alleine Maximilian." Ich weiß nicht was mich dazu getrieben hatte aber ich musste plötzlich lauthals loslachen. Ich legte mein Handy beiseite und schaute den gegenüber an. Blonde, gefärbte Haare was total schieße aussah da nur der Ansatz, blond gefärbt war und die Wurzeln noch dunkelbraun waren. Seine blauen Augen machten mir schon mehr Angst als sein generelles Auftreten, das für einen Psychologen ziemlich ungewöhnlich meiner Meinung nach war. "Wie heißt du?" "Steve." Er lächelte mich an. "Darf ich dir eine Frage stellen?" Er nickte und lächelte mich weiterhin an. "Wieso bist du Psychologe geworden?" "Weil ich Menschen helfen will." "Mir kannst du nicht helfen, das hatten wir schon einmal geklärt." Er schüttelte genervt den Kopf. "Erzähl mir wieso du deine Pulsadern aufgeschnitten hast, vielleicht kann ich dir keine Lösung für den Auslöser geben aber es hilft es sich von der Seele reden zu können." "Gut, stell dir vor, ich bin ein Säufer und ein Schläger. Ich habe meine Freundin monatelang verprügelt und misshandelt, ihre Mutter hat sie verabscheut und als Missgeburt angesehen. Am Ende hat sie sich selber umgebracht. Ja und jetzt sitze ich hier weil ich zu ihr möchte." Er schwieg lange. Gefühlte 20 Minuten waren es für mich, bis er seinen Blick wieder mir zuwandte und mich anstarrte. "Du bist 16?" Ich nickte langsam, mit einem fragendem Blick. "Dann haben wir wohl einiges gemeinsam." Mein Blick wurde immer fragender genauso wie meine Gedanken. "Ich habe mit 16 auch angefangen zu trinken, bin abgerutscht und habe jeden geschlagen der was gegen mich sagte. Aber mit 18 hab ich den Weg aus dieser Phase gefunden weil mein Vater verstarb. Von da an schwor ich mir jeden zu helfen der Ähnliches mitmacht. Ich habe viele geholfen die so waren wie du, verschlossen und kalt. Mit der Zeit wirst du lernen das du so nicht sein musst. Du kannst mir gegenüber völlig offen sein." Ich schwieg und starrte stur die Wand an. "Hast du schon mal von psychiatrischen Einrichtungen gehört?" Ich nickte. "Wenn du nicht mit mir redest und wir diese Situation lange beibehalten, bin ich gezwungen dich in eine zu stecken. Und das so lange bis du dein Alkohol- und Aggressionsproblem in den Griff hast. Und das kann dauern." Ich mir entwickelte sich mit dem jedem Wort das er sprach immer mehr Wut. "Ich werde nicht in eine Psychiatrie gehen, da können Sie tun was sie wollen." "Maximilian, du wolltest dir das Leben nehmen, du bist Alkoholabhängig, hast Aggressionsprobleme und du zeigst starke Symptome von einer Soziophobie. Ich bin GEZWUNGEN etwas zu tun." Diesen Satz schrie er nun förmlich. Ich zuckte zusammen und fiel fast aus dem Bett. "Tut mir leid. Ich hab meine Fassung etwas verloren." "Ja das habe ich auch gemerkt.", sagte ich sarkastisch. Und weitere 20 Minuten schwiegen wir uns an. Mittlerweile waren wir schon 1 Stunde in meinem Zimmer und diskutierten. "Ich denke das reicht für heute." Als er die Tür öffnete durchfuhr mich wieder diese Angst. "Warte." Er dreht sich zu mir und schloss die Tür wieder. "Ich habe Angst alleine zu sein." Er nickte und kam wieder zu mir. "Wieso hast du das?", fragte er während er sich wieder auf den Stuhl setzte. "Seitdem meine Freundin tot ist, habe ich niemanden mehr. Ich bin alleine." "Das bist du nicht. Du hast deine Mutter und Freunde sicherlich auch." Ich schüttelte den Kopf. "Jeder hasst mich aufgrund meines damaligen Verhaltens." Er schaute auf seine Hände. "Ich weiß nicht ob dir das weiterhilft aber ich weiß wie es dir geht. Ich bin auch immer nur auf Ablehnung gestoßen aber habe gelernt damit zu leben. Und jetzt bin ich verheiratet und habe zwei Kinder. Einfach weil ich gelernt mit der Person zu leben die ich bin und meine Familie nimmt mich ebenfalls so wie ich bin." "Das freut mich sehr für dich.", sagte ich und schaute auf meinen Schoß. Ich hielt Abstand da mir der Kerl trotzdem nicht geheuer war. Ein Psychologe mit Piercings und Tunnels traf man nicht alle Tage. "Ich muss jetzt weiter aber wir sehen uns morgen wieder. Mach's gut." Er reichte mir seine Hand, ich schüttelte sie und er ging. Nun war ich wieder alleine. "Soziophobie", war das einzige was mir ständig durch den Kopf schwirrte. Vielleicht ging ich nicht gerne unter Menschen sondern verkroch mich in meine Zimmer und schlief oder trank, vielleicht hasste ich auch Menschenmassen die mehr als 5 Personen beinhaltete aber das war doch keine Phobie. Ich wollte einfach nur meine Kaithlin zurück. Und egal wohin ich ging, sah und hörte ich sie. Das verletzte mich, es machte mich kaputt. Und ich spürte immer mehr wie wieder Drang zum Selbstmord wieder in mir Anstieg.
Wäre damals nicht jemand in diesem Moment in mein Zimmer gekommen, den ich NIEMALS erwartet hätte, hätte ich das auch durchgezogen.

The Song of the DeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt