Mittwoch, 18. Juli

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"Wie geht es Ihnen?", fragte der Arzt während er mir die letzten Schläuche entfernte aber dafür eine neue Fusion in den Arm rammte. "Jetzt wieder schlecht.", lachte ich leicht. Gespielt, aber gekonnt. Er guckte mich kurz an, dann verließ er mein Zimmer. Ich durfte zur Cafeteria. Neue Leute kennenlernen, lernen wieder normal zu essen. Mittlerweile hatte ich erneut 5 Kilo abgenommen, was mein damaliges Gewicht von 79 Kilo auf knappe 54 Kilo sinken lässt. Etwas, das sowohl die Ärzte als auch meine Mutter bedrückt. Mich störte es nicht, ich hatte nun mal keinen Hunger. An der großen Flügeltür, die aus weißem Holz gemacht war, schaute ich durch den großen Raum. Es waren viele Menschen darin, zu viele für mich. Zudem ich nicht mehr Hunger hatte, war dies die reinste Folter für mich. Ich lief durch den Raum und schaute mich um. Einige Blicke klebten an mir, da mich keiner kannte. Ich hörte nur Getuschel. "Ist das nicht der Junge der acht Monate im Koma lag?" "Wie hat er nur überlebt, das muss viel gewesen sein." "Er sieht süß aus." So viele Pfannen könnte ich jetzt gebrauchen. Ich kam mir vor wie in so einer dämlichen Schulkantine in der jeder, alles was du tust, beobachtet und kritisiert. Ich stellte mich in der Schlange an und holte mir einen Hamburger mit Salat. Ein Glas Wasser und schon war ich aus der Menschenmenge verschwunden. In eine Ecke von allen abgelegen, ließ ich mich an einem Tisch nieder, an dem bereits ein Mädchen saß. Sie hatte langes, braunes Haar und dunkelblaue Augen. Sie lächelte mich kurz an und widmete sich dann gezwungen wieder ihrem Essen. "Na, auch keinen Hunger?", fragte ich und sie nickte abwesend. "Bist du der Junge der acht Monate im Koma lag?" Ich nickte und schaute auf meinen Burger. Es nervte mich jetzt schon. "Ich weiß das du sicher genervt davon bist, aber ich bin verblüfft wie stark du bist. Ich meine, das du acht Monate geschlafen hast und trotzdem bereit bist, dich hierhin zu setzen, das tut nicht jeder. Du musst Nerven aus Stahl haben." Sie grinste leicht und blickte nun in mein Gesicht. Gelb traf auf Dunkelblau. Irgendwie war sie hübsch, aber vermutlich zu jung. "Wie heißt du?", fragte sie nun und trank was von ihrer Cola. "Max, du?" "Carolin." "Freut mich dich kennenzulernen, Carolin." Einige Sekunden schwieg sie. "Wie alt bist du?" "17, du?" "14." Kurz blieb mir der Atem Weg. Was machte ein so junges Mädchen schon hier? "Ich werde als psychisch gestört abgestempelt, falls das deine Frage beantwortet. Ich wurde von meiner Mutter geschlagen, mein Stiefvater hat mich vergewaltigt, meine Geschwister haben mich gemobbt und in der Schule wurde ich täglich verprügelt. Ich habe besondere Fähigkeiten, weshalb meine Mutter erst recht der Meinung war das ich Hilfe bräuchte, nachdem sie rausfand das ich mich selber verletze und mich umbringen wollte. Sie hat mich ausgelacht und gemeint, das ich wenn ich mich umbringen will, es wenigstens können sollte. Aber was Solls, so ist das leben. Ich bin seit 3 Monaten hier und habe gelernt das es mir egal ist. Und weshalb bist du hier?" Ich schluckte stark. "Sind diese besonderen Fähigkeiten Gedankenlesen?" Sie nickte stumm und schaute mich stur an. "Weißt du, meine Freundin konnte das auch. Sie hat sich vor 10 Monaten umgebracht und noch heute kann ich sie in meinen Träumen sehen. Sie redet mit mir, als wäre sie noch hier. Weshalb ich immer ins Koma Falle, ist das meine Freundin mich in die Welt der Toten holt. Das schädigt meinen Körper und er setzt die Lebendigkeit aus. Somit denken alle ich wäre tot, dabei schlafe ich nur und bin in meiner Traumwelt gefangen. Ich habe 8 Monaten eine neue Freundin, die Tag und Nacht an meinem Bett gesessen hat, die ebenfalls Gedankenlesen kann. Ich kenne viele die das können, ich kann es jedoch nicht. Ich kann dafür Menschen ihre Taten ändern lassen, dafür sorgen das sie etwas tun was sie nicht wollen. Ich kann Ihnen Schmerzen zufügen, Ihnen Albträume bereiten und sie vielleicht sogar töten. Ich kann Dinge heraufbeschwören, die nicht vom Schicksal geplant sind. Ich finde, das du ein hübsches Mädchen bist und ich finde deine Begabung toll. Ich würde das auch gerne können." Sie schwieg einzige Zeit, dann schob sie ihr Tablett beiseite. "Möchtest du mir erzählen weshalb du hier bist?", fragte sie sanft und ich nickte. "Nachdem meine Freundin sich umgebracht hatte, habe ich aufgehört zu essen, habe immer mehr Alkohol getrunken und habe einen gescheiterten Suizidversuch hinter mich gebracht. Ich kam damit nicht klar und wollte niemanden an mich ran lassen. Nun sitze ich hier, weil ich von einer irren Frau verfolgt werde, dich mich umbringen will, aber alles immer so darstellt als würde ich mich selber umbringen wollen. Ich werde ebenfalls für gestört abgestempelt, aber das ist mir egal." "Wieviel wiegst du?" "Grob geschätzt, 54 Kilo." "Das ist für deine Größe aber nicht wirklich gesund.", sagte sie leicht besorgt und zog ihre Augenbrauen nach oben. "Ich habe einfach keinen Hunger mehr, nachdem ich mein Essen mehrmals bewusst ausgekotzt habe, hat sich mein Magen daran gewöhnt ohne Nahrung auszukommen." Ich schaute auf den Hamburger, der mich irgendwie anwiderte. "Kenne ich, aber ich habe gelernt das es okay ist zu essen, zu leben und glücklich zu sein. Du hast eine neue Freundin gefunden, das ist ein Fortschritt. Der nächste ist zu lernen wieder zu essen." Sie grinste leicht und schon mir Ihr restliches essen rüber. "Fang lieber klein an, gleich einen Hamburger zu verdrücken wäre doch noch zu viel." Also nahm ich mir das Brötchen das sie da liegen hatte. "Du siehst ziemlich müde aus." Ich zuckte mit den Schultern. "Bin ich auch." "Wollen wir ein wenig spazieren gehen?" Ich nickte und wir standen auf. Draußen auf dem Gelände liefen wir einfach schweigend nebeneinander her. "In welche Klasse gehst du?", brach ich nach einigen Minuten das schweigen. "9. Du?" "Abitur." Sie schaute etwas erstaunt und nickte dann. "Allerdings muss ich jetzt zum zweiten Mal wiederholen." "Warum?", fragte sie nun lachend. "War zu selten da und jetzt das hier, die 8 Monate Koma. Ich hätte keinen blassen Schimmer in den Prüfungen gehabt." Wir beide mussten lachen, obwohl die Situation mehr traurig als witzig war. "Ich mag dich." Sie schaute mich allerdings nicht bei diesen Worten an, sie blickte auf den Boden. "Ich dich auch." Und somit verlief der restliche Spaziergang ziemlich ruhig. Ein paar mal redeten wir über unwichtige Dinge aber mehr auch nicht. An der Eingangstür umarmten wir uns und sie verschwand in den Millionen von Gängen. Wir hatten nun 14 Uhr. Um 15 Uhr war meine erste Therapiestunde. Also verbrachte ich meine Zeit damit an die Decke zu starren und mich zu langweilen. Ich lief nur ungern zu Raum 3008 in dem meine Therapiestunde stattfand, aber ich hatte keine Wahl. "Hallo Max, setz dich.", sagte eine junge Frau. "Nenn mich Lilly." Ich nickte nur und ließ mich immer tiefer in meinen Stuhl sinken. Eine Stunde lang diskutieren wir darüber das es mir gut ging aber ich halt einfach sterben möchte weil nichts mehr für mich einen Sinn ohne Kaithlin hatte. Nachdem sie keine Lust mehr hatte und meinte das ich morgen wieder kommen soll, war ich direkt auf mein Zimmer gegangen und habe das Abendessen ausfallen lassen. Vermutlich hätte ich sonst noch gekotzt wenn ich was gegessen hätte. Morgen war mein erster Schultag an einer ganz anderen Schule als ich sie je kennengelernt habe. Eine Schule voller Menschen, die schlimmere Erlebnisse erlitten haben. Menschen wie Carolin.

The Song of the DeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt