Kapitel 272 - Es ist vollbracht

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Ravely

Mit schnellen Schritten laufe ich durch den Flur des Krankenhauses und suche das Zimmer, in dem Anne lag. Nur wage kann ich mich daran erinnern und dass es halb drei morgens ist, macht die ganze Situation auch nicht einfacher. Hier sollte dringend mal ein Arzt lang laufen, der mir helfen kann. Als Harry einfach mitten in der Nacht verschwunden ist, hatte ich mir schon gedacht, dass er zu Anne gegangen ist. Nachts einen Spaziergang zu machen, würde nicht zu ihm passen. Und als er mich dann auch noch glücklich angerufen hat, weil sie aufgewacht ist, wurde meine Vermutung bestätigt. Deswegen jogge ich um halb drei morgens im Krankenhaus umher und verzweifle, weil ich dieses verflixte Zimmer nicht finde.

Ich sehe von weiten einen Arzt durch den Gang laufen. Schnell gehe ich zu ihm und tippe ihn an. „Hallo? Könnten Sie mir vielleicht – Harry?"

Harry grinst mich breit an. „Da bist du ja."

„Wieso trägst du einen Arztkittel?", frage ich verwirrt, während wir durch den Gang laufen.

„Erzähl' ich dir später", meint er und öffnet eine Tür nicht weit von uns entfernt.

Innerlich klatsche ich mir die Hand an die Stirn. Ich wirre schon seit einer halben Ewigkeit hier umher und dabei war das Zimmer genau vor meiner Nase.

Wir betreten das Zimmer und eine verbeulte Anne lächelt uns zu. „Hach, schönen guten Morgen, Ravely", grüßt sie mich und ich wundere mich sofort, wie sie so munter sein kann. Sie sieht immer noch grausam aus.

„Guten Morgen", gebe ich zurück. „Schön, dich wieder wach zu sehen."

„Schön, wieder wach zu sein." Sie schreit leise auf, weil eine Schwester ihr gerade eine Spritze in den Arm gepikst hat. „Entschuldigen Sie mal, ich bin kein Nadelbett."

„Tut mir leid", sagt die Schwester schuldbewusst und versucht es erneut.

Harry setzt sich mit einem zufriedenen Lächeln auf den Stuhl neben das Bett und ich lehne mich an die Fensterbank.

„Wusstet ihr, dass dieser Mythos, dass wenn man im Koma liegt, aber trotzdem alles um sich herum mitbekommt, stimmt?", fragt Anne, als die Schwester ein Pflaster auf den blutenden Fleck an ihrem Arm klebt.

„Tatsächlich?", fragt Harry. Er wirkt so glücklich und ausgeglichen, dass mir sofort das Herz aufgeht. Er war ständig so angespannt und jetzt ist er einfach sorgenlos. Es tut gut, ihn so zu sehen.

„Ja", sagt Anne. „Ich habe wirklich alles mitbekommen. Jedes einzelne Wort. Sogar wie Josephine einen fahren lassen hat, als ihr alle weg wart."

Harry und ich lachen. Typisch Anne.

„Und ja, ich habe auch gehört, was du mir gesagt hast, Harry", sagt Anne jetzt und wirft ihm einen Blick zu.

Mit gerunzelter Stirn sehe ich zu ihm. Er wirkt ertappt. Was hat er ihr denn gesagt?

„Ach", macht er mit großen Augen. „Echt?"

„Ja. Darüber reden wir später. Ich muss nämlich dringend auf's Klo."

„Ich rufe die Schwester", sagt Harry und steht auf, um den Knopf über ihrem Bett zu drücken, weil die Schwester schon verschwunden ist.

„Nein, bitte nicht", stöhnt Anne. „Ich will mich nicht von fremden Frauen betatschen lassen, während ich pinkle."

„Also ich will dir eigentlich auch nicht bei pinkeln zusehen", lacht Harry und setzt sich wieder hin.

Anne sieht zu mir. „Hilfst du mir, Liebling?"

Ich blinzle. „Ich?"

„Ja. Wir stehen uns näher, vor dir ist mir das nicht unangenehm."

„Ähh", mache ich. „Also ich weiß nicht. Ich denke nicht, dass ich dich tragen kann."

„Harry hilft dir und dann hilfst du mir auf dem Klo, ja?" Ihr Blick ist flehend. „Bitte."

Noch bevor ich tatsächlich mit mir kämpfe, ob ich Anne wirklich auf das Klo helfen soll und ihr dadurch vielleicht noch etwas breche oder wir lieber einfach die Schwester rufen, kommt Robin ins Zimmer.

Seine Miene erhellt sich ebenfalls, als er die muntere Anne sieht. „Liebling, endlich bist du wieder da", freut er sich überglücklich und geht zu ihr, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn, weil das die einzige Stelle ist, wo keine Wunde ist. „Du hast mir gefehlt."

„Ich war doch nur ein Tag weg, Robin", sagt Anne und verdreht die Augen. „Aber gut, dass du da bist. Du musst mir aufs Klo helfen."

Robin atmet mit tief durch und verdreht ebenfalls die Augen. „Kaum bin ich hier, muss ich wieder die Drecksarbeit machen."

„Beschwer dich nicht." Anne setzt sich etwas mehr auf und streckt ihre Arme zu Robin. „Beeil dich besser, es ist wirklich dringend."

„Sind dafür nicht die Schwestern zuständig?"

„Schatz. Trag mich jetzt zum Klo."

Schließlich seufzt er ergeben und trägt Anne vorsichtig ins Badezimmer, er schließt hinter sich die Tür.

Ich sehe zu Harry, der immer noch ein Lächeln auf den Lippen hat. Es ist einfach beruhigend, ihn so zu sehen. „Du siehst zufrieden aus", lasse ich ihn schmunzelnd wissen.

Er sieht zu mir. „Bin ich auch. Mehr als das. Ich dachte, sie würde noch ein paar Tage im Koma liegen."

„Ja, es ist wirklich ein Wunder." Nach einer kurzen Pause, frage ich: „Wieso bist du eigentlich zu ihr gefahren?"

Er seufzt und lehnt sich in dem Stuhl zurück. „Ich hatte so einen abgefuckten Traum und daraufhin musste ich sie einfach sehen. Und dass sie auch noch heute Nacht aufgewacht ist, macht es tausend Mal besser."

„Stimmt. Jetzt kannst du Weihnachten vielleicht schon mit ihr Zuhause feiern."

„Ich weiß noch nicht, ob ich an Weihnachten in England sein werde."

Ich runzle die Stirn. „Wieso? Wo wirst du sonst sein?"

Er sieht mich schief lächelnd an. „Ich hatte überlegt Weihnachten in New York zu feiern. Mir wurde gesagt, dass Weihnachten dort das Beste überhaupt sein soll."

Wie auf Knopfdruck habe ich ein breites Grinsen im Gesicht und meine Körperwärme steigt. Harry will tatsächlich nach New York kommen. Und hoffentlich natürlich gemeinsam mit mir Weihnachten feiern, zumindest nehme ich das an. „Nirgends ist es besser", sage ich grinsend.

„Das dachte ich mir schon. Dann sollten wir am besten –"

Er wird von der Badezimmertür unterbrochen, die von Robin aufgetreten wird, weil er Anne im Arm hat. „Es ist vollbracht", stöhnt er, als hätte er einen Marathon hinter sich.

„Und wie es vollbracht ist", kichert Anne, die sich von Robin ins Bett legen lässt. „Wir haben zufällig euer Gespräch über Weihnachten mitbekommen und –"

„Eigentlich hat sie mir verboten ein Ton von mir zu geben, damit sie euch belauschen kann", korrigiert Robin amüsiert.

„Liebling, du bist ein schlechter Ehemann. Wie auch immer. Wir haben euer Gespräch mitbekommen und ich sage dir eins Harry: Das ist das erste Mal, dass du Weihnachten nicht Zuhause feierst und wage es dich nicht, ohne ein New Yorker Geschenk wiederzukommen." Harry lacht und Anne fügt noch hinzu: „Aber ja, ich erlaube dir, dass du nach New York zu Ravely gehen darfst."

„Du erlaubst es mir?", fragt Harry spottend.

Anne nickt und lehnt sich zurück. „Ja. Du hast die letzten Monate bei uns Zuhause verbracht, von daher bist du wieder mein kleines Baby, deswegen erlaube ich es dir. Und außerdem denke ich, dass du bei Ravely gut aufgehoben bist." Sie sieht zu mir. „Ist er doch oder?"

Ich grinse. „Denke schon."


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