Kapitel 252 - Weibliche Version von Harry

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Ravely

Als wir kollidierten? Wohl eher Als wir stahlen", lese ich empört den Artikel der Literaturklatsch vor, während Zayn von seinem Wein trinkt. „Ein Protagonist namens August, ein sterbendes Mädchen, eine unerfahrene Frau und die pure Dramatik gemischt mit einer Liebesgeschichte über Schicksal und Seelenverwandschaft. Wenn man an diesen Inhalt denkt, denkt man sofort an ein Buch. Doch nicht an das Buch, um welches es hier eigentlich gehen soll, sondern an den Als wir unendlich waren von Walter Hemmings. Die Autorin Tamara Winfield hat sich wohl ein bisschen zu sehr in den Platz eins Bestseller verguckt und dachte, dass man mit einer Kopie genauso viel Erfolg haben könnte. Was hat sich der Verlag Whiteman Inc. bloß dabei gedacht, so eine billige Nachmache zu veröffentlichen? Die Autorin muss sich wohl gedacht haben, dass nur weil sie das Buch anders enden lässt, als Walter Hemmings, es niemanden auffällt, von wem die Grundidee wirklich stammte. Wer Als wir unendlich waren kennt und das Buch Als wir kollidierten liest, wird das Buch sofort zur Seite legen, weil man den kompletten Inhalt schon zu kennen scheint. Mit diesem Werk hat sich Tamara Winfield selbst ins Fleisch geschnitten und ihren eigentlich angenehmen Schreibstil zu Grunde gehen lassen. So hat man kein Erfolg in der Welt der Literatur. Unser Fazit: Wegen der Tatsache, dass das Buch von Grund auf eine lächerliche Kopie ist, nicht zu empfehlen. Geben Sie Ihr Geld lieber für das Original aus, davon haben Sie mehr." Wütend schmeiße ich die Zeitschrift auf den Tisch und verschränke erbost die Arme. „Das können die doch nicht ernst meinen!"

„Zeig mal her", sagt Zayn locker und nimmt die Zeitschrift. „So kann das da doch nicht drin stehen."

Ich schnaube. „Glaubst du, ich denke mir das aus? Das ist doch unter aller Sau! Die können doch nicht einfach behaupten, dass ich geklaut hätte!"

Mit der Stirn in Falten gelegt, überfliegt Zayn den Artikel und legt die Zeitschrift dann hin. „Das gibt's doch nicht, das steht ja wirklich da."

„Natürlich steht das da! Zayn, das können die doch nicht bringen! Wer soll denn jetzt noch mein Buch lesen wollen?"

Überfordert sieht er auf die Zeitschrift. „Das ist wirklich krass ... Das ist ja reine Beleidigung." Jetzt sieht er mich an. „Du hast aber nicht geklaut oder?"

Ich runzle die Stirn. „Natürlich habe ich nicht geklaut! Ich habe einfach nur das niedergeschrieben, was ich zum Teil erlebt und zum Teil gedacht habe. Ich würde niemals von Harry klauen!"

„Hmm", macht Zayn und reibt sich nachdenklich das Kinn. „Auch wenn du nicht bewusst geklaut hast, hat dein Buch tatsächlich viel Ähnlichkeit mit Harrys."

Ich sehe ihn entrüstet an. „Zayn, ich habe ihm nichts abgeguckt!"

„Das sage ich ja auch gar nicht, jetzt bleib mal ruhig. Aber jetzt wo ich so darüber nachdenke, könnte dein Buch einfach nur eine abgekupferte Version von Pepes Sicht in Als wir unendlich waren sein. Das ist wirklich nicht böse gemeint, aber das könnte es tatsächlich sein. Bis auf das Ende, das passt einfach nicht ganz zu Harrys Buch."

Verzweifelt stemme ich den Kopf in die Hände. „Das war doch nicht meine Absicht. Ich wollte nicht einfach Pepes Sicht beschreiben ... Ich wollte einfach das schreiben, was ich erlebt habe, nur auf umschriebenere Art und Weise. Und den Namen August habe ich halt nur genommen, weil ... Keine Ahnung. August hat halt einfach mein Leben geprägt."

„Und daraus wurde die andere Seite von Als wir unendlich waren."

„Sag so was nicht."

„Wieso? Der Inhalt ist nun mal wirklich fast identisch."

„Aber ich kann doch nichts dafür, wenn Harry und ich irgendwie, na ja, das alles erlebt haben." Frustriert seufze ich. „Das ist doch bescheuert. Jetzt denkt jeder Tamara Winfield ist eine unkreative Diebin. Wahrscheinlich kann ich gleich morgen auf den Buchforen lesen, wie blöd ich bin und dass ich gleich mit meiner Literaturkarriere einpacken sollte."

„Ach, jetzt mach dir mal nicht so einen Kopf", sagt Zayn und schenkt mir mehr Wein in mein Glas. „Nicht jeder liest die Literaturklatsch. Außerdem kommt nächste Woche schon eine nächste Ausgabe raus und dann ist der Artikel wieder vergessen. Nur, weil dein Buch sich ein wenig mit Harrys gleicht, heißt das doch nicht, dass es schlecht ist."

Ich nehme das Glas und schwenke es ein wenig in meiner Hand. „Es ist einfach nur frustrierend. Ich habe mir so viel Mühe mit dem Buch gemacht, habe fast jede Nacht durchgeschrieben und es hat mich auch echt viel Überwindung gekostet, diese ganzen Momente mit Harry zu veröffentlichen. Und jetzt? Jetzt lese ich so was. Vielleicht sollte ich doch einfach im Büro arbeiten."

„Fang' bloß nicht wieder damit an", murrt Zayn. „Du bist Schriftstellerin und keine Bürotussi wie Angie, diese Bitch. Und jetzt stoß mit mir an und betrink dich."

„Es wird wohl bei einem Glas bleiben. Ich muss in einer Stunde im Diner sein."

„Du hattest doch gesagt, du arbeitest dieses Wochenende nicht."

„Ich habe gesagt am Samstag. Heute ist Freitag." Grinsend halte ich ihm mein Glas entgegen. „Morgen, Zayn, wirklich."

Er seufzt und stößt sein Weinglas an meins. „Okay. Wehe, du brichst es wieder."

Wir trinken beide einen Schluck von dem süßen Getränk und es herrscht Stille zwischen uns beiden. Dieser Artikel in der Literaturklatsch macht mich wirklich fertig. Nicht zu empfehlen, haben sie geschrieben. Nicht zu empfehlen. Kommt es wirklich so rüber, als hätte ich von Harry geklaut? So hatte ich mir die ganze Sache mit dem Buch veröffentlichen eigentlich nicht vorgestellt. Ich hatte es mir ... na ja, schöner vorgestellt. Es sollte mir Ehrgeiz geben, noch mehr zu schreiben und weiter an mir zu arbeiten, aber das versaut es mir einfach ein wenig.

„Übrigens ist Harry wieder in der Stadt", sagt Zayn nach einer Weile und ich lege sofort meine Gedanken beiseite.

„Ach ja?", sage ich mit heiserer Stimme und versuche meine Neugier zu unterdrücken.

„Ja, ich habe ihn heute an einem Zeitungsstand gesehen. Er hat sich ganz schön verändert."

Ich hebe die Braue. „Verändert?"

Zayn verzieht das Gesicht. „Ja ... Seine Haare. Die hättest du sehen müssen. Ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll."

„Hat er sie lang wachsen lassen?"

Er nickt und fuchtelt in seinen Haaren rum. „Ja und wie! Ich hätte echt nicht gedacht, dass Haare so schnell wachsen können, die gingen ihm schon fast bis zu den Schultern."

„Bis zu den Schultern?", kichere ich. „Um Gottes Willen."

„Bis zu den Schultern", lacht Zayn. „Aber irgendwie sah es auch gut aus. Ich weiß echt nicht. Erst dachte ich, es sei eine weibliche Version von ihm, aber dann ist mir seine Statur aufgefallen."

„Ja", schnaufe ich leise auf. „Harry als Frau ... Das geht wirklich nicht." Umso länger ich an ihn denke, umso tiefer sinkt meine Laune. Manchmal vermisse ich ihn einfach zu sehr. Ich würde ihn gerne mit langen Haaren sehen. Er hat damals schon immer gemeint, dass er sie lang wachsen lassen will.

„Sorry", sagt Zayn sofort entschuldigend. „Ich wollte nicht so viel über ihn reden. Aber ich dachte vielleicht, du solltest wissen, dass er hier ist."

Ich nicke leicht lächelnd. „Schon okay. Danke, dass du es mir gesagt hast. Wahrscheinlich musste er bei BPE noch ein paar Dinge klären. Vielleicht sitzt er ja jetzt wieder im Flugzeug nach England." Irgendwie hoffe ich es, doch irgendwie auch nicht.

„Ja, wahrscheinlich", gähnt Zayn. „Merkst du was? Sich nur halb zu betrinken macht müde. Du solltest heute Abend im Diner absagen. Ich lade Jake, Luke und Nicole ein, dann machen wir uns einen lustigen Abend."

Ich lache auf. „Nein, tut mir leid."

Forever Collide 3 Where stories live. Discover now