Kapitel 63

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[EXTRA UPDATE]

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Einige Tage vergingen, in denen sich Louis nicht gemeldet hatte. Noch weniger erwartet hätte ich es von Harry, der mich sonst immer mit Nachrichten bombardiert hatte. Total gelangweilt saß ich auf dem unbequemen und großen Ledersofa im Wohnzimmer. Heute war schon der 30. Dezember und der vorletzte Tag des Jahres. Ein Jahr voller schrecklicher Ereignisse, die ich nicht so schnell vergessen werde. Ich spielte mit dem Gedanke mir gute Vorsätze für das kommende Jahr aufzuschreiben. Aber nur bei knapp der Hälfte der Menschheit wurden die Wünsche auch eingehalten und erledigt. Ich wusste jetzt schon, dass ich definitiv viel zu faul dafür war und lieber in meinem Bett lag und am Nichtstun war. Auch eine gute Art sich die Zeit breitzulegen. Sowas entstand, wenn man einfach keine Freunde hatte, die einen auf ein Eis oder auf einen gemütlichen Spaziergang einluden.

Brauchte ich eigentlich Freunde?

Ich kam schon so mit meinem langweiligen Leben klar. Meine Mutter hatte mich sowieso angemeckert, wieso ich nur so lange wegbleiben konnte. Mit Jungs. Klar, da konnten schon einige Dummheiten in meinem Alter passieren, aber schließlich wussten wir beide, dass sich kein Junge bzw. kein Mann sich jemals an mir vergreifen würde. Meine Mutter sollte damit klarkommen, dass sie keine Enkelkinder kriegen wird. Niemand wird je zu ihr Oma sagen und ich werde niemals das Wort Mutter hören. Auch toll.

Ich knabberte auf den dünnen Holzstiel herum, den ich in meinem Mund drehte und auch in der Mitte durchbrach. Es schmeckte noch ein bisschen nach Vanilleeis. Ja, nur ich schaffte es an kalten Tagen Eis zu fressen.

„Nimm den aus dem Mund, sonst verschluckst du dich noch.", brabbelte meine Mutter, die mit einer Tasse Kaffee in den Raum kam. Der intensive Geruch verbreitete sich schnell und ließ mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Ich wollte auch so einen, weshalb ich das zerbrochene Holz auf den Glastisch legte. Sie schnaubte darüber.

„Schmeiß den weg."

Ich verdrehte die Augen und tat den in das Papier. Es war kein Wegschmeißen, aber somit lag der vollgespuckte Stiel nicht mehr auf dem Glas. Dann rutschte ich zu meiner Mutter, die noch Kekse mit im Petto hatte und die immer wieder in die heiße Brühe eintauchte. So schmeckte es einfach immer am besten. Ich wollte nach den Keksen greifen, dabei wurde mir auf die Hand geschlagen.

„Das sind meine. Finger weg! In der Küche sind noch welche.", fauchte sie ganz plötzlich. Erschrocken zog ich meine Hand weg und musterte sie entsetzt von der Seite, die sich nicht weiter störte und ihre komischen Nachmittagssendungen schaute, die für mich nie Sinn ergaben. Ich hatte keine Lust extra aufzustehen und lehnte mich mit verschränkten Armen zurück. Dann sollte sie eben ihre Butterkekse alleine essen und sich die Zunge an den Kaffee verbrühen. Das wäre mir dann auch recht. Ich rutschte wieder zurück in meine Sofaecke, wo ich es mir bequem machte und ein paar Strähnen zwirbelte. Ich musste unbedingt wieder zum Frisör. Aber selbst darum kümmerte sie sich nicht. Meine Mutter war eine richtige Singelfrau, die einfach nichts tat und sich damit abfinden musste, dass sie mal vor 15 Jahren ein Kind bekommen hatte von einen Mann, der jetzt nicht mehr da war. Er war weg. Ja, mein Vater war ein extremer Alkoholiker, den meine Ma nicht mehr unter Kontrolle bekam. Er ging ständig weg und betrog sie bei jeder Situation. Aber meine Mutter war so naiv und hatte ihn immer wieder bemuttert und gesagt, dass alles gut wird. Aber das wurde es nicht. Es wurde noch schlimmer. Selbst mich hatte er gehasst. Er meinte einmal, dass ich gar nicht seine Tochter sein könnte, weil ich nicht reden kann und er Missgeburten als eine Schande der Menschheit anässlisehe. Das hatte den ultimativen Stich in meinem Herzen versetzt. Schlimmer als das geht nicht mehr. Niemand kann mich so schlimm verletzen, wie er es einmal getan hat. Aber sowas sagte er immer nur in einem alkoholisierten Zustand. Nüchtern war er der beste Papa, den man sich vorstellen konnte. Er war nicht hässlich oder unattraktiv. Man konnte bald sagen, dass er der Traummann schlecht hin war mit seinen eisblauen Augen und seinen scharmanten Lächeln. Zudem war er recht groß und gut gebaut. Er hatte einen ausgesprochen guten Job und genau deshalb fragte ich mich immer, warum er sich sein Leben durch Alkohol so verbauen musste. Eigentlich hatte er alles geschafft, was ein richtiger Mann schaffen sollte.

In Hell's KitchenWhere stories live. Discover now