148. Alex

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Eigentlich wollte ich die letzte Woche bis zum Saisonstart in meiner Wohnung untertauchen und einfach allein sein. Aber es war doch irgendwie vorherzusehen, dass es so einfach nicht werden wird.

Elias fragt mich ständig, wann ich endlich zurückkomme. Er hat sich öfter mal zwischendurch gemeldet und meinte, ich solle ihm sofort Bescheid geben, wenn ich wieder da bin. Er will mit mir trainieren und hat mir wohl was super Wichtiges zu erzählen, das einfach nicht mehr warten kann.

Wirklich Lust darauf habe ich nicht, um ehrlich zu sein. Nicht wegen Elias an sich, sondern weil ich gerade einfach nicht die Kraft habe, jemand zu sein, mit dem man gerne seine Zeit verbringt.

Elias und ich verstehen uns mittlerweile echt gut, ich will das nicht kaputt machen, indem er mich so launisch erlebt. Erstmal muss ich es schaffen, die Kontrolle über mich selbst wieder zu erlangen.

Eigentlich ist das doch nur eine Sache der Motivation. Ich brauche einfach einen Grund, mich aufzuraffen, mich anzuziehen, mich zu bewaffnen und dann raus in die große, weite Welt zu ziehen. Aber genau dieser Grund fehlt mir.

Immer wieder habe ich Gedanken wie solche, dass es am besten wäre, ich würde einfach hier liegen bleiben. Für immer.

Wer würde mich denn schon vermissen? Der erste, der mir da einfällt, ist Matt. Aber der hat jetzt seinen Tony. Er braucht mich nicht mehr. Er kann jetzt für sich selbst sorgen. Und Tony hat Matt. Lucy hat Nico, Marc kommt immer irgendwie durch, Tyler hat mir sehr deutlich gemacht, dass er auch ohne mich weiterleben kann und wird und ganz ehrlich, ohne mich als Klotz am Bein, kann es ihm doch nur bessergehen als mit mir.

Meine Eltern... Die wären genauso froh, wenn sie mich los sind. Dann müssten sie sich schon nicht mehr für eine Enttäuschung wie mich schämen und sie hätten deutlich weniger Sorgen in ihrem Leben. Meine Mum könnte sich endlich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren und mein Dad könnte sich seiner neuen Familie widmen.

Jetzt mal ehrlich, wieso gibt es mich überhaupt? Ich mache immer nur alles falsch, ich verletze Menschen, ich sorge für Chaos und Streit und versuche mich dann irgendwie durchzumogeln.

Meine Mum hatte recht. Ich lüge die ganze Zeit. So viel, dass ich vergessen habe, was die Wahrheit ist. Ich habe keine Ahnung mehr, was mich antreibt, was ich will und wer ich überhaupt bin. Ich will einfach, dass es aufhört, das alles. Ich will morgen nicht aufwachen und nochmal einen ganzen Tag erleben müssen. Ich kann einfach nicht mehr.

Wieso ich trotzdem zugesagt habe, mich mit Elias zu treffen, weiß ich selbst nicht. Wahrscheinlich ist meine Angst, dass er plötzlich vor der Tür steht und solange dagegen hämmert, bis ich aufmache oder das Holz nachgibt, dann doch größer als meine neu erworbene Menschenscheu. Und vielleicht bringt es mir ja irgendwas, mich dazu zwingen, mich zusammenzureißen und jemanden zu präsentieren, der ich sein sollte. So kann ich für die nächsten Wochen, in denen ich wieder regelmäßig auf Menschen treffen muss, üben.

Ich brauche ungewöhnlich lange, um mich fertig zu machen. Heute funktioniert irgendwie alles nur in Zeitlupe und, dass ich das Gefühl habe, dass nichts mehr in meiner Wohnung dort steht, wo es sein sollte, macht es nicht besser.

Ich kann mich beispielsweise nicht daran erinnern, einen Block offen auf dem Tisch liegengelassen beziehungsweise überhaupt einen besessen zu haben. Aber wirklich viel Aufmerksamkeit bekommt dieser Umstand von mir nicht. Ich bin auf der Suche nach meiner Tommy Hilfiger Cap. Unter der kann ich meine Haare verstecken und muss somit keine wertvolle Energie investieren, um sie zu stylen.

Ich suche bestimmt eine halbe Stunde – oder es kommt mir einfach nur so vor – bis ich aufgebe und mich alternativ für eine von Adidas entscheide, bevor ich losmuss, um meinen Bus zu erwischen.

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