140. Tyler

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Julian erklärt mir jetzt schon seit bestimmt 2 Stunden, warum er gerne eine Katze wäre. Keine Frage, dass er immer wieder neue Argumente findet, ist durchaus beeindruckend, aber so langsam habe ich verstanden, was er mir sagen will. Allerdings will ich ihn auch nicht unterbrechen, er wirkt so sorglos, während er darüber plaudert und John scheint durch seine Stimme gerade in einen ruhigen Schlaf gefunden zu haben, also kann ich das nicht zerstören.

Wir sitzen auf einer Bank im Eingangsbereich des Krankenhauses. Naja Julian und ich sitzen. John liegt dort, mit dem Kopf auf Julians Schoß und schläft eine Runde, während Julian ihm die Haare krault und mir seinen Monolog vorträgt.

Ich nicke zwar hin und wieder und lächele zustimmend, habe aber insgeheim schon vor einer ganzen Weile aufgehört, richtig zuzuhören.

Julian ist wirklich ein Süßer und ich mag ihn auch echt gerne, aber das Thema hat für mich nach einer gewissen Zeit einfach an Spannung verloren. Er hat den richtigen Moment verpasst, zu irgendetwas anderem überzuleiten und schwärmt jetzt endlos über das Leben als Katze.

„Und du? Welches Tier wärst du gern?", fragt er mich irgendwann und reißt mich somit leicht aus meiner Trance.

So zu tun als würde ich ihm zuhören und dabei einfach abzuschalten kam fast schon einer Meditation gleich.

„Ein Löwe", antworte ich, ohne wirklich nachzudenken.

„Und wieso?" Julian schaut mich neugierig an.

Ich zucke mit den Schultern. „Einfach so".

Alex und ich wären bestimmt ein tolles Löwenpaar. Wir könnten durch die Steppen ziehen, ein romantisches Alltagserlebnis daraus machen, gemeinsam zu jagen, verstoßene Löwenbabys adoptieren und ihnen Liebe schenken, uns ein eigenes Revier aufbauen... Das Leben könnte so einfach sein. Ist es aber nicht.

„Sag mal, wann gehst du jetzt eigentlich Fotografie studieren? Im März?"

Bisher hatte ich nie die Gelegenheit, Julian zu fragen, warum er seine Anmeldung schon wieder nach hinten verschoben hat. Es kam mir wie ein sensibles Thema vor, das man nicht mal schnell zwischen Tür und Angel besprechen kann. Aber jetzt haben wir Zeit, obwohl ich zugeben muss, dass meine Art, es zur Sprache zu bringen, wenig elegant war.

„Nächsten Winter" Julian wirkt nun deutlich weniger begeistert und erfreut. Er löst seinen Blick aus meinem und schaut runter zu John, der in seinem Schoß nach wie vor friedlich schläft. „Im Sommer anzufangen ist blöd. Lieber verdiene ich nochmal eine Saison gut auf dem Bau und kann noch etwas an meiner Bewerbungsmappe feilen. Und außerdem will ich..." Er schluckt nervös. „...Ich will John dann fragen, ob er mit mir kommt."

Vorsichtig hebt er den Blick wieder, um mich anzusehen. „Was hältst du davon?"

Keine Ahnung. Obwohl ich wusste, dass John und ich nicht ewig zusammen wohnen werden und ich das ja auch gar nicht will, schockiert mich die Vorstellung davon, dass es doch mal so sein wird, irgendwie. Ich bin schon so daran gewöhnt zu wissen, dass er in der Nähe ist und wir uns jeden Tag begegnen, dass es mir sogar ein bisschen Angst macht daran zu denken, dass es nicht ewig so weitergehen wird.

John ist mein bester Freund. Wir haben so viel zusammen durchgemacht und haben einander dabei zugesehen, wie wir uns immer weiterentwickelt haben, haben uns unterstützt und geholfen, waren füreinander da. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen würde.

Aber John gehört nun mal nicht mehr zu mir. Er gehört jetzt zu Julian, er liebt ihn und ich weiß genau, dass es ihn sehr glücklich machen würde, mit ihm zu gehen. Ich bin der letzte, der dem im Weg stehen will, nur, weil ich Angst davor habe, allein zu sein.

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