14. Tyler

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Zur heutigen Zeit und in einer Welt wie dieser gibt es nicht mehr viel, dessen man sich sicher sein kann.

Manchmal, leider viel zu oft, fühlt es sich so an, als breche alles auseinander. Als stünde man im Keller eines Hochhauses, das einfach über einem zusammenbricht und man steht da und wird schneller davon begraben, als man überhaupt begreifen kann, was genau passiert, bis die Trümmer einen bereits erschlagen haben.

Ungefähr so geht es mir grade auch. Ich habe keine Ahnung, wie ich in diese Lage gekommen bin. Ich weiß nur, dass ich da nicht mehr so einfach rauskommen werde, schon gar nicht allein. Und ganz egal, wie sehr ich mir wünsche, dass die Welt nur für einen kleinen Moment anhält, damit ich mich sammeln und aufschließen kann... sie wird sich weiterdrehen. Und wenn ich nicht dranbleibe, dann tut sie das auch ohne mich.

Ich hatte jetzt vier Tage Zeit, um zu begreifen, was geschehen ist und was das zu bedeuten hat, doch es war noch lange nicht genug, es auch wirklich so weit zu verarbeiten, dass ich sagen kann, ich weiß, wo ich stehe und ich weiß, wo ich hinmuss.

John ist wohl seit gestern wieder ansprechbar. Doch bisher war ich noch nicht dazu in der Lage, zu ihm zu gehen. Ich bin zwar seit Freitag im Krankenhaus und ich habe es auch schon bis vor seine Tür geschafft, aber ich konnte noch nicht zu ihm gehen. Ich will ihn dort nicht liegen sehen und wissen, dass ich dafür verantwortlich bin, dass er dort liegt. Aber gerade weil ich die letzten Monate nur auf mich selbst und meinen Willen geachtet habe, und genau das mich in diese Position gebracht hat, muss ich jetzt damit aufhören. Es geht nicht mehr um mich und darum was ich brauche und was mich glücklich machen würde. Das ist grade sowas von egal. Ich habe lange genug die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen und die Verantwortung von mir geschoben.

Dass ich es diesmal schaffe, an die Tür zu klopfen, liegt weniger an meiner Überzeugung als an meinen Schuldgefühlen. Jede Sekunde scheinen sie nur noch schlimmer zu werden.

Obwohl keine Antwort ertönt, trete ich ein. So leise wie mein Klopfen war, wird John es nicht mal gehört haben.

Ein vorsichtiger Blick um die Ecke offenbart mir John, aufgerichtet in dem Krankenhausbett, einen Katalog vor sich und einen Stift in der Hand. Er schaut konzentriert auf die Seite, ehe er etwas schreibt und sich das ganze wiederholt. Er macht Kreuzworträtsel. Er sitzt da und macht Kreuzworträtsel.

Das ist ein so starker Kontrast zu dem Bild, das sich seit vier Tagen einfach nicht aus meinem Kopf vertreiben lässt, dass ich fast lachen muss. Aber nur fast.

„Hei, Jonny" Vorsichtig gehe ich auf ihn zu.

Er hebt den Kopf, schaut mich an und lässt langsam den Stift sinken. Er schluckt heftig, fast so als erwarte er jetzt eine Szene von mir, als würde ich ihn jeden Moment in Grund und Boden schreien. Dabei sollte eigentlich allein durch meine krächzende Stimme deutlich geworden sein, dass ich für sowas einfach nicht die Kraft habe. Und ich habe auch kein Recht dazu.

„Hi", meint er einsilbig, legt dann den Stift in das Buch, schließt es und legt es neben sich im Bett ab.

Ich bleibe knapp neben ihm stehen, sehe ihn an, doch er schaut bloß auf seine unter der Decke versteckten Fußspitzen.

Vorsichtig greife ich nach seiner Hand. Er beißt sich nervös auf die Lippe, erwidert den Druck aber leicht.

Ich habe keine Ahnung, wie lande das so weitergeht. Es könnten Sekunden sein, aber auch Stunden. Ich sehe ihn einfach an und versuche zu begreifen, wie der Mann, den ich liebe, seit ich glaube zu wissen, was Liebe überhaupt ist, an den Punkt kommen konnte, an dem er versucht, sein eigenes Leben zu beenden. Nein, ich frage mich, wie ich solange nicht sehen konnte, dass alles auf diesen Punkt zusteuert.

Teach me LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt