1. Alex

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Ich glaube in der gesamten Menschheitsgeschichte hatte noch nie jemand so wenig Lust auf seinen 18ten Geburtstag wie ich. Dabei gibt es doch eigentlich genug Gründe zu feiern. Ich werde erwachsen, volljährig, kann endlich legal und ohne gefälschten Ausweis harten Alkohol kaufen, ohne Probleme in die besten Clubs reinkommen und dort solange bleiben, wie ich will. Gleichzeitig bekomme ich heute mein Abschlusszeugnis und bin demnach endlich offiziell aus diesem Drecksloch von Schule entlassen.

Eigentlich freue ich mich wirklich darauf, mein Abschlusszeugnis in der Hand zu halten. Wäre da nie die Ungewissheit über meine Zukunft.

Ich habe begriffen, dass meine Chancen, Fußballer zu werden ziemlich schlecht stehen, nachdem ich jetzt schon seit Wochen auf die Antwort zu meinem Probetraining warte. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass das hinhauen wird. Ich weiß, dass ich gut spiele, verdammt gut. Aber ich weiß auch, dass ich eigentlich zu alt bin, um noch in den Profisport einzusteigen und dieses Probetraining daher meine letzte Chance war.

Ein Teil von mir will sauer auf meine Mum sein. Darauf, dass sie es mir verboten hat, vorherige Angebote anzunehmen. Verdammt, ich bin für die Deutschland-Auswahl gesichtet worden! Die Clubs haben sich um mein 13-Jähriges ich quasi gerissen! Meine Mum hat aber nie wirklich viel von Fußball oder Sport allgemein gehalten und obwohl sie mich auf der Hobby-Ebene immer voll unterstützt hat, wollte sie nie, dass ich aus meiner Leidenschaft meinen Beruf mache.

Ihre Ehe-Probleme mit meinem Dad haben nicht wirklich dazu beigetragen, dass sich die Lage für mich irgendwie positiv entwickelt hat. Eher im Gegenteil. Dass mein Dad der Meinung war, ich solle es versuchen, hat damals nur zu noch mehr Streit geführt, bis ich behauptet habe, dass ich das gar nicht mehr will, nur, um sie nicht mehr jeden Tag schreien hören zu müssen. Es ist einfach kein gutes Gefühl, der Grund dafür zu sein, dass zwei Menschen, die sich lieben sollten, sich beleidigen und einander sagen, wie sehr sie einander verabscheuen.

Mein Plan zum Bund zu gehen, ist ebenfalls fehlgeschlagen, nachdem die eine psychologische Einschätzung von meinem Aggressionsproblem wollten und ich meine Bewerbung schließlich zurückgezogen habe. Ich weiß doch selbst, dass bei mir was nicht stimmt, ich brauche nicht auch noch so einen Psychofuzi, der mir das ins Gesicht sagt und meine Psyche analysiert und auseinandernimmt und bewertet...

Mit Jura habe ich eigentlich schon abgeschlossen, seit ich das erste Mal wirklich mit Tyler darüber geredet habe. Er war der erste, der mich gefragt hat, ob ich das auch wirklich will. Der erste, der sich dafür interessiert hat, was ich will. Der einzige, der mir bewusstgemacht hat, dass ich nichts tun muss, nur um andere zufrieden zu stellen. Dass es nicht meine Aufgabe ist, meine Eltern glücklich zu machen... Er war der erste, der mich verstanden hat, selbst, wenn ich nichts gesagt habe. Doch gleichzeitig war er auch der erste, mit dem ich reden wollte. Über alles. Über meine Probleme, über meine Sorgen, über meine Ängste, über meine Gefühle, über mich. Darüber, wer ich bin und wer ich sein möchte.

Gott, ich vermisse ihn. Ich vermisse es, wie er mich ansieht, wenn er mir zuhört. Wie er mich anfasst, wenn er mich trösten will. Wie er mich küsst, wenn er mir zeigt, was ich ihm bedeute.

Die Vorstellung davon, dass Tyler wieder bei John ist, und keinen Gedanken an mich verschwendet, während ich bei allem, was ich tue, an ihn erinnert werde, quält mich fast mehr als die Befürchtung, dass alles, was zwischen uns war, nie etwas bedeutet hat.

Wer weiß, vielleicht erinnert er sich nicht mal wirklich an mich, während ich nachts wachliege und krampfhaft versuche, mich an das Gefühl zu erinnern, das ich hatte, immer, wenn er bei mir war.

Ich hasse diesen Tag heute nicht nur, weil Streit zwischen meinen Eltern, wenn sie aufeinandertreffen, quasi vorprogrammiert ist, sondern auch, weil ich weiß, dass ab heute mein letztes Stückchen Hoffnung erlöschen wird. Dieser Tag sollte sehr wichtig werden für Tyler und mich. Wir wollten ab heute offiziell zusammen sein. Er wäre nicht mehr mein Lehrer und ich wäre nicht mehr minderjährig. Ich habe ihm versprochen, mich zu outen. Ich hätte alles für ihn getan. Deshalb tut es so weh, dass er mir nicht mal die Chance gegeben hat, mein Versprechen einzuhalten, indem er seines gebrochen hat. Es sind jetzt vier verdammte Monate, seit ich ihn nicht mehr gesehen habe. Nicht mehr mit ihm gesprochen. Nicht mehr seine Berührungen gespürt.

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