12. Tyler

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Ich freue mich auf später. Ich kann gar nicht glauben, dass ich in weniger als 12 Stunden wieder bei Alex bin, ihn festhalten und riechen und küssen kann. Freitag ist ab heute offiziell mein Lieblingstag.

Dass John sich jedoch am Morgen zu mir setzt, bringt mich komplett aus dem Konzept. Früher stand er immer spätestens mit mir auf, um früh zur Arbeit zu gehen und dementsprechend früh wieder zurück sein zu können und weil er den Tag einfach mit mir starten wollte. Seit ein paar Wochen allerdings schläft er sogar noch, wenn ich am späten Nachmittag zurückkomme oder liegt dann einfach im Bett oder auf dem Sofa und existiert einfach vor sich hin. Manchmal zweifle ich dabei sogar an, dass er überhaupt noch atmet, beziehungsweise geistig wirklich anwesend ist, so leer und verloren, wie er dabei wirkt.

Es überrascht mich also, ihn heute um diese Uhrzeit frisch geduscht und fertig angezogen zu erleben, während er sich total über sein alltägliches Frühstück freut.

„Gehst du heute mal wieder arbeiten?", hake ich nach.

Es klingt irgendwie vorwurfsvoller, als es beabsichtigt war, aber es ist nun mal ein Fakt, dass unser gemeinsames Konto von seiner Seite aus nicht mehr wirklich gefüttert wird, während ich meinen monatlichen Beitrag weiterhin darauf überweise, da wir uns nach wie vor Kosten für Strom, Wasser, Nahrung und alles für den Haushalt teilen. Ich habe das sogar getan, als ich ein halbes Jahr lang gar nicht mehr hier gewohnt habe.

Nicht, dass das Konto von heute auf morgen leer sein wird, wenn er nichts mehr beisteuert, aber ich habe einfach keine Lust, ihn auf meine Kosten durchzufüttern, weil er sich einbildet, eine Arbeitspause zu brauchen, obwohl er sowieso den ganzen Tag nur dransitzt und irgendwas übersetzt. Mir ist zwar klar, dass das nicht anspruchslos ist, aber ich weiß auch, dass John das fast schon als Hobby macht. Er liebt seinen Job, daher hat es mich schon ganz gewundert, dass er seit Wochen nicht mehr arbeiten gegangen ist.Aber anscheinend hat er auch nicht vor, das weiterhin zu tun.

„Nein", antwortet er auf meine Frage.

Ich sehe ihn verwirrt an. „Wozu dann dieser Aufzug? Hast du was vor?"

Er zuckt bloß mit den Schultern.

Mit ihm zu reden ist echt schwer geworden. Seit er begriffen hat, dass aus uns nichts mehr wird, bemüht er sich nicht mal mehr um einen normalen Umgang miteinander. Er ignoriert mich einfach, beleidigt mich oder erstickt angehende Gespräche im Keim. Aber irgendwann muss ich mit ihm darüber reden, warum also nicht jetzt?

„Hör zu, John, du kannst nicht auf wenig nichts tun. Wir werden nicht für immer zusammenwohnen wohnen und mal ganz unabhängig davon, dass du dich darauf einstellen solltest, irgendwann wieder alleine zu wohnen, weißt du, dass ich will, dass du mir meinen Anteil der Wohnung abkaufst-"

Er unterbricht mich, bevor ich ihm erklären kann, dass ich diese Wohnung nicht will, da sie ihm schon immer besser gefallen hat als mir und ich ihm schon damals nur eine Hälfte des Preises abgenommen habe, weil er diese Wohnung unbedingt wollte, aber die finanziellen Mittel dazu nicht hatte, die komplett selbst zu bezahlen.

„Ich weiß, dass du das willst", seufzt er. Von seiner eben herrschenden guten Laune ist plötzlich nichts mehr übrig. Er wirkt erschöpft. „Und ich werde eine Möglichkeit finden, dir das zu ermöglichen"

Seine Worte sind zwar lieb gemeint, aber er klingt trotzdem ziemlich distanziert dabei. Bevor ich darauf eingehen kann, redet er weiter.

„Kommst du nochmal nachhause, bevor du zu deinem Liebhaber gehst?"

„Er ist nicht mein Liebhaber", stelle ich sofort im ernsten Ton klar.

Er soll nicht so abfällig über meine Beziehung reden. Mir ist klar, dass ihm das nicht gefällt, aber es regt mich auf, dass er im einen Moment so tut, als sei er voll okay damit und mich sogar solche Sachen fragt wie ob es gut läuft und ob ich glücklich bin und dann kommt sowas.

„Fickst du ihn oder nicht?" Er zieht herausfordernd eine Augenbraue hoch.

Ich schnaube, dabei ungläubig den Kopf schüttelnd. Was zur Hölle ist los mit ihm?

„Ja", antworte ich, ebenso provokativ wie er. „Und er mich. Schöne, lange, heiße Nächte lang"

Er kneift die Augen leicht zusammen und presst die Zähne aufeinander, ein Zeichen dafür, wie wütend er ist, doch, dass er nicht dazu bereit ist, das auch wirklich zu zeigen.

Die Augen verdrehend, genervt von dieser gesamten Situation, stehe ich auf, um mein Geschirr wegzubringen und meine am Vorbeigehen zu John, dass er die Wohnung nicht wieder verwüsten soll, bis ich zurückkomme. Er brummt nur.

Dann gehe ich in mein Zimmer, um mein Handy zu holen. Das würde mich morgens nur aufhalten, daher fasse ich es immer nur an, kurz bevor ich das Haus verlasse. Ich schreibe Alex fast schon routinemäßig eine Gute-Morgen-Nachricht, weiß aber, dass er die wohl erst gegen Mittag lesen wird, weil er bis dahin schläft. Manchmal ist er sogar total früh wach, geht dann joggen, aber legt sich wieder hin, um den Schlaf dann nachzuholen. Nach all dem Stress, dem er bisher ausgesetzt war, finde ich es ganz gut, dass er grade so locker in den Tag hineinlebt. Das tut ihm bestimmt gut, solange er es nicht macht wie John und dabei versauert, weil er das Zimmer bzw. die Wohnung nicht mehr verlässt. Alex hat es sich verdient, einfach abschalten zu können und zu tun, worauf er grade Lust hat, nachdem seine letzten Jahre von Druck, Stress und Angst geprägt waren.

Als ich auf meinem Weg aus der Wohnung am Esszimmer vorbeilaufe, springt John auf und rennt mir meinen Namen rufend nach.

„Es tut mir leid", schnauft er. Er ist echt nicht mehr viel Bewegung gewohnt. „Alexander ist dein fester Freund, das hab ich verstanden... Es tut einfach nur weh, daran zu denken, dass du bei ihm bist, während ich dich vermisse..."

„Jonny-"

„Ich weiß. Ich versuche, mich zu bessern, versprochen"

Ich habe diesen Satz schon so oft von ihm gehört, doch nie kam er mir ehrlicher vor als jetzt und das, obwohl er unendlich traurig dabei wirkt.

John geht es offensichtlich nicht gut zurzeit. Dass ihm sowas wie eben mal rausrutscht, kann ich ihm nicht allzu übelnehmen, ich weiß auch nicht, wie ich reagieren würde, wäre ich an seiner Stelle. Wahrscheinlich nicht halb so verständnisvoll wie er.

„Danke, ich weiß das zu schätzen", versichere ich ihm daher mit einem vorsichtigen Lächeln.

Er erwidert es, doch es erreicht seine Augen nicht. Im Gegenteil. Er wirkt so gequält wie nie zuvor.

„Kann ich... Also... Kann ich vielleicht eine kleine Umarmung haben?"

Als Antwort auf seine Frage ziehe ich ihn in meine Arme. Wie bereits erwähnt, liebe ich John nach wie vor. Ich will, dass wir irgendwann richtig gute Freunde sein können. Es gibt niemanden, der mich besser kennt als er und es gibt niemanden, der ihn besser kennt als ich. Wir haben so viel zusammen durchgemacht, so viel zusammen erlebt und obwohl auch einiges davon unschön war, will ich all das nicht einfach wegwerfen. Wer weiß, vielleicht lachen wir in ein paar Jahren sogar darüber. John gehört einfach in mein Leben, fast wie mein Herz in meinen Körper. Deshalb spiele ich kurz mit dem Gedanken, Alex für das Wochenende abzusagen und auf das nächste zu vertrösten, aber ich weiß, dass ich nicht riskieren sollte, ihn für John zu versetzen. Ich bin es Alex schuldig, dass er meine Aufmerksamkeit bekommt, wenn möglich, und ich bin nicht mehr für John verantwortlich. Wirklich mehr als eine freundschaftliche Umarmung kann ich ihm ohnehin nicht geben.

Obwohl wir uns lange und zugebenermaßen innig umarmen, wird es nicht unangenehm. Ich genieße es. Er hat mich ewig nicht mehr umarmt, schon gar nicht so. Rein, unschuldig. Es fühlt sich schön an, fast schon friedlich.

Trotzdem schiebe ich ihn nach viel zu langer Zeit von mir weg. Ich muss immerhin noch arbeiten, doch ich zeige ihm durch mein Lächeln, dass zwischen uns alles okay ist. Die Umarmung hat alles okay gemacht.

Erneut erwidert er es, wünscht mir ein schönes Wochenende, meint, ich soll es genießen und schiebt mich dann aus der Tür.

Er bleibt an der Tür stehen und sieht mir dabei zu, wie ich die Treppen runterlaufe, winkt mir, als ich ihm noch einen letzten Blick zuwerfe. Gerade, als er aus meinem Blickfeld verschwindet, erkenne ich, dass sich eine Träne aus seinem Auge löst und seine Wange herunter rinnt, doch meine Füße tragen mich einfach weiter, während mein Hirn versucht zu verarbeiten, was das alles zu bedeuten hat.

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