107. Julian

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5 Tage. Seit 5 Tagen ist John jetzt schon täglich bei mir und kümmert sich um mich. Er spielt wirklich die Krankenschwester, den Comedian, den Kuschelbären und gibt mir alles, was er denkt, das ich brauche und noch viel mehr.

Ich bin ein bisschen überfordert von seiner Fürsorge, um ehrlich zu sein. Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll, dass er seine Tage komplett nach mir richtet und mich grade in den Mittelpunkt seines Lebens stellt.

Ich meine, klar finde ich es schön, so viel Zeit mit ihm zu verbringen, aber es nimmt Ausmaße an...

Gestern war er schon hier, bevor ich ihm geschrieben habe. Er saß unten und hat mit meiner Mum gebruncht. Die zwei haben so laut gegackert, dass ich sie bis nach oben gehört habe und davon aufgewacht bin. Dann musste ich natürlich nachsehen, ob meine Ohren mir einen sehr seltsamen Streich spielen, oder ob John grade echt mit meiner Mum chillt. Und das hat er.

Die Zwei verstehen sich wirklich blendend. Um ehrlich zu sein, glaube ich auch, meine Mama ist ein bisschen in John verliebt. Schon während er hier ist, flirtet sie die ganze Zeit an ihm rum und, wenn er weg ist, kommt sie erst recht gar nicht mehr aus dem Schwärmen raus.

Mein Dad nimmt das locker. Er meinte zu mir, ich solle gut auf meinen Freund aufpassen, wenn ich nicht will, dass Mum ihn mir noch wegschnappt. Er hat ihn als meinen Freund bezeichnet. Im Sinne von fester Freund. Im Sinne von „Ihr seid doch zusammen". Im Sinne von awlfwieoerkjwnerkäc.

Okay, hab mich wieder beruhigt. Wo war ich? Ach ja: Meine Familie glaubt, John und ich seien ein Paar. Sind wir aber nicht. Nicht so wirklich. Wir haben zwar schon darüber geredet, dass wir es versuchen wollen und irgendwann mal zusammen sein, aber dass irgendwann jetzt ist, hat noch keiner beschlossen. Außer ich habe irgendwas nicht mitbekommen.

So wie wir miteinander umgehen, wundert es mich gar nicht, dass wir für ein Paar gehalten werden. Wir verbringen den gesamten Tag zusammen und schreiben oder telefonieren die ganze Zeit, die wir nicht direkt nebeneinander verbringen.

Die letzten fünf Tage waren wir wohl am längsten voneinander getrennt, als er Therapiestunde hatte, mal abgesehen von der Zeit, in der wir schlafen natürlich.

Er steht wirklich jeden Morgen bei mir auf der Matte und bleibt dann bis zum Abend da. Ich sage ihm jeden Tag, dass das nicht nötig ist, immerhin hat er ja ein eigenes Leben, dem er nachgehen sollte. Er wollte sich doch um seinen Job kümmern und er hat eine Katze zu streicheln und er braucht bestimmt auch mal Zeit für sich... Aber auf diesem Ohr scheint er taub zu sein.

Er meinte, er geht nur, falls ich von ihm genervt bin oder alleine sein will. Er will mir Platz geben. Aber, wenn ich dann daran denke, dass er nicht bei mir wäre, klammert sich mein Körper von ganz alleine an seinen, damit er nicht nochmal auf die Idee kommt zu gehen. Ziemlich widersprüchlich, ich weiß. Ich will ihn ja bei mir haben, ich will zurzeit nichts lieber als das, aber ich will eben auch, dass er sein Leben weiterlebt und nicht nur nach mir richtet und danach was ich will und brauche.

Andererseits beweist, dass er sich um mich kümmert, weil ich verletzt bin, wohl ziemlich deutlich, dass ich ihm sehr wichtig bin. Und vielleicht ist ja genau das, wovon meine Mum gesprochen hat, als sie meinte, die Person, die mich verdient, wird mir tagtäglich zeigen, wie viel ich ihr bedeute.

Gerade sitzen wir mit meiner Mum unten am Esstisch. Lila ist bei Nessi und mein Dad ist Arbeiten. Meine Mum hat mit ihrem Chef den Deal, dass sie solange von zuhause aus arbeitet, wie ich krankgeschrieben bin. Aber irgendwie ist alles, was sie den ganzen Tag macht, mit John flirten, kochen, backen und ein bisschen putzen.

Heute hat sie Schokokuchen gemacht. Der ist ausnahmsweise sogar mal ganz genießbar. Außen vielleicht ein bisschen verbrannt, aber innen trotzdem noch fluffig genug, um ihn als ganz gut zu bezeichnen.

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