39. Tyler

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Nach meinem Gespräch mit John bekomme ich irgendwie nichts mehr so wirklich auf die Reihe. An konzentriertes Arbeiten ist jetzt gar nicht mehr zu denken und im Grunde, finde ich, habe ich heute schon genug getan. Also suche ich ein paar Nummern von Psychologen raus, bei denen ich mich morgen melden werde.

Um ehrlich zu sein, überrascht es mich, dass John nun doch halbwegs freiwillig hingeht. Ich bin mir zwar sicher, dass er das nicht machen würde, wenn ich es nicht auch tun würde, aber ich finde, das ist ein ganz guter Kompromiss. Und irgendwo hat er vielleicht wirklich recht... Allein, dass ich nicht mal Logans Namen hören kann ohne das Gefühl zu haben, es zerreißt mich jeden Moment, beweist, dass Verdrängung vielleicht nicht die beste Taktik war, um mit seinem Verlust umzugehen.

Gott, was ist eigentlich mit den ganzen Nachrichten passiert, die ich ihm aufs Band gesprochen habe? Wer auch immer seine Nummer bekommen hat und falls die Person diese Nachrichten angehört hat... sie tut mir leid.

Ich weiß selbst nicht mal, warum ich ihn noch tage- und wochenlang angerufen habe, als er bereits tot war. Jetzt hinterher kommt mir das auch total dämlich vor, vor allem, da ich wirklich erwartet habe, dass er abnimmt.

Wie von selbst kramt mein Körper im nächsten Moment in der untersten Schublade des Schrankes an der Wand herum. Hier stehen eigentlich nur Ordner drin, von Versicherungen oder der Bank oder Unterlagen wie Zeugnissen eben... Aber wir haben so eine Schublade, wo wir einfach alles reinschmeißen, mit dem wir nichts anfangen können, das aber wichtig sein könnte. Logans Abschiedsbrief ist auch Teil davon.

Seit fünf Jahren vergammelt der da drin, ungeöffnet und irgendwie auch einfach vergessen. Ich habe es nicht über Herz gebracht, auch nur daran zu denken, ihn zu lesen, aber ihn wegschmeißen konnte ich auch nicht.

Ich finde ihn. Ein kleiner, beiger Umschlag mit meinem Namen und einem Herz drauf. Das ist so typisch Logan. Überall sinnlose Herzen oder kleine Blumen hinmalen im Versuch, Liebe und gute Laune zu verbreiten.

Ich bin mir sehr sicher, dass in dem Brief einfach nur billige Rechtfertigungen stehen. Dinge, die er mir nicht ins Gesicht sagen konnte, weil er letztendlich doch nicht so mutig und furchtlos war wie bis dahin angenommen. Und vielleicht, ja vielleicht will ich ihn nicht lesen, weil ich mir seine letzten Worte an mich somit aufheben kann und niemals vollständig mit ihm abschließen muss.

Es ist unglaublich schwer, jemanden loszulassen, der einem Jahrelang Halt und Sicherheit gegeben hat. Der einem gezeigt hat, dass man es wert ist, beschützt zu werden und dass man nicht falsch ist oder verachtenswert und dass man nichts Anderes als Liebe verdient hat.

Logan hat damals wirklich gute Arbeit geleistet, aber mit seinem Tod ging irgendwie alles nur noch bergab. Ich habe John so gut wie gar nicht mehr an mich rangelassen, weder emotional noch körperlich. Wir haben nur noch gestritten, vor allem, weil er mich zwingen wollte, mit ihm zu reden und einfach nicht verstanden hat, dass ich nichts zu sagen habe. Dabei weiß ich, dass John nicht nur meinetwegen mit mir über Logan reden wollte.

Logan war nicht nur mein bester Freund, sondern auch Johns. Sie haben sich zwar erst über mich kennengelernt und am Anfang konnten sie sich auch gar nicht ab, vor allem, weil John so eifersüchtig war und sich eingebildet hat, Logan würde sich an mich ranmachen, aber dann, nachdem Logan eine Freundin hatte, in die er mehr als offensichtlich über alles verliebt war, hat es zwischen ihm und John doch sehr gut funktioniert und die beiden wurden so gut wie unzertrennlich. Ich weiß, dass John das vermutlich gebraucht hätte – zusammen trauern und füreinander da sein, aber für mich war es der beste Weg, mir einfach einzubilden, ich hätte niemals etwas gehabt, dass ich verloren habe.

Ich konnte und wollte einfach nicht akzeptieren, dass alle, die mir wichtig sind, mich früher oder später von sich stoßen oder verlassen, egal auf welche Weise. Meine Familie zum Beispiel, mein Vater, Logan und ich war mir sicher, bei John würde es auch nicht mehr lange dauern. Aber ganz egal, wie scheiße ich zu ihm war in dieser Zeit, er war da.

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