93. Alex

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Noch 7 Tage bis zum Saisonauftakt. Eine Woche.

Heute gehe ich zum ersten Mal ins Stadion meines Vereins, in welchem die Spiele stattfinden. Wir trainieren natürlich immer auf einem anderen Platz, um den Rasen für die Spiele nicht zu belasten und damit er gut gepflegt ist. Wenn wir darauf trainieren, kann man ihn immerhin nicht wässern oder sich allgemein darum kümmern. Außerdem trampeln wir sonst die Markierungen weg und und und. Es gibt mehr Gründe dafür, einen extra Spiel- und einen extra Trainingsrasen zu haben als einen für beides zu nutzen. Und wenn man es sich leisten kann, warum sollte man es dann nicht tun?

Elias hat mich und ein paar andere dazu gezwungen, ihm zu helfen, die Markierungen frisch zu streuen. Das ist wohl sowas wie sein Ritual zum Anfang der Saison, aber allein ist das so gut wie unmöglich. Also hat er uns für den Nachmittag quasi vom Training befreit und mit hierher genommen.

Die Mindestmaße für ein Fußballfeld in der Bundesliga liegen bei 90 Meter Länge und 45 Meter Breite. Maximal darf es 120 auf 90 Meter haben. Die Felder variieren daher von Platz zu Platz. Elias will, dass wir 110 auf 75 Meter abmessen. Das Maximum für internationale Länderspiele.

In einer richtigen Profimannschaft hätte der Kapitän oder die einzelnen Spieler da kein Wort mitzureden, aber hier läuft so gut wie alles über Chris und seine Berater, also kann Chris das auch in Elias' Hände legen. Meine perversen Gedanken dazu dränge ich jetzt lieber mal zurück. Es geht grade um Fußball.

Das größte reine Fußballstadion der Welt ist das Camp Nou des FC Barcelona. Darin können 99.354 Zuschauer ihren Platz finden. Etwa so viele Einwohner hat Schwerin, die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern.

All diese Leute würden in dieses Stadion passen. Das muss man sich mal vorstellen. Diese Masse an Menschen, die zu einem einzigen Spiel anreißt, hunderte von Euro dafür ausgibt, um es live mit anzusehen, weil die live-Übertragung im Fernsehen keine Option ist. Das ist einfach nicht vergleichbar mit dem Gefühl in einer tobenden Menge zu stehen, die dieselbe Leidenschaft teilt wie man selbst. Plötzlich ist jeder, der mit dir jubelt, dein bester Freund, obwohl du ihn noch nie zuvor gesehen hast. Das verbindet. Man fühlt sich zugehörig und richtig und verstanden. Es gibt nichts, das sich damit vergleichen lässt.

Als wir ins Stadion laufen, will ich von Elias wissen, wie viele Leute hier reinpassen. „Etwa 9000", meint er. „Aber das Station war noch nie vollständig gefüllt, sondern höchstens so bis zur Hälfte."

Seit der Sache in der Kabine ist das die erste Konversation, die wir direkt miteinander führen.

Dass ich heute mitkommen soll, habe ich nur über Sunny erfahren. Der ist auch dabei und motzt schon wieder bei jeder Kleinigkeit rum. Er scheint besonders schlecht drauf zu sein heute, auch Elias bemerkt das, doch er geht darauf genauso wenig ein wie ich, sondern schaut nur hin und wieder genervt zu Sunny, wenn er wieder meckert.

Nachdem wir das Spielfeld abgemessen haben, die Markierungen gezogen und alle Hilfsmittel aufgeräumt, setzen wir uns rein in das Restaurant der Loge und Elias gibt eine Runde Getränke aus. Er bedient sich einfach an der Theke und reicht uns, was auch immer wir wollen. Ich glaube, er darf hier wirklich so gut wie alles, beinahe so als gehöre der Verein schon ihm.

Es muss richtig frustrierend sein zu wissen, dass das alles ist, was er jemals erreichen wird, einem Umstand geschuldet, für den er nichts kann. Er würde mir das wahrscheinlich niemals glauben, aber ich kann mir gut vorstellen, wie er sich dabei fühlt. Allein für mich als Außenstehender ist es schon echt schwer, sich das mitanzusehen. Elias hat so viel Talent, er reißt sich im Training den Arsch auf, er gibt jeden Tag 120%, ist besser als alle anderen, aber wird niemals die Chance ergreifen können, für die er so hart arbeitet.

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