3. Alex

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Outing. Erst jetzt, nachdem es eigentlich schon passiert ist, wird mir bewusst, dass es etwas ist, dem ich nicht ewig aus dem Weg gehen hätte können. Irgendwann hätte ich Lucy nur noch unglücklich gemacht, spätestens dann hätte ich mich zumindest von ihr trennen müssen, vielleicht nicht unbedingt mit der Wahrheit, dass ich sie nie auf diese Art geliebt habe, aber zumindest einem Teil davon.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir nie wirklich Vorwürfe gemacht hat, weil ich sie als Alibi-Freundin benutzt habe, trägt maßgeblich dazu bei, dass es mir nicht noch schlechter geht als ohnehin schon. Ich weiß ja selbst, dass das nicht richtig war. Aber ich hatte Angst. Durch die Beziehung mit Lucy hatte ich zwar Verpflichtungen, die ich nicht wirklich toll fand, aber ich habe mich ein bisschen sicherer gefühlt. Mit einem Mädchen wie ihr an meiner Seite hätte niemand jemals vermutet, dass ich nicht an ihr interessiert sein könnte.

Ich weiß, wie berechnend das ist. Und ich weiß auch, dass ich sicherlich nicht das Opfer in der ganzen Geschichte bin, aber trotzdem hoffe ich auf ein bisschen Verständnis von meinen Eltern. Obwohl ich genauso gut weiß, dass ich das nicht bekommen werde, vor allem von meiner Mum. Sie hat mich nicht mal mehr angesehen, nachdem ich Tyler geküsst habe. Mein Dad hat wenigstens noch ein paar Sätze mit mir gewechselt, als Ty noch da war und dann hat er mich ins Bett geschickt. Den Aufstand darüber, dass er nach eineinhalb Jahren, in denen er jetzt schon nicht mehr hier wohnt, nicht einfach auftauchen und mich ins Bett schicken kann, als hätte er mir noch irgendwas zu sagen, nachdem er vor seiner eigenen Frau geflohen ist, habe ich uns allen erspart.

Mir ist durchaus bewusst, dass mein Dad es nie einfach hatte mit meiner Mum und, dass er es meinetwegen viel länger ausgehalten hat als nötig. Außerdem hat meine Mum ja auch tolle Seiten. Sie kann witzig und locker sein und ihr Job und anderen Menschen zu helfen bedeutet ihr echt viel. Dass sie deshalb nicht gesehen hat, dass ihr eigener Sohn auch ein bisschen von ihrer Hilfe und Unterstützung bräuchte, ist nicht ihre Schuld. Ich habe ja nie darum gebeten. Ich habe mich alleine durchgekämpft, bis Tyler diesen Kampf mit mir selbst und der ganzen Welt beendet hat, indem er einfach für mich da war, mir zugehört und mir bewusstgemacht hat, dass es nicht ewig so weitergehen kann und wird.

Ich sollte meinen Eltern irgendwie klarmachen, was Ty mir bedeutet, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Allgemein darüber zu reden... überhaupt zu reden... über irgendwas, das mich belastet oder mir etwas bedeutet, ist nicht wirklich was, worin ich viel Übung habe. Aber ich kann auch nicht ewig in meinem Zimmer liegen bleiben und in meinem eigenen Gestank nach Feigheit versauern.

Immerhin ist mein Outing im Prinzip ja schon vorbei, ohne, dass ich die drei Worte sagen musste, die mir schwerer fallen als die, die allen anderen schwerfallen. Mein erstes ehrlich gemeintes ‚Ich liebe dich' und jedes darauffolgende ist mir leichter gefallen als allein die Vorstellung davon zu sagen ‚Ich bin schwul'. Ich weiß ja auch nicht, woran das liegt. Ich weiß sicher, dass ich schwul bin. 100%. Aber ich glaube, da gibt es noch einen kleinen Teil von mir, der immer noch hofft, das ändert sich und ich kann normal sein. Oder zumindest das, was die Mehrheit für normal erklärt hat.

Dass Matt sich als bi geoutet hat und so offen mit seiner Beziehung zu Tony umgeht, hilft mir sogar ein kleines Bisschen. Wenn mein kleiner, seltsamer Weirdo-Cousin das kann, dann muss ich das doch auch können.

Was soll denn schon groß passieren? Wenn meine Mum mich rausschmeißt, dann gehe ich halt zu meinem Dad oder Tantchen Janett. Und wenn mein Dad mich auch nicht mehr mag, dann ist es halt so. Ich hatte ohnehin nicht mehr wirklich viel Kontakt zu ihm, obwohl ich mir das durchaus gewünscht hätte. Ich denke, er hätte mich schon gerne mehr gesehen, aber hatte einfach keine Lust auf Stress mit meiner Mum und die weiß ganz genau, dass ich alles bin, was sie gegen meinen Dad in der Hand hat.

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