Ich wollte ihn mal was bieten können. Ich wollte jemand sein, auf den man stolz sein kann. Aber, alles, was mir aus dem Spiegel entgegenblickt, ist Versagen und der verzweifelte Versuch, die Einsicht darüber noch möglichst lange hinaus zu zögern.

Ich meine, ja, ich habe was erreicht. Ich bin halbwegs professionell Fußballer, bin ganz bekannt, verdiene gut Geld und aus meinem Team gar nicht mehr wegzudenken. Aber all das erscheint mir wertlos, vor allem, weil ich es nicht mehr haben werde, wenn ich mich für Tyler entscheide.

Meine Gedanken fahren Achterbahn, den ganzen Tag. Als ich mich von meiner Mum verabschiede und sie mir halbherzig einen schönen Tag wünscht, als ich zu Tony laufe und sogar noch, als seine Familie mich empfängt.

Aurora öffnet mir die Tür, Tonys kleinste Schwester. „Hallo!" Sie strahlt übers gesamte Gesicht und winkt zu mir hoch, während sie die Tür weiter aufzieht.

Unten im Restaurant ist ein langer Tisch aufgestellt und bereits reichlich bedeckt. Janett und Thomas sitzen dort und unterhalten sich mit Georgia und Sara, während Aurelia mich an der Hand nimmt und mit in die Küche zieht, ohne mir wirklich eine Wahl zu lassen.

„Schaut mal, schaut mal!", ruft sie durch die Küche, in der Tonys Eltern noch am Kochen sind.

Tony selbst hilft auch mit und wendet seinen Blick nicht von seinem Schaffen ab. „Mausi, du sollst doch nicht die ganze Zeit in die Küche kommen und die Tür auch noch so aufstoßen. Zeig es uns später, va beh?"

„Aber du willst es jetzt sehen, glaub mir!" Sie hüpft neben mir auf und ab, hält dabei immer meine Hand und macht ungeduldige Laute.

Tony steht noch immer mit dem Rücken zu uns. Er wirkt gerade schwer beschäftigt. Seine Eltern dagegen werfen Aurora jetzt endlich musternde Blicke zu und erkennen daher, dass ich neben ihr sehe.

„Ehh! Da ist er ja!" Tonys Dad lächelt und hebt in einer erfreuten Geste die Arme. Manchmal umarmt er mich, wenn er mich sieht, aber ich bin ganz froh, dass er das jetzt lässt, weil seine Hände schmutzig sind.

Tonys Mum dagegen kommt trotzdem zu mir, streckt zwar die Hände weg, aber will mir ein Küsschen auf je eine Wange geben, ehe sie sich wieder der Arbeit zuwendet. „Hast du deine Freund mitgebracht?", will sie dabei wissen.

Trotz der Begrüßung geht sie ungewöhnlich kalt mit mir um. Irgendwie klar, nachdem meinetwegen bei unserem Abschluss so ein Aufruhr im Restaurant war. Eigentlich kann ich froh sein, dass ich hier überhaupt noch willkommen bin. Vor allem, da Tonys Mum ja schon Homosexuellen nicht grade begeistert ist.

Ich glaube nicht, dass sei homophob ist. Sie ist eben einfach eine religiöse, konservative, alte Schachtel. Und sie kocht unglaublich gut, also kann ich es ihr nicht wirklich übelnehmen. Solange sie mich nicht Schwuchtel nennt, mag ich sie weiterhin. Ich meine, diese Frau hat meine Tränen getrocknet, als ich nachts verheult zu Tony gerannt bin, weil ich die Streits meiner Eltern nicht mehr ertragen konnte und dann nie ein Wort darüber verloren, dass ich in ihrem Armen regelrecht zusammengebrochen bin. Sie hat mich immer mit offenen Armen empfangen und mich mit Essen versorgt, mit mir geredet, mich getröstet, wenn ich es gebraucht habe, und eigentlich war sie mehr eine Mutter für mich als meine es jemals sein könnte. Ich will damit nicht sagen, dass ich sie mehr liebe als meine Mum, das auf keinen Fall. Aber sie hat deutlich mehr für mich getan und irgendwie glaube ich, sowas muss doch zusammenschweißen.

„Wir sind nicht mehr zusammen", teile ich ihr mit.

Grade, als sie mich kritisch anschaut und ich ihr erklären will, dass es kompliziert ist, werde ich von der Seite angerammt und dann fast zerquetscht. Zusätzlich dazu beißt Tony mir in die Schulter, so fest, dass ich deutliche Schmerzen spüre..

„Aua, spinnst du?" Ich schlage ihm in den Bauch und drücke ihn von mir weg. „Kannst du mich nicht begrüßen wie ein normaler Mensch?"

„NEIN!", schreit er und springt mich dann an, sodass ich ihn auffangen muss, wenn ich nicht will, dass er uns beide zu Boden reißt.

Er hat die Arme um meinen Nacken und drückt sich ganz fest an mich, löst aber die Beine, als ich ihn loslasse und stellt sich dann wieder hin, sodass ich ihn auch richtig umarmen kann.

Er riecht noch immer so wie damals, als er gegangen ist, und auch seine Umarmung fühlt sich noch genauso an. Ich habe ihn vermisst. Obwohl er nicht mehr alle Latten am Zaun hat... oder grade deswegen.

Nach langer Zeit, in der seine Eltern einfach weitergekocht haben und Aurora gefragt hat, ob sie mitkuscheln darf und dann einfach unseren Hüften umarmt hat, löst er sich wieder von mir und schlägt mir dann aufgeregt auf die Schultern. „Ich muss dir so viel erzählen! Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!"

Seine Mum sagt irgendwas Italienisches zu ihm, das sein Lächeln verschwinden lässt. Er verdreht die Augen, aber nur so, dass sie es nicht zieht, entschuldigt sich und schiebt mich dann aus der Küche.

„Was hat sie gesagt?", hake ich nach.

„Ich soll seinen Namen nicht in dem Mund nehmen"

„Gott?"

Er nickt bloß, wirkt betrübt dabei.

„Ach Tony" Ich lege tröstend meinen Arm um seine Schultern. „Dafür nehmen wir Schwänze in den Mund, ist doch eh viel besser"

Tony schaut vom Boden hoch zu mir und beginnt dann sofort zu grinsen. „Ach Mann ich hab dich so vermisst." Er umarmt mich nochmal und hebt mich dabei sogar leicht hoch.

„Lion?" Als wir Matts Stimme hören, lässt er mich wieder los und wir beide schauen in die Richtung, aus der sie gekommen ist.

Matt steht da, macht ganz große Augen und starrt mich ungläubig an. „Du bist wirklich da!" Er scheint es gar nicht fassen zu können. Nur wenige Momente später rennt er fast schon auf mich zu und umarmt mich so stürmisch, dass ich dabei ein paar Schritte zurück stolpere.

Als ich auch meine Arme um ihn lege, merke ich, dass mein kleiner Cousin sich gar nicht mehr so anfühlt wie mein kleiner Cousin. Er scheint gewachsen zu sein, hat nicht nur an Größe gewonnen, sondern auch an Muskulatur. Zwischenzeitlich hatte er auch Geburtstag, das heißt, er ist jetzt 17 und somit fast ein Mann.

Mir egal. Er wird trotzdem immer mein kleiner Matty bleiben.

Tony lässt uns kurz Zeit, ehe er uns beide ebenfalls umarmt. Ganz kurz kommt ein Hauch des Gefühls von Zuhause in mir auf – Ein kleiner Moment, der beweist, dass ich vielleicht doch nicht so allein bin wie bisher angenommen.

„Okay, das reicht dann auch wieder" Matt ist der erste, der sich aus der Umarmung befreien will. Ist ihm wohl dann doch etwas zu viel.

„Wir haben echt viel zu besprechen"

Als Tony was Ähnliches gesagt hat, klang es noch total aufgeregt und auch irgendwie spaßig. Jetzt, aus Matts Mund und mit seinem Gesichtsausdruck, scheint es doch ernst zu werden.

Ich nicke bloß. Ich weiß zwar nicht genau, worum es gehen soll, aber ich kann in Matts Augen genau erkennen, dass ich da nicht drum herumkommen werde. Also versuche ich das Essen zu überstehen und wappne mich gedanklich auf das, was darauf folgen wird.

Teach me LoveWhere stories live. Discover now