Klar ist alles, was er jetzt tut, besser als nur im Bett zu liegen, nichts zu essen und zu trinken und einfach vor sich hinzugammeln. Ich war auch schon an dem Punkt und weiß daher genau, wie schwer es ist, da jemals wieder rauszukommen. Aber ich muss Tyler nur wenige Sekunde ansehen und weiß genau, was in ihm vor sich geht.

Es hat mich schon immer belastet, ihm dabei zuzusehen, wie er Dinge verdrängt und einfach in den Funktions-Modus schaltet. Ich bin stolz darauf, dass er sich nicht leicht unterkriechen lässt, natürlich. Aber er rennt seit Jahren immer nur davon. Sein Leben ist eine einzige Flucht, vor bestimmten Menschen, aber auch vor Dingen in sich selbst. Jetzt, als ich aufgehört habe, ihn dabei zu begleiten, merke ich erst so richtig, wie viel Energie mich das gekostet hat. Vor allem auch dieses Gefühl der Hilflosigkeit, weil er da absolut nicht mit sich reden lässt und nicht einsieht, dass es so nicht ewig weitergehen kann...

Ich habe jahrelang wirklich sehr darunter gelitten zu wissen wie nutzlos ich war für die einzige Person auf dieser Welt, die mir etwas bedeutet. Er musste so viel durchmachen wegen seinen Gefühlen für mich, schon damals mit seiner Familie oder Vince und den Leuten in der Schule oder weil er es einfach nicht geschafft hat, mich zu verlassen, egal, was ich getan habe. Er hat nie angezweifelt, dass er zu mir gehört. Und dann kam Lion. Dieser 17-jährige Schuljunge, der sein Leben komplett auf den Kopf gestellt hat und somit auch meines.

Natürlich war ich anfangs extrem verletzt und traurig, weil Tyler sich ihn verliebt und sich dann auch noch für ihn entschieden hat. Ich konnte es einfach nicht verstehen. Wir waren fast 13 Jahre zusammen, als er Schluss gemacht hat und er hat davor nicht die geringsten Anzeichen durchblitzen lassen, dass er sich jemals von mir trennen wollen würde... oder ich wollte sie einfach nicht sehen. Jedenfalls habe ich meine Zeit gebraucht und, dass ich Lion dann besser kennengelernt habe und sehen konnte, wie er mit Tyler umgeht, hat mir geholfen, es zu verstehen. Ja, ich unterstütze es sogar. Selbst jetzt noch, nachdem Lion diesen Scheiß abgezogen hat.

Aber ganz ehrlich, der Junge ist 18 Jahre alt, was will man von ihm erwarten? Er hat wahrscheinlich keine Ahnung wie besonders es ist, jemanden wie Tyler zu finden und wie glücklich man sich schätzen kann, von ihm geliebt zu werden. Dazu fehlt ihm einfach die Erfahrung und dafür kann er ja nichts.

Trotzdem würde ich nicht zögern, ihm eine reinzuhauen, wenn Tyler es mir erlaubt, das muss ich wohl gar nicht erwähnen. Lion hat echt große Töne gespuckt, als es darum ging, ihn für sich zu beanspruchen und dann, als ich dazu bereit war, es zu akzeptieren, hat er so einen Scheiß abgezogen.

Selbst jetzt noch macht mich das echt sauer. Nicht, weil ich die Gelegenheit gerne genutzt hätte, Tyler zurück zu bekommen, sondern, weil ich es hasse, dass Tyler nicht einfach mal glücklich sein kann. Wenn es in dieser kaputten Welt einen Menschen gibt, der das verdient hat, dann er. Und Lion kann dafür sorgen, also soll der das verdammt nochmal auch!

Wenn ich später nachhause komme und Tyler macht auch nur den geringsten Eindruck davon, traurig zu sein-

„John?" Juli tippt mir auf die Schulter und reißt mich so komplett aus dem Konzept. „Kommst du mit rein oder willst du für immer im Auto bleiben?" Er wirkt amüsiert.

Ich schüttele leicht den Kopf, um aus meinem Gedankennebel zu entkommen und sehe ihn dann ein wenig überrascht an, antworte, obwohl es offensichtlich eine rhetorische Frage war. „Äh ich komme mit rein"

„Da bin ich aber froh", schmunzelt er und streckt sich, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken.

Sofort muss ich lächeln und sehe ihm dabei zu, wie er aussteigt, ehe ich es ihm nachmache. Meine Wange kribbelt sogar noch auf dem Weg zur Tür, so als sei das der erste Kuss, den ich von ihm bekomme. Was definitiv nicht der Fall ist.

Während er den Schlüssel in die Tür steckt, um aufzusperren, umarme ich meinen Freund von hinten und drücke ihm mehrere leichte Küsse auf den Hals.

Er zieht kichernd die Schultern hoch, um sich zu schützen. „Mann, ich bin da kitzlig, das weißt du doch!"

Ich liebe sein Kichern. Jedes Mal, wenn ich es höre und sehe, will ich ihn nur noch mehr abknutschen. Juli ist mein süßer kleiner Engel.

„Deshalb mache ich es so gern", flüstere ich ihm zu und mache noch ein bisschen weiter, bis er es schafft, die Tür zu öffnen und wir bereits im Flur die Stimmen seiner Familie hören.

Sie freuen sich über unsere Hilfe beim Schmücken und sobald wir erstmal dabei sind, fühle ich mich wirklich so als würde ich dazugehören.

Es macht Spaß, aber sehr oft verliere ich mich einfach darin, Juli zu beobachten, zum Beispiel, wie er mit Lila darüber diskutiert, wie er was aufhängen will, wie er versucht, den oberen Teil des Baumes zu erreichen, um auch dort oben kleine Kugeln zu platzten und wie er ganz am Schluss, als alles fertig ist, den Stern oben auf die Spitze setzen will und dabei fast den Baum umreißt und halb von ihm begraben wird.

Sein Dad ist zum Glücken sofort zur Stelle und hält den Baum vom Fallen ab, während ich nach Juli greife und er dann etwas überwältigt so zu mir hochschaut.

„Du solltest das machen", beschließt er dann und überreicht mir den Stern.

Unsicher nehme ich ihn an mich. „Wirklich?" Dabei sehe ich auch seine Eltern und Lila fragend an.

Ich will mich nicht in den Mittelpunkt drängen oder so. Dem Familienweihnachtsbaum den letzten Schliff zu verleihen kommt mir schon wie eine wichtige Aufgabe vor.

„Mach schon!", fordert Lila mich auf und auch ihre Eltern nicken mir zu.

Also tue ich es, muss mich dazu nicht wirklich weit hochstrecken und kann Juli weiterhin an meiner anderen Hand halten.

Seine Mum macht ein Foto von dem Moment und freut sich dann darüber. Sie will es uns zeigen, aber ich habe nur Augen für meinen Freund, wie er lächelnd zu mir hochsieht und kann nicht anders, als ihm einen sanften Kuss zu schenken.

Ich liebe ihn. Ich liebe Juli. Und ich möchte nicht nur Weihnachten mit ihm verbringen, sondern am liebsten mein ganzes Leben.

Teach me LoveWhere stories live. Discover now