Ich bin 31 und was habe ich bisher erreicht? Ich habe keinen Job, ich habe keine Familie, ich habe nicht mal einen Partner. Das einzige, was ich habe, ist eine Katze und einen Exfreund, der meine Rechnungen bezahlt, weil er weiß, dass ich knapp bei Kasse bin.

Er hat es aufgegeben, mich dazu anzuregen, mir einen neuen Job zu suchen. Ich glaube, er hat sich damit abgefunden, dass er mich unterhalten muss. Fast so als sei ich sein Kind. Passt eigentlich. Er tut alles für mich und ich bin ein undankbares Stück Zellhaufen, das nichts zurückgibt, sich aber alles erlaubt. Das beschreibt einfach meine gesamte Persönlichkeit. Schon irgendwie erbärmlich...

Naja egal, zurück zum Thema: Mein Geburtstag. Ich mochte den noch nie wirklich. An dem Tag erinnert mich einfach alles ganz besonders daran, dass meine Eltern sich so dachten ne, gar kein Bock auf ein Kind, lass mal irgendwo abwerfen, wird schon einer finden.

Ich verfluche es bis heute, dass mich dieser Obdachloser im letzten Eck einer versifften Straße gefunden und in die Babyklappe gebracht hat. Er hätte mich doch auch einfach essen können, da wäre für uns beide was Gutes bei rausgesprungen.

Besagter Obdachloser, ich kenne ihn nur unter Willy, war der einzige, der sich je für meinen „Geburtstag" interessiert hat. An welchem Datum ich wirklich geboren bin, weiß ohnehin keiner so genau. Willy hat den 5.8. für meinen Geburtstag erklärt, da er mich an diesem Tag gefunden hat und ich wohl nur ein paar Tage alt gewesen sein kann, man aber nicht wusste, wie viele genau.

Im Heim hat sich nie jemand groß für Geburtstage interessiert. Wir waren einfach zu viele Kinder, da hat man zu schnell den Überblick verloren und damit sich keiner beschwert, wurde einfach von keinem der Geburtstag gefeiert. Willy kam jedes Jahr vorbei und hat mir selbst geschnitzte Geschenke mitgebracht. Für mich war er sowas wie die ranzige, abgemagerte Version des Weihnachtsmanns. Er kam jedes Jahr um dieselbe Zeit und hat mir Geschenke gegeben.

Ich habe mich immer darauf gefreut, ihn zu sehen und er hat sich immer darauf gefreut, mich zu sehen. Das ging 11 Jahre so. Als ich etwas älter war, habe ich nach der Schule auch oft Zeit mit ihm verbracht, obwohl das allgemein nicht sehr gern gesehen wurde. Oft haben Leute uns angesprochen und mich gefragt, wo meine Eltern sind und ob dieser Mann mir etwas tut.

Ich konnte gar nicht verstehen, wie die darauf komme. Willy war der einzige Mensch, der gut zu mir war. Und dann kurz nach meinem elften Geburtstag, als ich ihn mal wieder in seinem üblichen Lager besuchen wollte, war er plötzlich einfach weg.

Ich weiß bis heute nicht, was mit ihm passiert ist. Ob er gestorben ist oder einfach weitergezogen, ohne sich von mir zu verabschieden. Ich bin für ein halbes Jahr noch regelmäßig dorthin gegangen und habe die ganze Stadt nach ihm abgesucht, doch ihn nie gefunden und auch nie wieder was von ihm gehört. Er war einfach weg und alles, was ich noch von ihm hatte, waren die geschnitzten Figuren, die er mir geschenkt hat.

Das erste Mal, als ich jemanden so richtig übel verprügelt habe, war nur wenige Wochen später. Die älteren Kids haben immer auf den jüngeren rumgehakt bei uns und es hat nie einen interessiert. Aus was für einem Grund auch immer, bin ich eigentlich immer verschont geblieben, wohl auch, weil es nichts gab, wodurch ich hätte Aufmerksamkeit auf mich ziehen können. Doch dann, als ich meine Figuren betrachtet habe und die anderen es mitbekommen haben, hat sich das geändert.

Es gab nicht viele, die etwas Eigenes hatten und die, die es hatten, haben es zuvor von anderen geklaut. Ich weiß nicht, ob sie mir die Figuren damals nur weggenommen haben, weil sie sie toll fanden und auch welche wollten oder, weil sie mir angesehen haben, wie viel sie mir bedeuten und mich ärgern wollten. Im Endeffekt ist das auch komplett egal.

Als Konsequenz auf meinen Ausraster bin ich aus dem Heim geflogen und ins nächste abgeschoben worden. Als Frischling hat man es da auch nicht leicht. In meinem alten Heim war ich fast 12 Jahre, das kannte ich in- und auswendig. Ich wollte, was wo ist, wo ich mich verstecken kann, wenn ich alleine sein will, welche Leute ich meiden muss und an welchen Tagen ich lieber die Finger vom Nachtisch lassen sollte.

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