Ich klopfe an seine Zimmertür, doch es kommt keine Antwort. Leicht verwundert davon öffne ich die Tür, um zu sehen, ob er da ist. Das ist er. Er sitzt im Bett, die Decke um seine Schultern, sodass er sich darin einwickeln kann und den Laptop auf dem Schoß. Das Zimmer ist dunkel, sodass ihm der Bildschirm ins Gesicht strahlt und die Tränen auf seinen Wangen glitzern lässt.

Vielleicht sollte ich ihn alleine lassen. Er scheint grade einen ziemlich emotionalen Moment zu haben und ich weiß nicht, ob ich ihm beistehen kann oder möchte.

Doch bevor ich unbemerkt wieder gehen kann, huscht sein Blick zu mir, seine Augen öffnen sich überrascht und er wischt sich fast schon panisch über die Wangen. Er tut fast so als hätte ich ihn in flagranti bei einem Mord erwischt, nimmt schnell die Kopfhörer aus den Ohren und klappt den Laptop zu.

„Hei, Tyler!" Er scheint sich trotzdem irgendwie zu freuen, mich zu sehen.

„Hi. Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich zurück bin"

Er nickt, lächelt leicht. „Freut mich. Hattet ihr Spaß?"

Irgendwas ist anders an ihm. Normalerweise hätte er mich doch weggeschickt. Immerhin habe ich ihn grade offensichtlich beim Weinen unterbrochen. Er weiß, dass ich es gesehen habe. Wieso wird er nicht abweisend? Es sähe ihm ähnlicher, mich anzuschreien und wegzuschicken oder sich einfach die Decke über den Kopf zu ziehen und so zu tun, als sei er nicht da. Was hat sich geändert?

„Geht so. Es gab Drama bei Alex' Oma. Er hat sich mit seinem Cousin geprügelt"

„Oh." Er wirkt überrascht. „Hat er gewonnen?"

Das war so klar.

„Ich schätze schon... Sein Cousin sieht zumindest deutlich schlimmer aus als er"

John beginnt zu grinsen. „Hab nichts Anderes erwartet" Er wirkt sogar etwas stolz.

Ich weiß nicht ganz, was ich davon halten soll. Einerseits sollte es mich wohl freuen, dass sich sein Verhältnis zu Alex so verbessert hat, doch andererseits finde ich es nicht schön, dass John es unterstützt, wenn Alex sich prügelt. Klar ist es toll, dass er „gewonnen" hat, das ist mir auch lieber als dass er total zusammengeschlagen wird. Ich finde nur Gewalt an sich einfach nicht toll.

Ich nicke nur und schaue ihn dann fragend an. „Und was hast du so gemacht als Wochenende über?" Ich rechne damit, dass er ‚nichts' sagt und ich dann wieder gehen kann. Dass er noch breiter zu grinsen anfängt und mir davon erzählt, dass Julian ihn besucht hat, schockiert mich beinahe.

„Du verstehst dich gut mit ihm, mh?" Das Gespräch scheint doch länger zu werden. Ich lehne mich also an die Wand und schaute John neugierig an.

Er lächelt. „Schon."

Ich habe das Gefühl, er will viel mehr dazu sagen. Irgendwas hält ihn zurück.

„Du kannst ruhig mit mir darüber reden, wenn du willst. Ich freue mich für dich", versichere ich ihm.

Dann scheint es als würde der Knoten zu platzen und aus John sprudelt alles Mögliche raus. Er schwärmt total von Julian, nennt ihn dabei aber ausschließlich „Juli", meint, er ist total interessant und viel komplexer als er es selbst weiß. John mag Julians Ansichten und seine Gesellschaft und das Gefühl, von ihm nicht verurteilt zu werden.

Doch dann wird er etwas unsicherer. „Er hat mich dazu gebracht, mir meine alten Aufnahmen anzuschauen... Ich habe echt viele Bilder von uns gefunden, ein paar richtig schöne und auch ein paar richtig hässliche von dir, die ich Alex irgendwann zeigen werde" Dabei grinst er noch frech, doch das geht dann langsam zurück. „Und ich habe einiges von Logan gefunden... Videos, wie er singt und sowas... Magst du mal sehen?"

Ich schüttele sofort energisch den Kopf. Ich habe Logans Stimme seit Jahren nicht mehr gehört. Habe ihn genauso lange nicht mehr gesehen oder gerochen oder seine Umarmungen gespürt... Ich weiß nicht, was mit mir passiert, wenn ich zulasse, sein Gesicht wieder genau vor Augen zu haben oder mich daran zu erinnern, wie er klingt... Aber das erklärt zumindest Johns Tränen.

„Komm schon." John versucht, mich zu überzeugen. „Mit den Kopfhörern ist es fast so als würde er vor einem sitzen und-"

„Das tut er aber nicht", unterbreche ich ihn kalt. „Du hast ihn umgebracht, schon vergessen?"

Er schluckt, sieht mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige gegeben. Das hätte ich wirklich mal tun sollen. „Ich... Er... Er wollte es so, das weißt du genau! Es war sein letzter Wunsch!"

Ich schnaube. Es geht in ein verbittertes Lachen über. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Das erinnert mich nur daran, dass ich seine letzten Worte an mich verbrannt und in den Müll geworfen habe. Und daran, dass John mir 6 Jahre lang etwas vorgemacht hat. Und daran, dass ich zu sehr auf mich selbst fokussiert war, um die Wahrheit zu erkennen.

Ich glaube, das schlimmste an alle dem ist nicht, dass John mich ein weiteres Mal hintergangen hat, auf eine Art und Weise, die alle anderen bei weitem übertrifft, sondern, dass ich mich schuldig fühle, weil ich mich hintergehen lassen habe und somit nicht für ihn da sein konnte. Ich weiß zwar nicht, was genau er für Logan empfunden hat, aber irgendwas muss ja da gewesen sein, wenn er ein Jahr lang eine Affäre mit ihm hatte.

Durch mein Arschloch-Verhalten damals habe ich nicht nur mir, sondern auch John die Trauer verwehrt, die wir beide gebraucht hätten, um über Logans Tod hinwegzukommen...

Egal, wie ich es drehe und wende, alles führt darauf zurück, dass schlussendlich alles mal wieder nur meine Schuld ist.

In unserer Beziehung lief es nicht gut, also hat John von Logan bekommen, was gebraucht hat. Logan ist gestorben, John hat mich gebraucht, ich habe ihn von mir gestoßen und seitdem nie mehr wirklich an mich rangelassen und er hat, denke ich, nach einem Ersatz für Logan gesucht. Das einzige, was er wollte, war Halt und Sicherheit... Bestätigung, Nähe, Liebe... und ich war zu egoistisch, ihm das zu geben.























 Wie steht ihr zu der John-Logan-Problematik?

Teach me LoveWhere stories live. Discover now