Das klingt fast so, als würde John davon ausgehen, ich halte mich selbst für einen Heiligen. Was ich nicht tue. Ich will einfach nur wissen, dass ich mein Bestes tue. Will nicht riskieren, nachts in meinem Bett zu liegen und mich selbst unter all den Vorwürfen, die ich mir mache, zu begraben.

Ich suche die Schuld für alles Mögliche schon immer bei mir, schiebe es auf Fehler, die ich gemacht habe, ganz egal, ob sie wirklich damit zu tun haben oder nicht. Das Weggehen meines Vaters - meine Schuld. Die Alkoholabhängigkeit meiner Mutter - meine Schuld. Der Unfall meiner Schwester - meine Schuld. Johns Suizidversuch - meine Schuld. Denn, wenn es wirklich meine Schuld ist, dann kann ich auch etwas daran ändern, bilde ich mir ein. Dann kann ich es ändern, wenn ich mir nur genügend Mühe gebe.

Es ist viel einfacher, sich selbst für alles verantwortlich zu machen, solange man die Kraft hat, an all diesen Fronten zu kämpfen. Allerdings weiß ich auch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch nur das kleine Anzeichen von Schwäche zum totalen Zusammenbruch führt und man schließlich überrannt wird. Bisher ist mir das zwar noch nicht passiert, aber ich befürchte, wenn das alles so weitergeht, dann lege ich es wirklich darauf an. Aber das ist mir egal. Ich kann doch nicht einfach die Augen davor verschließen, nur, weil ich weiß, dass es mir nicht guttut. Wenn ich jetzt aufgebe und nichts tue und dann wieder etwas passiert, werde ich mir niemals verzeihen können. Ich will von und zu mir selbst sagen können, dass ich mein Bestes gegeben habe und ich will dafür sorgen, dass das ausreicht.

„Ich höre nur mimimi", behaupte ich also und ziehe John erneut die Decke weg. „Treffpunkt in fünf Minuten auf dem Sofa. Wenn du nicht da bist, hole ich die alten Waxingstreifen und foltere dich solange, bis du zugibst, dass Katy Perry scheiße ist."

„Ich hasse dich", brummt er in sein Kissen.

Ich überhöre das gezielt, mache mich auf meinen Weg nach draußen, werfe ihm „Bis gleich" zu und gehe in die Küche, um Snacks zu machen.

Um ehrlich zu sein überrascht es mich, John wirklich auf dem Sofa anzutreffen, als ich beladen mit Getränken und Chips und Brokkoli dazu komme und alles auf dem Tisch abstelle.

John wirft mir und dem Brokkoli in meiner Schüssel einen abwertenden Blick zu. „Wieso kannst du nicht einfach wie jeder andere normale Mensch auch Chips snacken? Nein, du musst das ganze Wohnzimmer mit dem Scheiß vollstinken. Sei doch ein Mal nicht extra, echt ey"

Er verdreht die Augen, nimmt sich die Chips und fängt an zu futtern, aber nicht eins nach dem anderen oh nein nein nein, er stopft sich einfach eine ganze Hand voll in den Mund, kaut ein paar Mal und verzieht dann das Gesicht beim Runterschlucken. Er sollte echt dringend in eine Klinik und sich behandeln lassen, das ist wirklich abartig.

„Wenn hier jemand was vollstinkt, bist du das", gebe ich bloß zurück, während ich den Fernseher einschalte und nach unseren Aufnahmen suche, um den ersten Film anzumachen.

John schnaubt, brummt „Ach komm, halt die Klappe" und füttert sich fast schon schmollend weiterhin mit den Chips, während er auf den Bildschirm schaut.

Wahrscheinlich auch nur, weil er weiß, dass ich recht habe. Wenn er spätestens morgen nicht freiwillig duschen geht, zerre ich ihn da rein und schrubbe ihn höchstpersönlich, das kann er mir glauben. Und dieses haarige Etwas in seinem Gesicht, das er einen Bart nennt, ist auch nicht mehr auszuhalten. Ich habe fast schon Angst, dass da irgendwas rauskriecht und mich anspringt.

John lässt sich richtig gehen. Er hatte schön öfter mal so Phasen, wo er auf alles geschissen hat, tagelang nicht geduscht oder sich rasiert oder sich viel weiter als bis zum Klo bewegt, aber das hier nimmt neue, bisher ungeahnte Ausmaße an.

Teach me LoveWhere stories live. Discover now