Um ehrlich zu sein, will ich mir grade auch gar keine Gedanken um einen Job oder ein Studium machen. Ich kenne mich selbst nicht mal gut genug, um zu wissen, was das Richtige für mich wäre. Ich sollte erstmal rausfinden, wer ich bin, bevor ich entscheiden kann, was ich will. Und ich weiß ganz genau, wer mir am besten dabei helfen kann. Aber Ty hat genug mit John und sich selbst zu tun und wahrscheinlich gar nicht die Nerven dafür, mich bei meiner jugendlichen Selbstfindungsphase zu unterstützen. Vor allem, weil er mir schon vor über einem halben Jahr gesagt hat, dass nur ich selbst mich finden kann.

Mein Dad holt mich vom Bahnhof ab. Er freut sich total, mich zu sehen, umarmt ich viel zu fest und nimmt mir meine Tasche ab, um sie in den Kofferraum zu werfen. Er erzählt mir ganz glücklich, dass er sich frei genommen hat, um viel Zeit mit mir verbringen zu können ohne zu bemerken, dass er mich grade total überfordert.

Irgendwie bin ich davon ausgegangen, bei ihm wird es nicht anders als bei Mum. An den Wochenenden, an denen ich bisher immer bei ihm war, hat er sich zwar Mühe gegeben, Zeit für mich zu finden, aber er ist nicht die ganze Zeit um mich herumgetanzt, so wie jetzt.

Als wir seine Wohnung betreten, fällt mir auf, dass sich etwas verändert hat. Da hängen Bilder von Blumen an den Wänden, es stehen random Vasen herum, die Türrahmen sind mit Lichterketten bestückt, auf der Kommode stehen Räucherstäbchen... What the hell?!

„Was ist aus deiner traurigen Junggesellenwohnung geworden?", hake ich misstrauisch nach. Ich bin doch nicht blöd. Mein Dad hat sicherlich nicht von sich aus entschieden, hier zu dekorieren. Da kann nur eine Frau in Spiel sein.

„Die wurde optisch aufgewertet", meint er bloß und stellt meine Tasche im Flur ab. „Gefällt's dir?"

Ich verziehe abgeneigt das Gesicht. Seine Wohnung sieht aus wie die Hütte einer gruseligen einsamen Hexe im Märchenwald, die naive kleine Mädchen anlocken will. Und sie riecht auch so.

„Ich find's voll schwul"

Mein Dad zeigt sich verwirrt davon, er ist offensichtlich nicht sicher, wie er darauf reagieren soll, also verdrehe ich die Augen und teile ihm genervt mit, dass das ein Witz war.

Dadurch, dass Tony sowas quasi am laufenden Band abgezogen hat, obwohl ich es anfangs noch sehr triggernd fand, habe ich mich jetzt irgendwie dran gewöhnt. Und wenn mein bester Freund keine blöden Witze über meine Sexualität machen kann, muss ich das halt selbst tun. Ich bin eine emanzipierte Schwuchtel. Ich kann mich selbständig über mich lustig machen.

„Oh! Haha" Mein Dad lacht leicht, obwohl er es offensichtlich nicht witzig findet und fragt mich dann, was wir machen wollen. Er schlägt alles Mögliche vor. Sogar rausgehen und Fußball spielen.

Wer auch immer dafür verantwortlich ist, sie tut meinem Dad auf jeden Fall gut. Es freut mich für ihn. Auch, wenn ich es schade finde, dass er mir nicht einfach sagen kann, dass er eine Neue hat. Glaubt er echt, ich checke das nicht? Ich bin Meister im Lügen und Dinge verheimlichen. Mir kann keiner was vormachen.

„Eigentlich würde ich ganz gern mit dir reden. Vater-Sohn-Gespräch und so. Du weißt schon"

Er scheint sich darüber zu freuen. „Auch okay. Wollen wir ins Wohnzimmer gehen?"

Ohne zu antworten laufe ich voraus und schmeiße mich aufs Sofa. Mein Dad setzt sich neben meine Füße, während ich mich in die weiche Ecke des Sofas chille. Ich könnte fast einschlafen, so gemütlich ist das.

„Willst du über Tyler reden?", hakt mein Dad wissend nach. Er wirkt ruhig dabei, aber auch neugierig.

Ich zucke mit den Schultern. Worüber sollte ich sonst reden wollen? Tyler ist alles, was in meinem Hirn vor sich geht. Er ist alles, woran ich denke und alles, was mir wichtig ist.

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