69.

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„Bella, wenn ich es dir doch sage." Mario zog mich ein Stück von der Straße weg, an der ich gefährlich nahe stand. „Ich habe verhütet. Ich verhüte immer und du - du gehst da jetzt alleine hinein, wenn du mir nicht glaubst: hol dir einen Test. Ich bin raus." er hob verteidigend seine Hände und schüttelte ungläubig den Kopf.
Am Liebsten hätte ich ihn angeschrien und ihn gefragt, wieso er bitte so ein Arschloch war und wann er es geworden ist. Er war nicht mehr der Mensch, den ich einst als meinen besten Freund bezeichnet hatte. Ohne sich umzusehen ging er wieder Richtung Ferienhaus - und ich drehte mich um und ging in das Geschäft. Test de embarazo. „Nen spanischen hatte ich auch noch nie" murmelte ich ein wenig verbittert zu mir selbst, als ich zehn Euro für das Teil auf den Tisch legte und schnell wieder abhaute. Vorsicht war besser als Nachsicht.
Im wahrsten Sinne.

„Hey, wo warst du denn so früh?" Marco kam müde in die Küche gestolpert und kratzte sich verwundert am Hinterkopf, bevor er seinen Arm locker um meine Hüfte legte und mir von der Seite einen Kuss auf die Schläfe drückte: „Deine Mutter ist schon einkaufen, ich glaube das Mittagessen wird heute ein Festmahl." er strahlte mich zufrieden an. Seine Stimme war noch ganz rau und seine Augen verschlafen. Als seine Lippen meine Haut trafen, bekam ich eine leichte Gänsehaut auf den Armen. Ich schaute in seine ehrlichen Augen und machte den Mund auf - nur um ihn sofort wieder zu schließen. Tausende Gedanken hatte ich mir gemacht, was ich ihm sagen sollte, wenn er mich fragt. Doch jetzt kam es mir absurd vor, zu lügen. Ich wollte nicht, dass alles wieder von vorne losging. Ich hatte aus der Vergangenheit gelernt und wusste, wie wichtig es war, dass wir ehrlich zueinander sind. Ich verzog erwischt mein Gesicht. „Bella, wo warst du?" lachte Marco unsicher. Er war plötzlich hellwach. Ich drehte mich zu ihm: „Du musst jetzt ganz ruhig bleiben." begann ich. Das war wahrscheinlich schon die falsche Einleitung. Ich sah, wie er langsam Angst bekam und beschloss, kurz und schmerzlos die Wahrheit zu sagen: „Ich war einen Schwangerschaftstest kaufen, weil Ann-Kathrin gestern erwähnte ich sehe aus als sei ich schwanger und-" Seine Miene hellte sich schlagartig auf, bis es ins völlige Gegenteil umschlug als er bemerkte, dass ich nicht von ihm Schwanger sein konnte. Es war schlichtweg nichts zwischen uns passiert, das zu einer Schwangerschaft hätte führen können. „Bitte?!" stieß er entsetzt aus. Ich konnte gar nicht gucken, wie schnell er sein T-Shirt über den Kopf gezogen hatte. „Ich war beim Supermarkt - mit Mario - und-" stammelte ich und machte alles nur noch schlimmer. Ich hätte mir vorher Gedanken machen sollen, wie ich es ihm am besten hätte beibringen können. „Was?!" nun glich sein entsetzter Laut einem Schrei. Aufgeregt versuchte ich ihn zu beruhigen: „Marco, ich-", „Du warst mit Mario zusammen einen Schwangerschaftstest kaufen?" fragte er, plötzlich betont ruhig, nach und spannte seinen Kiefer an. Seufzend ließ ich die Schultern hängen. „Ich brauche frische Luft." brummte er und stürzte über die Terrassentür im Wohnzimmer nach draußen: „Marco! Warte, lass es mich dir erklären-" rief ich ihm hinterher. Doch diese abweisende Handbewegung die er mit dem Rücken zu mir stehend machte, sagte mehr als tausend Worte.
Überrumpelt schaute ich ihm hinterher. „Was war das denn?" Mats kam herunter mit seiner Zahnbürste im Mund und schaute über meiner Schulter dem Blondschopf hinterher. Ich schaute meinen Cousin an: „Ich konnte ihm gar nicht sagen, dass ich den Test noch gar nicht gemacht habe." schniefte ich schon drauf los. „Du willst was? Was für einen Test?" Mats spuckte den Schaum in das Spülbecken. Angewidert schaute ich zu ihm herüber. „Bist du schwanger?" er kam wieder auf mich zu und wollte noch einmal nach Marco schauen, doch der war längst über alle Berge. „So ein Mist, man. Nein, wahrscheinlich bin ich nicht schwanger!", „Ich glaube, bei ihm sind die Sicherungen durchgebrannt." bemerkte Mats. „Offensichtlich." schnaubte ich. „Du verstehst nicht, gestern Abend, da war die Stimmung zwischen Mario und ihm plötzlich so geladen. Ich weiß nicht was passiert ist." Ich schaute meinen Cousin eindringlich an: „Du weißt mit großer Sicherheit mehr." ich zog mit Nachdruck eine Augenbraue hoch: „Mats!", „Mario war betrunken und hat Marco plötzlich Details von eurer gemeinsamen Nacht erzählt." Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. „Toll und dann komm ich ein paar Stunden später an und sage ich sei womöglich von ihm schwanger." Ich hätte mir am Liebsten gegen die Stirn gehauen. „Mach den Test.", „Wieso?", „Mach den Test. Dann sammeln wir Marco ein. Der braucht zum Ferienhaus der Götzes noch ein bisschen." Mats schmunzelte. Augenverdrehend ging ich an ihm vorbei, die Treppen hoch und war froh, meine Blase endlich leeren zu können. Ganze zwei Jahre hatte ich nicht mehr auf dieses Stäbchen gepinkelt, davor war es beinahe mein Lebensinhalt. Ich legte das Stäbchen sofort zur Seite und ging nach dem Händewaschen aus dem Badezimmer heraus, um mich abzulenken. Als ich in das Schlafzimmer kam, sah ich Theo, wie er mit meinem Vater auf dem Bett lag und laut vor sich hin gackerte. „Opa, Opaaaa" er zeigte auf meinen Papa als er mich bemerkte. Ich strahlte nickend, setzte mich zu den Beiden und küsste meinen Sohn liebevoll, bevor ich ihm durchs Haar wuschelte. „Alles Gut?" Papa zog besorgt eine Augenbraue hoch. Ich seufzte: „Wieso ist Eherettung so anstrengend?" warf ich in den Raum und lehnte mich an die Kissen an während ich meinen Blick von meinem Vater abwandte und Theo beobachtete. Papa brauchte nichts zu sagen und ich brauchte ihn nicht anzusehen. Ich wusste was er dachte. Doch als ich Theo so sah, der mir zwar wie aus dem Gesicht geschnitten war, aber die Augen und vor allem die Aura seines Vaters hatte, da war es mir wieder wert, darum zu kämpfen, was Marco und ich hatten. „Geh ruhig, ich passe auf den Kleinen auf." gab er sich geschlagen. Dankbar drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange: „Ich habe den besten Papa." zwinkerte ich. Theo schaute irgendwie kritisch, so als würde er protestieren wollen und als ich gerade die Tür hinter mir schließen wollte, schaute ich noch ein Mal Richtung Bett und hörte ihn bloß „Opa!" rufen. Grinsend ging ich wieder ins Bad, griff nach dem Stäbchen und atmete tief ein und aus, bevor ich es umdrehte.
In mir zog sich alles zusammen. Nur ein Strich.
Ich war nicht schwanger.
Dafür den ganzen Aufriss, den ganzen Streit. Ich könnte schreien vor Wut. Endlich tat ich es - ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Ich wollte alles besser machen und verfiel für einen Augenblick in alte Muster. Es war so verdammt schwer, an sich zu arbeiten. Es war so verdammt schwer, wenn man sich ändern musste. Doch leider war mein Versagen auch leider menschlich. Wichtig war, was ich daraus nun machte, wie ich damit umging.
Ich fühlte mich unglaublich schuldig, wollte nicht in Marcos Haut stecken. Ich wollte ihn in den Arm nehmen, ihn küssen, ihm sagen, dass alles gut sei. Irgendwie mussten wir auch damit abschließen, dass Mario und ich eben diese eine Nacht gemeinsam verbracht haben. Nur wie?
Der Test wanderte sofort in den Müll und ich stolperte die Treppen herunter zu Mats, der ungeduldig auf wartete und mit verschenkten Armen gegen das Geländer lehnte. Sein fragender Blick durchbohrte mich förmlich. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Mats blieb neutral. Er war weder erleichtert, noch traurig. Wortlos nahm er mich in den Arm. Für eine kleine Sekunde. Das reichte schon. Dafür war er wie mein Bruder, er wusste was zu tun war.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now