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Mit hochroten Wangen betrat ich bereits sieben Minuten zu spät überhaupt das Gebäude. Dieses Gespräch - es stand schon jetzt unter einem schlechten Stern. Ich spürte ein komisches Stechen in meiner Leistengegend, war jetzt schon abwesend und zittrig, so als hätte mich die Sommergrippe von letzter Woche ein zweites Mal erwischt.
Ich durfte mir aber nicht anmerken lassen, dass ich mich nicht einmal halb so souverän und selbstbewusst fühlte, wie vorgestern. Dass ich mich die ganze Zeit Marios Worte beschäftigten, sie wiederholten sich immer und immer wieder in meinen Gedanken und das, obwohl ich noch nicht einmal wusste, was ich für ihn empfand oder diese Nacht für mich überhaupt bedeutete. Mario hingegen hatte sich anscheinend seine Meinung darüber bereits gebildet und ich fragte mich so langsam, ob Ann-Kathrin wirklich wusste, dass Mario in mich verliebt war oder es sich nur eingebildet hatte.
Für mich und meine Zukunft verbannte ich diese Gedanken zunächst aus meinem Kopf. Ich musste mich für mich und meinen Sohn jetzt auf das mir bevorstehende Gespräch konzentrieren. Meine Hand legte sich ängstlich um die Türklinke. Mittlerweile hatte ich zehn Minuten Verspätung, doch das war es nicht, was mich so verunsicherte. Ich hatte eher Respekt vor der Reaktion meiner Chefs. Den Aufstand von vorgestern, den konnte ich mir nämlich Strenggenommen nicht erlauben. Ich war auf den Job angewiesen, genauso wie auf das gute Geld, dass ich bekam. Auch wenn ich zu anderen Vereinen wechseln könnte - eigentlich wollte ich das gar nicht. Ich hatte mir von meinem eigenen erspartem ein Haus gekauft. Ich wollte hier bleiben, in Dortmund, meiner Heimatstadt, bei diesem Verein, der mir die Welt bedeutete. Doch so in der Form würde ich das niemals vor dem Vorstand zugeben - nicht, nachdem sie mich so durch den Scheuersack haben gehen lassen. Sie haben mich im Stich gelassen. Deswegen bereute ich kein einziges meiner Worte. Ich war froh, dass ich endlich den Mut hatte, für mich einzustehen. Ich war stolz auf mich. Trotzdem, die ganze Situation war beängstigend und vor allem hatte ich meinen Vater enttäuscht. Nicht ein einziges Mal hatte ich ihn seit diesem Vorfall ans Telefon bekommen oder ihn sehen können. „Frau Reus" murmelte Reinhard Rauball, der mich an der Tür begrüßte, mir streng zu. Ich nickte ebenso: „Guten Morgen" versuchte ich so seriös wie möglich über meine Lippen zu bringen. Zu meiner Verwunderung saß Marco neben meinem Vater. Er hatte seine Hände tief in die Taschen seiner edlen schwarzen Hose vergraben und starrte auf die Tischplatte vor sich. Ich sah mich unauffällig nach einem freien Platz um und musste feststellen, dass genau gegenüber von Marco, wie vorgestern neben Edin, der letzte Platz frei war. Angespannt ging ich auf ihn zu, setzte mich beinahe geräuschlos hin und strich den Saum meines weißen Sommerkleides glatt. Erst als ich saß blickte Marco in meine Richtung und bei seinem Anblick lief es mir kalt den Rücken herunter. Dunkle Ringe zeichneten sich tief unter seinen Augen ab. Ich warf ihm einen besorgten Blick zu, während er förmlich durch mich hindurch starrte. Mein Vater warf ihm ebenso einen irritierten Seitenblick zu. Sebastian Kehl sprang plötzlich ein kleines bisschen zu energisch von seinem Stuhl auf und räusperte sich lautstark: „Isabella, wir wollten den Vorfall von vorgestern nicht mehr so im Raum stehen lassen." gab er zu. Ich hielt vor lauter Sorge die Luft an und schaute mich um. Marco drehte seinen Kopf lustlos herüber zu Sebastian, mein Vater spiele nervös mit dem Stift in seiner Hand herum, während sein Kollege Helmut mich mit den Augen fixierte. Edin legte unterstützend seinen Arm um meine Stuhllehne und Watzke notierte sich etwas in sein Notizbuch, dass Sascha Fligge ihm zuflüsterte. Müsste ich dieses Geschehen deuten, würde es mich nicht wundern, wenn ich in den nächsten zehn Minuten meine Kündigung zugeschoben bekäme. Gedanklich stellte ich mich vorsichtshalber schon darauf ein. „Deine Worte haben uns zu denken gegeben. Sie waren vielleicht etwas zu unverblümt formuliert, aber vielleicht war genau diese Ehrlichkeit wichtig." machte er weiter. Ein wenig zu perplex starrte ich Sebastian an. Überrascht hoben sich meine Augenbrauen an. Sebastians Mundwinkel zuckten für einen kurzen Moment. Er konnte seine ernste Miene kaum wahren. Erleichtert nahm ich das Papier entgegen, dass er mir zuschob und begann es zu überfliegen. Es war eine Pressemitteilung, die alle Vorkommnisse bis ins kleinste Detail entweder verteidigt oder rechtfertigt. Ich konnte kaum fassen, dass sie mir nicht kündigten. Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet. „Deine Suspendierung ist mit sofortiger Wirkung aufgehoben." Watzke lächelte mich an wie damals, als er mir den Vertrag des Dualen Studiums über den Tisch schob. „Sie haben recht, Isabella. Wir sind froh sie in unserem Team zu haben und sie bereichern nicht nur unser Team, sondern die gesamte Bundesliga. Marco ist heute Morgen zu uns gekommen und hat mit uns ein wichtiges Gespräch geführt. Ich wünsche ihnen viel Spaß morgen beim Training und bin mir sicher, dass wir diese turbulente Saison in den nächsten Wochen gut abschließen können werden." Alle standen auf und ich schüttelte meinen Chefs dankbar die Hände, um sie zu verabschieden.
Gedankenverloren blieb ich auf meinem Platz sitzen, bis sich der Raum langsam leerte. Ich fühlte mich einerseits so glücklich, andererseits war mir schwindelig von der ganzen Aufregung um meine Person. Das alles war etwas, dass ich nie wollte. Ich als Frau eines Fußballspielers bin immer unter dem Radar geblieben, habe gerne den anderen Frauen die ganze Aufmerksamkeit überlassen und nun bekam ich eben diese doppelt und dreifach von allen Seiten. Etwas wackelig auf meinen Beinen stand ich auf und rannte direkt gegen die Brust meines Vaters, der besorgt zu mir herunterblickte und mich an meinen Schultern festhielt: „Bella, was ist los?" fragte er leise. „Nichts" log ich und flüsterte ebenso: „Ich bin einfach nur erleichtert und komplett fertig mit der Welt zugleich." Ich hatte mich wieder etwas gefangen und konnte nicht anders, als mich wie ein kleines Mädchen in die Arme meines Vaters zu werfen. „Ich bin stolz auf dich." murmelte dieser plötzlich und streichelte mir über das Haar: „Dass du so für dich einstehst, hat mich glücklich gemacht." ich schaute meinen Vater baff an, mit dieser Resonanz hatte ich ebenso wenig gerechnet wie mit dem Fakt, dass ich meinen Job behalten durfte.
Wenig später eilte ich hinter Marco her, der gerade zu seinem Auto schlenderte. „Marco!" etwas außer Atem rief ich schließlich nach ihm, damit er nicht in sein Auto stieg. An meiner Kondition musste ich definitiv wieder anfangen zu arbeiten. Er drehte sich überrascht in meine Richtung. „Danke" murmelte ich leise, als ich ihn erreichte. „Wofür?" fragte er lächelnd. „Dafür, dass du heute morgen dem Vorstand gegenüber ehrlich warst." Ich musterte ihn. „Du bist meine Frau und ich bin Schuld an der ganzen Misere. Ich fühle mich schrecklich, dir das alles angetan zu haben. Ich.... Ich wünschte einfach, ich könnte die Zeit zurück drehen." hauchte er traurig und ich sah ihm schon die ganze Zeit an, wie sehr er litt. Du bist meine Frau - seine Worte hallten in mir nach. Und ich habe mit deinem besten Freund geschlafen, fügte ich in Gedanken hinzu und wusste nicht, ob es angebracht war, dass ich mich schuldig fühlte. Marco hatte mich betrogen, seitdem lebten wir getrennt und eigentlich hatte es ihn nichts anzugehen mit wem ich schlief, aber Mario war nicht irgendwer - er war unser bester Freund. Anderseits hatte ich mich schon lange nicht mehr so begehrt und geliebt gefühlt wie in der letzten Nacht, obwohl er dieses schönes Gefühl mit nur einem Satz heute morgen zerstört hatte. Trotz allem fragte ich mich, ob er viel Ärger einstecken musste bei seinem Gespräch heute morgen und erwischte mich tatsächlich dabei, dass ich darüber nachdachte, wie ich ihn wieder aufmuntern konnte.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now