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Ich überschlug mein linkes Bein mit meinem Rechten, hob mit meiner zittrigen hand mühsam die Kaffeetasse an meinem Mund und nippte an dem lauwarmen Koffeingetränk, das mir für ein paar Stunden den richtigen Kick geben würde. Jedenfalls hoffte ich das. Mein dunkles, fast trockenes Haar lag über meinen Schultern und kräuselte sich in zottelige Wellen vom Salzwasser. Der Bikini vom Strandtag klebte ebenfalls noch an meinem Körper als würde ich ihn nie wieder von meiner Haut abstreifen können. Wie immer hatte meine Haut gut Farbe bekommen - da waren die italienischen Wurzeln meiner Mutter ein Segen, doch Marco und ich nebeneinander sahen schon subtil aus, da er lediglich Krebsrot wurde. Doch das gehörte zu unseren Urlauben wie das Amen in der Kirche und genau das gefiel mir an der Zeit hier. Es fühlte sich an wie früher, nur besser und das war ein unglaublich gutes Zeichen.
„Kaffee abends um halb 8?" Mats schmunzelte kopfschüttelnd und ließ sich neben mich in den bequemen Gartenstuhl sinken. Sein Blick folgte meinem unauffällig und er zog begeistert seine Augenbrauen hoch: „Schöner Ausblick aufs Meer von hier. Ist mir noch gar nicht aufgefallen." Ich nickte begeistert und wandte meinen Blick keinen Zentimeter von dem langsamen Beginn des orangenen Sonnenuntergangs, der sich vor uns ereignete, ab: „Ich trinke Kaffee, um den Abend zu überstehen." rechtfertigte ich mich daraufhin. Jetzt hatte ich mich doch zu meinem Cousin gedreht. Er schien erst zu überlegen, bis er sich wieder erinnerte: „Ach ja" murmelte er leise: „Ich muss auch noch duschen." Wir beide mussten lachen. So verpeilt zu sein, das war für Mats einfach typisch.
Heute Abend fanden auf Ibiza erstmalig die Laureus-Awards statt. Dort werden weltweit Sportler und Sportlerin des Jahres gekürt und Mats und Marco wollten unbedingt dabei sein, vor allem weil Robert Lewandowski in der engeren Auswahl zum Sieger stand - und das obwohl beide von ihnen eher weniger der Typ für eine solche Feier sind. Natürlich hatte auch ich Interesse daran, so eine Veranstaltung mitzuerleben. Dennoch, so wirklich genießen werde ich es wohl nicht können. Nachdem Marco und ich gestern Abend essen waren und erst spät zuhause waren, hing ich den ganzen Tag in der Uhr. Es fiel mir schwer heute morgen das Bett überhaupt zu verlassen und seitdem ich dann endlich herausgekrochen war, dackelte ich den ganzen Tag hinter Theo her, der jetzt lief wie ein Weltmeister und ständig versuchte abzuhauen. Marco, der unseren Sohn gerade ins Bett gebracht hatte, kam auf Mats und mich zu und musterte uns von oben bis unten.
Sein Haar wurde durch die ganze Sonne, dem Chlor und Salzwasser wie in jedem Urlab total hell. Er trug sie etwas zerzaust nach oben gestylt und zu seinem dunkelblauen Anzug ein weißes Shirt mit V-Auschnitt und strahlend weiße Sneaker. Um ihn besser sehen zu können hielt ich mir die Hand an die Stirn und grinste, als er fast schon gestresst zum Reden ansetzte: „Entspannt ihr euch schön? Wir müssen in einer viertel Stunde los!" ein nervöses Lachen kam über seine Lippen. Mats hielt verteidigend seine Hände in die Luft: „Ich muss nur noch in meinen Anzug springen.", „Und ich muss nur noch meinen Kaffee austrinken." ich schaute ich die leere Tasse und stellte sie mit extra trauriger Miene vor mir auf dem Tisch ab. Lachend hielt Marco mir seine Hand entgegen und zog mich aus meinem gemütlichen Stuhl in seine Arme.  Wie von selbst schlängelten sich meine Arme um seinen Torso und ich drückte mich so eng an ihn, dass ihm die Luft für einen kurzen Augenblick ausging. Danach schaute ich zu ihm hoch und legte mein Kinn auf seiner Brust ab, während ich ihm einen vielsagenden Blick schenkte, der so viel wie „Lass uns doch lieber hier bleiben" bedeutete, während Marcos Blick eher das Gegenteil aussagte und mit einem Wimpernhochziehen seinerseits war unser Abend besiegelt. „Das wird uns guttun - wir waren schon lange nicht mehr feiern." Marco legte sanft seine Lippen auf meine - so oft bis mein Schmollmund verschwand, weil ich Grinsen musste.
Wenig später hatte ich mich in ein Schwarzes, kurzes Kleid mit einem Rückenausschnitt und verspielte Sandaletten, die man am Bein hochschnüren musste, geschmissen. Meine Haare waren zwar endlich trocken, aber dafür total kraus, doch weder hatte ich Zeit dazu sie zu stylen, noch mich zu schminken. Gerade als ich mir die goldenen Ohrringe hinein fummelte, die ich vor kurzen von meiner Mutter bekommen hatte, kam mein Vater zur Tür hinein und räusperte sich leise.
„Was ist los?" fragte ich ihn verwundert. Ich drehte mich zu ihm um und lehnte mich an das Bettgestell. Mein Vater fuhr sich nachdenklich durch sein Haar und verschränkte seine Arme vor seiner Brust: „Ich frage mich langsam, wie das alles weitergehen soll." brummte er und konnte mich kaum ansehen. Ich lachte irritiert auf: „Wie was weiter gehen soll?" fragte ich amüsiert. „Zwischen Marco und dir. Wir sprachen heute miteinander und ich habe das Gefühl, dass er deinen Zustand nicht Ernst nimmt.", „Meinen Zustand?" ich zog eine Augenbraue hoch und musterte meinen Vater verwundert. Noch nie hatte er sich, seitdem ich erwachsen bin, so in mein Leben und meine Entscheidungen eingemischt. „Du warst noch nie so dürr, deine Augen sind leer und du scheinst von Tag zu Tag weniger Energie zu haben." begann er aufzuzählen. „Papa" seufzte ich leise: „Ich liebe Marco und ich habe ihm verziehen. Ja, ich stehe momentan etwas neben mir, aber-" er unterbrach mich: „Dieser Urlaub war dazu da, dass du dich entspannst und wieder auf die Beine kommst - stattdessen schleppt er dich zu einer Preisverleihung.", „Papa stopp. Ich weiß, dass du dass aus Liebe zu mir tust, aber Marco und ich sind immer noch oder besser trotz allem miteinander verheiratet und wenn selbst ich ihm verzeihen konnte, dann musst du es früher oder später auch tun. Er will nur das Beste für mich. Du kennst ihn länger als ich, Papa. Du weißt, dass Marco kein schlechter Mensch ist." Mein Vater seufzte: „Ich mache mir doch nur sorgen, ich habe Angst, dass du irgendwann wegen alldem zusammenbrichst und-" Diesmal unterbrach ich meinen Vater: „Das werde ich schon nicht, ich bin hart im nehmen." Endlich entlockte ich ihm ein sanftes Lächeln. Plötzlich wurden wir von einer sich öffnenden Tür unterbrochen und Mats, der einen beige-weiß karierten Anzug trug, den ich beschloss nicht zu kommentieren und als neues Fashion-Statement seinerseits einordnete, zog mich mit sich in Richtung Haustür. Ein mulmiges Gefühl wegen meines Vaters kam währenddessen in mir hoch, doch unser Gespräch musste noch ein Paar Stunden warten. Marco stand erwartungsvoll an einem Taxi gelehnt und musterte mich mit glänzenden Augen, bevor er mir mit einem amüsierten Zwinkern die Beifahrertür öffnete.
Es dauerte keine zehn Minuten von unserer Ferienwohnung zur Location. Marco griff auf dem Weg zum roten Teppich nach meiner Hand und unterhielt sich lachend mit Mats, der neben uns herlief. Innerlich verteufelte ich mich für meine momentane Verfassung. Ich wollte nicht mehr wie ein Häufchen Elend in meiner Verfassung dem Leben hinterher trotten und gleichzeitig fühlte ich mich in dieser Rolle gefangen.
Gleich nach dem unangenehmen Teil, als wir endlich im Gebäude waren, griff ich nach einem Glas Prickelbrause, die uns als Empfang angeboten wurde und trank einen großzügigen Schluck, in der Hoffnung etwas lockerer zu werden. Als Mats wohin auch immer verschwand, legte Marco plötzlich beschützend seinen Arm um meine Hüfte und noch bevor ich mich so wirklich umsah ahnte ich auch schon warum er es tat. Sein Kiefer spannte sich an und sein Blick klebte förmlich an Mario und Ann-Kathrin, die wenige Meter von uns entfernt mit Robert und seiner Frau sprachen. Mir wurde Mal wieder bewusst, wie viel sich in den letzten Monaten geändert hatte und das Gefühl von Wehmut überkam mich. „Marco, entspann dich" ich legte meine Hand auf seine Wange, damit er mich ansah, anstatt unsere einstig engsten Freunde. Die Falten auf seiner Stirn verschwanden, als wir uns in die Augen blickten. Seine hand legte sich zärtlich in meinen Nacken, als er seine Lippen vorsichtig gegen meine Stirn drückte. Ein Schauer überkam mich und ich musste mich sofort an die Worte meines Vaters erinnern und stimmte ihm zum wahrscheinlich ersten mal in meinem Leben nicht zu. Nein, Marco unterschätzte meine momentane Situation keinesfalls. Jede seiner Bewegungen mir gegenüber waren bedacht, sorgfältig gewählt und ausgeführt. Vielleicht war es das, was weitere, innigere Zärtlichkeiten zwischen uns noch hemmte. „Lass uns auch dazu stoßen. Wir sagen einfach Hallo." schlug ich vor. „Einfach mal Hallo sagen? Ne, nicht nachdem was er mit dir gemacht hat." Ich verzog meine Mundwinkel: „Aber Marco, dazu gehören immer Zwei und ich - ich hätte ... na ja ich hätte auch nein sagen können, als wir - du weißt schon." stammelte ich unangenehm berührt. Ich zitterte beinahe vor Angst davor, dass sich zwischen uns ein Streit anbahnte. Besorgt scannte Marco mein Gesicht und suchte nach dem Grund für meinen plötzlich so unsicheren Gesichtsausdruck. Die Hand, die noch in meinem Nacken lag zog mich wieder näher an ihn heran und seine Lippen landeten aussagekräftig genug - selbst für mich - auf meinen: „Ich weiß das. Es ist passiert zwischen euch und ich bin deswegen nicht gekränkt oder sauer auf dich, das sagte ich doch schon. Ich bin sauer auf ihn, weil er dir in der Zeit am nächsten stand. Klar hat er diese Situation ausgenutzt, vielleicht auch um seine eigene Situation zu übertünchen und seine Männlichkeit nicht mehr in Frage stellen zu müssen. Bella, Mario ist auch nur ein Mann und wenn ich ihn mit Ann-Kathrin dort so beobachte, dann stehen die Zwei sich wieder ziemlich nahe, findest du nicht auch?" Ich folgte Marcos Blick unauffällig und wusste nicht genau, ob ich ihm zustimmte oder nicht, aber was ich wusste war, dass ich so langsam über dem Ganzen stand und es gerne aus der Welt schaffen würde. „Was ist denn zwischen euch schon wieder passiert?" Mats biss zuerst ein wenig teilnahmslos von einem der Snacks ab, den er sich anscheinend direkt geschnappt hat und folgte unseren Blicken: „Na, wenn das keine super Party wird." murmelte er unbegeistert. Genau in diesem Augenblick kamen alle vier auf uns zu. Unmittelbar bildeten sich Schweißperlen auf meiner Stirn und trank mein Glas in einem weiteren Zug restlos leer - Wie sollte ich denn jetzt so ohne Vorbereitung darauf auf Mario und Ann reagieren?

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now