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Ich hielt mir die Stirn während ich mir den Brief immer und immer wieder durchlas.
Üble Nachrede, Verleumdung, Mobbing am Arbeitsplatz - eine Anklage, Zahlungsaufforderung und Haftstrafe?
Irritiert schaute ich wieder hoch zu Sebastian der neben mir saß und seinen Arm unterstützend auf meinen Rücken legte. Mir stiegen sofort Tränen in die Augen - ja würde dieser ganze Terror denn nie aufhören? „Die spinnt doch!" bekam ich nur voller Wut heraus. Sebastian nickte und strich sich verzweifelt über das Kinn: „Louisa hat und wegen uns einer angeblich ungerechtfertigten Kündigung verklagt." Ich schüttle den Kopf: „Das stimmt alles nicht." wütend pfefferte ich den Brief auf den Tisch und verschränkte meine Arme vor der Brust: „Ich habe keine Rufschädigung begangen. Ich habe nicht ein Wort mit ihr oder über sie gesprochen, nachdem ich sie mit Marco erwischt hatte." rechtfertigte ich mich. Sebastian nickte und schaute mir eindringlich in die Augen. „Was ist? Was kommt denn jetzt noch?" fragte ich als ich seinen Blick bemerkte. „Das muss ich dir geben, aber ich will das du weißt, dass ich da nichts mit zutun habe!" er schob mir einen Zettel herüber. Abmahnung. Ich lachte ironisch auf: „Nicht ernsthaft?" wehrte ich mich: „Ich habe rein gar nichts gemacht und doch werde ich abgemahnt? Seit über fünf Jahren arbeite ich für euch und gut war mir nie gut genug! Ich bin Co-Trainerin und wegen einer falschen Anschuldigung werde ich abgemahnt?" Sauer stand ich auf und konnte nicht mehr verhindern, dass ich immer lauter wurde. Erschrocken schaute mein eigentlich sehr guter Freund mich an: „Bella, ich konnte nichts dagegen tun und die Chefetage hat es sich nicht leicht gemacht, aber die Presse-", „Die Presse stürzt sich wahrscheinlich bereits auf das Thema wie die Aasgeier!" unterbrach ich ihn wütend. Er biss sich auf die Oberlippe und schaute mich entschuldigend an: „Du bist freigestellt, bis die ganze Sache geklärt wurde. Wir haben einen Eilantrag beim Gericht gestellt." Meine Augen wurden riesig. Schockiert starrte ich mein Gegenüber an und versuchte verzweifelt zu schlucken, bei dem riesigen Kloß in meinem Hals: „Sebastian, du weißt genau was bei mir los ist. Ich habe gerade ein neues Auto und ein Haus gekauft und stecke mitten in der Scheidung! Mein Sohn ist erst ein Jahr alt! Ich habe körperlich und seelisch meine Grenzen erreicht! Wenn ich jetzt diesen Job verliere, dann ist der nächste Baum meiner!" brüllte ich ihn an, obwohl ich ganz genau wusste, dass er nichts dafür konnte. „Es tut mir unglaublich leid." murmelte er. Hämisch begann ich zu lachen: „Ja, mir auch! Idiotenverein!" schnaubte ich wütend und packte energisch meinen Kram zusammen.
Nach dem größten Höhenflug kam wohl bei mir immer der größte Fall, auch wenn dieser ganze fünf Jahre auf sich warten ließ.
Noch nie hatte ich mich so schrecklich gefühlt, wie in diesem Moment. Ich konnte nicht einmal ausdrucken, wie es sich anfühlte. Ich hing täglich fest zwischen Wut und Verzweiflung, Trauer und Aussichtslosigkeit, Hass und Verständnislosigkeit. Es war, als hätte jemand mit meinem Leben Domino gespielt. Das konnte doch alles nur ein Albtraum sein. Doch es war keiner - das alles war die unfassbare Wahrheit! Sie war schlimmer als jede Horrorvorstellung, die ich mir je hätte ausmalen können. Dabei war ich der größte Pessimist.
Ich wusste keinen anderen Ausweg als sofort und ohne Umwege abzuhauen - weshalb ich direkt aus dem Raum und Gebäude floh. Da war mir Sebastian egal und mein Vater, der mir entgegen kam. Theo musste ich sofort von meiner Mutter abholen und dann würde ich mich verbarrikadieren. Ich hatte genug von Menschen.
Gesagt getan - wenig später befand ich mich mit dem Kleinen in meinem neuen Haus, das mich wahrscheinlich in den Ruin treiben würde und saß mit ihm auf dem großen Teppich vor dem Sofa- er spielte zufrieden mit den großen Duplo-Steinen.
Ich lehnte mich an das Sofa an und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Vor wenigen Wochen war doch noch alles gut. Was hatte ich bitte angestellt, dass jetzt alles so den Bach herunterging? Alles in mir war angespannt und ich musste mich unglaublich anstrengen, den Schein vor Theo zu wahren und nicht sofort loszuheulen.
So vergingen Stunden, in denen ich mein Kind beschäftigte und weder auf Anrufe, noch auf Nachrichten reagierte. Natürlich hatte das alles schon längst die Runde gemacht. Wahrscheinlich schon bevor ich das alles wusste, aber ich musste jetzt erst einmal meine nächsten Schritte planen.
Vier Stunden später, es war gerade Mal acht Uhr abends, hatte ich Theo ins Bett gebracht und tüftelte an einer Mail für meinen Anwalt. Er musste mich da unbedingt heraus hauen. Wie kam Louisa überhaupt auf solche Anschuldigungen? Ich ließ mein Verhalten ihr gegenüber innerlich revue passieren - da klingelte es drei Mal ziemlich lange und penetrant an der Haustür, bevor ein energisches Klopfen zu hören war. Mein erster Blick wanderte zum Babyphone. Alles blieb still. Ein wenig ängstlich entschied ich mich wenigstens zur Türanlage zu gehen und nachzusehen wer dort stand. Als meine Augen auf dem Display Mario erkannten, haderte ich. Eigentlich wollte ich niemanden sehen. „Bella?" hörte ich ihn ängstlich rufen, danach klopfte er erneut wie bescheuert gegen die Tür. Ich befand mich in einer Starre der Verzweiflung, weil ich mich nicht dazu überwinden konnte, ihm die Tür zu öffnen. „Bella verdammt!" rief er. Er schwankte zwischen Wut und Angst: „Wenn du jetzt nicht sofort die Tür aufmachst, dann-" er stockte. „Dann?" fiepste ich leise als ich vorsichtig die Tür öffnete und ihn mit großen Augen an sah. Er starrte mich voller Erleichterung an und zog mich überschwänglich in seine Arme: „Dann hätte ich die Tür eingetreten!" hauchte er mit angespannten Kiefer gegen meinen Haaransatz und hauchte einen Kuss auf meine Schläfe. Mein ganzer Körper war plötzlich von einer fetten Gänsehaut übersät. Was passierte hier gerade mit mir?
„Das glaube ich dir nicht." schmunzelte ich verzweifelt. „Oh doch!" wandte er ein und nahm mein Gesicht in seine Hände, damit ich seinem vereinnahmenden Blick nicht mehr ausweichen konnte: „Ich habe mir riesige Sorgen gemacht, nachdem dein Vater mir am Telefon erzählt hat was heute passiert ist und dich seitdem niemand mehr erreicht. Ich dachte du hättest dir etwas-" er stoppte und schaute kopfschüttelnd hoch. Wurden seine Augen gerade gefährlich feucht oder bildete ich mir das ein? „Das ich mir etwas antue?" wollte ich erschrocken wissen. Er nickte, während er lautstark schluckte. Ich schüttelte sachte meinen Kopf: „Du spinnst doch. Ich habe ein Kind und würde so etwas grundsätzlich nie in Betracht zieh-" er unterbrach mich: „Ich spinne nicht! I- i... ich-" kam er plötzlich ins stottern.

Optimisten - Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt