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„Jetzt sag nicht, du frühstückst nicht, wegen der Leistungsdiagnostik heute Mittag?" Marco zog eine Augenbraue hoch und musterte mich währenddessen so kritisch wie schon lange nicht mehr. Ich räusperte und starrte auf den Shake der vor mir stand: „Naja, ich glaube - nach den ersten Trainings letzte Woche- dass ich einiges tun muss, um mein Fitnesslevel von vor der Schwangerschaft wieder zu erreichen." murmelte ich ertappt. „Du hast alle Schwangerschaftskilos innerhalb von wenigen Wochen verloren und sahst nicht einmal richtig schwanger aus durch den ganzen Sport. Gerade du müsstest wissen, dass du mehr essen musst, um dauerhaft fitter zu werden." Marcos strenger Ton stieß mir bitter auf. Ja, er hatte natürlich recht. Doch er verstand nicht, wie sehr es mir zusetzte, dieser Stress wenn ich mit Theo alleine war, dass ich denke ich müsste konstant wach bleiben und Angst hatte, ihm würde etwas passieren. Diese Zweifel keine gute Mutter zu sein und gleichzeitig die großen Vorwürfe die ich mir machte, weil ich schon länger das Verlangen spürte wieder zu arbeiten. Dabei war Theo noch kein Jahr alt. Das alles lag mir so auf dem Herzen, dass ich selten richtig Appetit hatte. Sagen konnte ich ihm das alles aber nicht und eigentlich war ich mir sicher, dass er es auch wusste aber verdrängte, weil er seine Karriere auf gar keinen Fall beenden wollte. „Ich habe dir doch schon mindestens fünfzig Mal gesagt, dass es vom Stillen kam. Deshalb habe ich doch auch abgestillt." redete ich mich lieber heraus. Marco rümpfte die Nase, sagte aber nichts. „Du schaffst das heute schon." säuselte er leise in mein Ohr, als er aufstand und hauchte mir einen kurzen Kuss neben das Ohr. „Musst du schon los?" fragte ich nichtsahnend. Er nickte: „Ja, unser Termin war doch wegen unseres gleichen Nachnamens zur selben Zeit angesetzt, aber dann wäre ja keiner da, der auf Theo aufpasst. Deshalb habe ich getauscht und bin wieder da, wenn du los musst." lächelte er. Ich begann zu strahlen. Da hatte er ja endlich mitgedacht, wow. „Danke" kam es begeistert über meine Lippen.
Mein Mann, der nur in Boxershorts und nassen Haaren am Frühstückstisch saß, zwinkerte mir nochmal zu bevor er sich auf den Weg nach oben machte um sich umzuziehen. Ich glaube so attraktiv hatte ich ihn schon lange nicht mehr gefunden.
Es dauerte nicht lange, da war er wieder da.
Und die gute Laune, die er bis er fuhr noch hatte, war verflogen - genauso wie meine vorherig aufgeflammte Begeisterung. Ich seufzte: „Lief es nicht gut?" fragte ich ihn also irritiert. „Ach, keine Ahnung." brummte er bloß. Ich seufzte frustriert: „Okay, ich muss dann jetzt auch los." gab ich ihm zu verstehen. Wenn er nichts erzählen wollte, dann würde ich ihn auch nicht dazu drängen. Er winkte mir zu: „Viel Erfolg." und widmete sich unserem Sohn. Ich runzelte meine Stirn, aber entschied mich, meinen Fokus auf das Wesentliche zu legen.
Obwohl ich gar keine Lust und dafür umso mehr Bammel hatte, viel mir der Test gar nicht so schwer wie gedacht. Alles lief perfekt. Erleichterung machte sich in mir breit. Auch mein Vater hielt mir seine Handfläche hin in die ich erschöpft und durchgeschwitzt einklatschte: „Ich habe dir doch gesagt, dass du das locker packst!" grinste er zufrieden. Ich nickte: „Verrostet bin ich wohl doch nicht." Ich seufzte erleichtert. „Bei Marco vorhin sah das ganz anders aus. So schlecht waren seine Werte noch nie." wisperte mein Vater mir zu. Ich runzelte schon wieder meine Stirn. Wenn ich das noch öfter machte, bekam ich bald Falten. Ich sollte das unbedingt lassen. Meine Mimik entspannte sich schnell und ich zuckte mit meinen Achseln: „Er ist halt nicht mehr der Jüngste - und hat in den letzten Tagen nicht mit trainiert." suchte ich nach Erklärungen. Mein Vater seufzte: „Naja, kann sein. Oder er war abgelenkt.", „Abgelenkt?" ich rümpfte meine Nase. „Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll.", „Musst du auch nicht, Papa. Dieser Mann ist schwerer zu analysieren als Goethes Faust. Keine Ahnung, was ihm schon wieder den Tag versaut." ich erinnerte mich nur zu lebhaft an seine schlechte Laune von vorhin. Wie verabschiedeten uns und danach schwang ich mich unter die Dusche und machte mich auf den Nachhauseweg.
„Bin wieder da!" hallte meine Stimme durchs Haus. Sofort wunderte ich mich, warum es so dunkel war. Meine Beine bewegten sich in die Wohnküche gerade aus. Nichts. Sofort machte sich in meiner unteren Magengegend ein Gefühl von Angst und Panik breit. Wo war Marco bloß mit dem Kleinen? Er hatte gar nicht erzählt, dass er vorhatte einen Ausflug zu machen. Kopfschüttelnd versuchte ich mich zu beruhigen. Vielleicht war er nur einkaufen oder bei seinen Eltern.
Ich stellte das Licht an und entdeckte beinahe sofort den hellblauen Notizzettel, der mitten auf der Küchentheke platziert war.
„Bin weg. Theo ist bei Mario nebenan." las ich mir selbst leise vor. Das Gefühl der Angst wich dem von aufbrodelnder Wut. Konnte er nicht ein einziges Mal für zwei Stunden auf seinen eigenen Sohn aufpassen? Gerade, nachdem er so lange weg war. Er hatte schließlich seitdem wir ein Kind gemeinsam großzogen eine Verantwortung und diese hatte er verdammt nochmal auch einzuhalten! Ich hatte ihm vertraut und er machte es wieder zunichte. So viel zu seinem Versprechen, für mich und Theo da zu sein. Er tat gerade alles, um mich diese Worte nicht mehr glauben zu lassen.
Was sollte das bloß schon wieder?
Sofort zog ich mir meine Schuhe wieder an und griff nach meinem Mantel, um mich auf den Weg herüber zu den Götzes zu machen. Als hätten die beiden mit ihren drei Kindern nicht schon genug zutun. Sauer wählte ich währenddessen Marcos Nummer - doch er ging nicht ans Telefon.
„Bella! Komm rein!" zwinkerte Mario mir fröhlich zu, als ich die Klingel gerade mal für eine Millisekunde betätigt hatte. Als hätte er nur darauf gewartet, dass ich meinen Sohn endlich abholte. Reuevoll schaute ich ihm dabei zu, wie er sich zu den vier friedlichen Kindern kniete und räusperte mich: „Mario, e- es tut mir leid, dass Theo- Ich weiß nicht was in Marco gefahren ist oder wo er überhaupt ist." stammelte ich. „Bella, du brauchst dich nicht  zu entschuldigen. Theo ging es hier sehr gut und es hat mir gar nichts ausgemacht." Langsam atmend setzte ich mich zu ihnen auf den Teppich und nahm meinen Sohn auf den Arm. Mario seufzte: „Keine Ahnung wo Marco so plötzlich hin musste, Bella. Ich weiß, was du jetzt denkst, aber ich bin mir sicher, er wird es dir erklären sobald er wieder nach Hause kommt."

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now