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Meine Finger strichen verträumt über die glatte, marmorierte Arbeitsfläche der Küche, nachdem ich den Lichtschalter ohne im Dunkeln überhaupt nach ihm suchen zu müssen, fand. Dieser Duft hier. Es fühlte sich an wie Zuhause. Es war ja auch mein Zuhause, doch ich war lediglich hier um die wichtigsten Sachen für Theo und mich zu holen. Ich wusste durch Papa, dass Marco in Leverkusen beim Auswärtsspiel war. Es war meine Chance, um endlich in unser Haus zu kommen ohne ihn dabei sehen zu müssen.
Mein Blick schweifte durch den großen Raum bis hin ins offene Wohnzimmer. Wir hatten es uns hier über die Jahre so schön gemach und vor allem gemütlich. Ein heftiges Gefühl von Wehmut überkam mich plötzlich. Ich schluckte angestrengt. Auf dem Couchtisch fiel mir dann ein verwahrlosteren Blumenstrauß auf, der kurz davor war aus der Vase zu springen, so alt und verkümmert war er. Mit zusammengezogenen Augenbrauen ging ich um den Küchenblock herum, vorbei am großen Esstisch bis hin zur Sofaecke. Unter der Vase klemmte eine Karte. Als wäre es selbstverständlich griff ich nach ihr und begann sie zu lesen.

„Isabella Adriana Reus,
ich liebe Dich.
Egal was war, egal was kommt.
Vergiss das nicht.
Alles Gute zum siebten Jahrestag.

Dein Marco"

Mir blieb die Spucke im Halse stecken. Reflexartig hob ich meinen linken Arm an, damit das Display meiner Smartwatch mir das heutige Datum anzeigte. Es war März. Marco und ich waren zwar eigentlich in der Weihnachtszeit zusammengekommen, doch in einer schlaflosen Nacht nach irgendeinem unnötigen Barbesuch mit unseren Freunden hatten wir einfach Mal entschieden, dass unser Jahrestag nun der 13. März sein würde. Dieser Tag lag genau zwischen Weihnachten und unserer Hochzeit - wir wählten ihn einfach nur so aus, denn er gab uns einen weiteren Tag mehr im Jahr, den wir uns mal freihalten konnten, wenn der Alltag wieder sehr ausgelastet und eingefahren war. Das war lange her. Und er war genau vor einer Woche, einen Tag nachdem ich ihm beim Sex mit dieser Louisa erwischt hatte.
Das verflixte siebte Jahr. Meine italienische Mutter ritt immer drauf herum, dass ihre Verwandten so sehr daran glaubten, dass eine Beziehung nur für immer hielt, wenn sie das siebte Jahr überstehen würde. So abergläubisch war ich nie.
Dachte Marco, ich würde noch hier schlafen? Ihn nochmal zur Rede stellen? Wollte er mir ihn vielleicht bringen, doch er wusste nicht wo ich überhaupt war?
Ich rechnete ihm schon hoch an, dass er mir wenigstens ein Mal am Tag schrieb, wie es dem Kleinen ging. Das musste eine echte Überwindung sein.
Vielleicht war ihm sein Sohn ja doch nicht egal und er liebte uns wirklich noch. Obwohl, eigentlich war es eine Selbstverständlichkeit, dass er nach dem Wohlbefinden seines Kindes fragte- das musste ich ihm normalerweise nicht hoch anrechnen.
Er hatte sogar meinen vollständigen Namen auf die Karte geschrieben. Mir war gar nicht bewusst, dass er meinen italienischen Zweitnamen kannte.
Ich klemmte die Karte schweren Herzens wieder unter die Vase.
Bloß nicht einknicken jetzt.
Meine Beine gingen wie von selbst wieder in Richtung Küche, ich griff nach ein Paar Utensilien für Theos Mahlzeiten die mir noch fehlten und packte sie zu den restlichen Sachen in die Reisetasche. Oben hatte ich schon einen Großteil meiner Schränke im Ankleidezimmer und Bad geplündert. Eigentlich war ich endlich bereit zu gehen, doch ich konnte mich nicht wirklich dazu überwinden.
Es fing bei der weichen Decke auf der Couch an, in der wir uns bei schlechtem Wetter immer zusammen eingekuschelt hatten, obwohl sie viel zu klein dafür war, aber genau das war das schöne daran. Bei dem Hochzeitsbild auf der Leinwand über dem Sofa ging es weiter, ich konnte nicht damit aufhören es anzustarren. Es endete mit dem Ring, der noch immer an meinem linken Ringfinger saß als wäre er festgeschweißt und ich es nicht über das Herz brachte, ihn abzusetzen. Ich schloss kurz die Augen und versuchte das Gefühl von Geborgenheit, das mich an diesen Ort überkam tief in mir einzuschließen. Wie schön es wäre, würde das wirklich funktionieren.
Das Geräusch der Haustür ließ mich dann jedoch hochschrecken. Erschrocken drehte ich mich um: „Mein Gott, hast du mich erschrocken!" ich zog scharf Luft ein, lachte dann aber vor Schock als Mario mit den Händen tief in seinen Hosentaschen vergraben hinter mir auftauchte. „Marco hat mich gebeten ein bisschen auf das Haus zu achten, wenn er weg ist und, weil hier die ganze Zeit Licht an war wollte ich vorsichtshalber nachsehen, ob du es wirklich bist." erklärte er mir leise.
Warum war er nicht in Leverkusen? Er spielte schließlich auch noch aktiv.
Ich musterte ihn von oben bis unten. Das was Ann mir vor wenigen Stunden erzählte steckte mir immer noch tief in den Knochen. Ich konnte nicht glauben, dass die Zwei sich einfach so entliebten, nach so vielen Jahren und, dass es wirklich auf Zweisamkeit beruhte, dass sie schon einen neuen Typen hatte und Mario es so gut wegsteckte. Vielleicht war er ja erleichtert? So sah er jedenfalls aus. Sie hatten sich ja auch nicht betrogen. Ich seufzte. „Ich wollte gerade sagen, dass du überraschend gut aussiehst, aber jetzt im Licht sehe ich, dass immer noch ziemlich dunkle Augenringe unter deinen Kulleraugen hängen." scherzte er im offenen Wohnzimmer und fuhr sich über den Nacken. Ich lachte leise, ein echtes Lachen: „Und ich dachte, Marco wäre doch in Dortmund. Theo brauchte ein paar Sachen." erklärte ich. Ich schaute an mir herunter: „Und ich auch." ein leises Lachen huschte über meine Lippen. Mario stieg mit ein und lachte ebenso. Danach fuhr er mit seinen Händen über meine Arme und lächelte nicht schüchtern an. Dieses Lächeln kannte ich gar nicht.
„Aber danke, für den Rüffel. Ich weiß, ich sehe bescheuert aus." murmelte ich geknickt. Mario schüttelte seinen Kopf: „Siehst du überhaupt nicht, nie." murmelte er eher in sich hinein: „Wie geht es dir? Sei ehrlich." wollte er daraufhin wissen. Ich biss mir nervös auf die Unterlippe und nahm all meinen Mut zusammen: „Mario, ich weiß von eurer Trennung." Er schaute mich mit großen Augen an. Nach dem ersten Schock, fing er an mich anzustrahlen: „Bella, es ist alles gut. Ich bin nicht mehr traurig. Ich war es nur, als mir bewusst wurde, dass es das richtige sein wird wenn wir uns trennen. Wir wollten es uns beide sagen, nach diesem miserablen Tag im Kinderspieleparadies, den wir - naja - zu viert mit den Kindern verbracht haben. Weißt du noch? Seitdem wache ich jeden Morgen zufrieden auf. Kein Streit mit Ann, die Kinder sind viel glücklicher, ich bin glücklicher. Sie hört endlich auf mich klein zureden, weil sie unzufrieden war mit unserer Ehe. Es war die beste Entscheidung.", „So lange schon?" fragte ich baff. Wie konnte Ann so einen tollen Mann und Vater wie Mario bloß klein reden?
Mario nickte und mir war schon wieder zum heulen zumute. Ich ging mir selbst schon auf die Nerven mit der Heulerei, aber leider lagen meine Nerven einfach Blank. Ich wollte, dass der Schmerz endlich aufhörte, doch war noch nicht einmal halb über dem Berg: „Mario, wie kannst du nur so darüber reden und währenddessen lachen?" schluchzte ich leise. Er verlor keine Zeit, mich in seine Arme zu ziehen. Mein Kopf lag wie so oft in den letzten Tagen auf seiner Brust, in der sein Herz extrem schnell schlug: „Ich kann nicht einmal hier hinein gehen ohne mich zu fragen, ob mein Leben ohne Marco eigentlich einen Sinn hätte. Dabei hat er mich so verletzt und ihr könnt euch anlachen und sagen, dass ihr euch voneinander trennen wollt." schluchzte ich gegen seinen grauen Hoodie. Er streichelte durch mein Haar, hinunter über meinen Rücken, während er mit den Worten rang: „Bella, das sind zwei ganz andere Situationen. Ann-Kathrin und mir war es schon lange zuvor bewusst. Marco aber hat dich sehr verletzt und dein Vertrauen zerstört. Er hat dich betrogen. Das kannst du nicht vergleichen. Das eine will man, das andere muss man. Verstehst du?" versuchte er mir klar zu machen. Ich versuchte mich zu beruhigen, löste mich etwas von ihm und schaute hoch in seine hellbraunen Augen: „Du hast recht." schniefte ich zustimmend. Marios rechter Mundwinkel rutschte sofort etwas in die Höhe: „Siehst du? Merke dir eins: Mario hat immer recht." lachte er leise, strich mir fürsorglich eine Haarsträhne hinters Ohr und zwinkerte mir zu. „Und jetzt raus hier. Dein Sohn wartet bei seinen Großeltern auf seine Mutter. Konzentriere dich auf ihn."
Er hatte schon wieder recht.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now