68.

677 43 10
                                    

Am nächsten Morgen sprang ich mit einem halben Hechtsprung und voller Adrenalin aus dem Bett. Marco ist anscheinend heute Nacht in das freie Gästezimmer nebenan gegangen, um Theo und mich nicht zu wecken. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn ich lag ohnehin unruhig im Bett, bekam kaum ein Auge zu - während meine Gedanken mal wieder nur um ein Thema kreisten: schwanger oder nicht schwanger.
Mein Herz hämmerte förmlich gegen meine Brust und ich entschloss, mich ein wenig herunter zu holen. Tief ein- und ausatmend gin ich zum Spiegel und stellte mich wie so oft in meinem Leben davor. Ich schob das große Shirt das ich von Marco zum schlafen trug hoch und begutachtete meinen Körper. Da war nichts. Mein Körper glich nicht dem einer normalen Frau. Ich sah zum ersten Mal, wie schrecklich ich aussah, wie krank. Meine Beckenknochen standen unschön hervor. Dort war kein Anzeichen einer Beule. Das müsste man bei meiner Statur deutlich sehen. Als ich mit Theo schwanger war, war ich auch ziemlich zierlich, jedoch sah man meinen Bauch relativ schnell, während der Rest schlank blieb. Es fühlte sich für mich so an, als wäre ich wieder in die Zeit vor Theo zurückversetzt worden, in der ich unglaublich unglücklich war, da ich unbedingt schwanger werden wollte, nachdem ich zwei Jahre zuvor meine Fehlgeburt erlitt. Es war die Zeit in der Marco und ich begangen uns zu distanzieren. Der Anfang vom vorläufigen Ehe-Aus. Eine fette Gänsehaut überfuhr meine Arme. Marco interessierte zwar meine Nacht mit Mario wenig, doch wenn es so sein sollte, dass daraus ein Kind entstand, dann würde er aus allen Wolken fallen. Ich könnte es ihm nicht einmal verübeln, nach allem was wir durchmachen mussten. Schließlich wurde uns gesagt, bevor mir der Tumor heraus operiert wurde, dass ich es schwer haben werde schwanger zu werden. Das alles vernarbt und verwachsen ist und ich wahrscheinlich immer wieder Probleme mit diesen gutartigen Tumoren haben würde - und auch, dass Marco und ich genetisch bezüglich des Kinderkriegens wohl einfach Pech hatten. Das ich mit Theo schwanger wurde war wahrhaftig ein Glückstreffer. Ich wusste nicht, ob Marco überhaupt ein zweites Kind wollte, doch wenn dem so wäre, dann müssten wir wegen seines Alters schnell sein und auch, weil es wahrscheinlich nicht ohne Hindernisse funktionieren würde. Ich begann vor Angst zu schwitzen. Marco hatte so viel Liebe zu geben, aber ein Kind großzuziehen, dass seinem besten Freund gehörte, das würde er nicht können. In mir machte sich die Angst breit, dass ich bald doch alleine dastehen würde, ohne Mann, vielleicht sogar mit zwei Kindern. Etliche Horrorszenarien machten sich in mir breit und das obwohl ich noch nicht einmal einen Schwangerschaftstest besorgt hatte. Die Zeit ohne Marco und ganz alleine mit Theo war einfach eine pure Überforderung, auch wenn ich eine selbstständige Frau war. Ich zog seither vor jedem Alleinerziehenden den Hut.
Ich hob meinen schlafenden Sohn auf meinen Arm und drückte ihn fest an mich, atmete seine in Duft ein und spürte, wie sich mein Herz beruhigte als ich seine Wärme spürte. Er war erst etwas über ein Jahr alt. Ein Zweites Kind war schon immer mein Traum, am liebsten hätte ich eine Handvoll Kinder. Aber jetzt, so früh und unter diesen Umständen? Das wäre der Supergau.
Ich legte meinen schlafenden Sohn wieder hin, stellte daraufhin leise ein Babyphone in Marcos Zimmer und zog mich an, bevor ich mir lediglich mein Smartphone und das Portemonnaie schnappte, bis ich dann ohne bemerkt zu werden aus dem Haus verschwand.
Auf dem kurzen Fußweg in Richtung Supermarkt schwankte ich hin und her mit dem Gedanken, ihn anzurufen. Auch wenn ich Mario nicht wirklich unter die Augen treten wollte - er saß mit im Boot und war dazu doch eigentlich seit über sechs Jahren mein bester Freund.
Wenn ich das alles, was in den letzten Monaten so geschehen ist nun von Außen betrachtete, war ich schockiert wie es überhaupt so weit kommen konnte. Das Marco mich betrogen hatte war zwar eine Sache, die ich bis heute nicht begreifen wollte, aber über die ich mittlerweile vollkommen hinweg war. Das Mario und ich miteinander geschlafen hatten, war eine andere Sache. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich konnte es nicht begreifen, dass Marco es mir nicht übel nahm. Umso schlimmer wäre es, wenn ich sein Kind unter dem Herzen tragen würde. Das auch nicht ein Mal alles normal ablaufen konnte.
Zum Glück war es so früh morgens noch nicht so heiß, dass ich einen relativ kühlen Kopf bewahren konnte. Irgendwann gab ich dann nämlich dem Kribbeln in meinen Fingern nach, griff nach dem Handy, das tief in den Taschen meiner Shorts vergraben war und drückte auf seinen Kontakt.
Es schien Ewigkeiten zu Piepen - ich wollte gerade auflegen, da raschelte es am anderen Ende. Nervös räusperte ich, nachdem eine gute Minute lang Stille zwischen uns herrschte: „Mario, ich bin's" quälte ich aus mir heraus und biss mir unzufrieden auf die Zunge. Wie blöd konnte man bitte so ein Gespräch starten. Vor allem aber: Wie begann man so ein Gespräch bitte vernünftig?
„Ich dachte du hättest dich verwählt." brummte es aus meinem Hörer. Ich raufte mir das Haar: „Leider nicht." stieß ich heraus. „Wie meinst du das? Du hast mich doch angerufen, dann leg doch wieder auf!" zischte er müde. Ich lachte leise: „Entspanne dich. Komme bitte sofort zum Supermarkt. Du weißt schon - der an der Ecke aus der Straße heraus. Ihr seid doch mit Sicherheit in der Ferienwohnung in der ihr immer seid. Das sind zwei Minuten Fußweg." bettelte ich. „Ich soll was? Bella, was willst du von mir?", „Frag nicht, mach!" und schon legte ich auf.
Ein bisschen verloren setzte ich mich auf den Fahrradständer vor dem Supermarkt und beobachtete jeden, der auch nur in meine Richtung lief, während ich auf Mario wartete. Eigentlich hatte ich bereits nach wenigen Minuten die Hoffnung verloren, aber dann kam er plötzlich doch auf mich zu. Er hatte eine beige Cap auf dem Kopf und ein wollweißes Marken-Shirt mit gleichfarbiger Shorts an. Dazu knall orangene Flip Flops. Man merkte also definitiv, dass Ann-Kathrin wieder in seinem Leben war. Schnell sprang ich von meinem gemütlichen Plätzchen auf und ging auf ihn zu. Verwirrt und fragend zugleich starrte er mich an.
„Guck nicht so. Wir müssen etwas wichtiges kaufen." murmelte ich leise und deutete auf den Supermarkt hinter mir. Mario begann laut loszulachen: „Etwas kaufen? Was bitte willst du denn hier jetzt plötzlich mit mir kaufen?" Verzweifelt starrte ich ihn an: „Einen Test.", „Ei- ein- einen Test?" stammelte er nun unsicher. Ich nickte langsam. „Einen Schwangerschaftstest?", „Ja, man!" wütend haute ich ihm mit meiner Faust gegen die Schulter: „Was verstehst du denn jetzt nicht daran?", „Bella, wir haben verhütet." Mario rieb sich müde die Augen: „Da ist nichts passiert. Ich kontrolliere so etwas.", „Ann-Kathrin hat mir gestern erzählt, dass die Presse euch auf dem roten Teppich damit konfrontiert hätte, wann ich mein Kind denn bekäme." erklärte ich leise: „Und ich stehe seit Monaten neben mir, Mario."
Er schüttelte baff seinen Kopf: „Wir wurden so etwas mit Sicherheit nicht gefragt, Bella. Ich habe keine Ahnung wovon du redest." er verschränkte seine Arme vor der Brust. Überfordert starrte ich ihn an.
Hatte Ann-Kathrin mich angelogen?

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now