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„Phh" machte Ann-Kathrin wenige Tage später im Café nachdem ich ihr die Unterlagen zeigte: „Sporttest?" sie musste leise lachen und überflog das Blatt. Ich nickte stumm. Als ich mir die Zettel selbst durchgelesen hatte, die mir mein Vater vor zwei Tagen in die Hand gedrückt hatte, musste ich erstmal schlucken. Ob ich das alles überhaupt noch schaffte nach der Schwangerschaft mit Theo?
Eigentlich hatte ich noch ziemlich lange trainiert und gearbeitet während ich schwanger war, bis ich dann so unglücklich während des Joggens gefallen bin. Das war auch wieder so eine typische Bella-Aktion. Man hatten Marco und ich uns die ganze Schwangerschaft über in den Haaren, aber ich musste zugeben, dass er seitdem er realisiert hatte wie schlecht es um unsere Ehe stand und nach der Geburt unseres - seines - Sohnes wieder fast ganz der Alte war - bis auf die letzten Wochen. Er strengte sich an und sorgte sich um Theo, unterstützte mich so gut er konnte wenn er denn da war und war ein toller Vater. „Dein Kind ist neun Monate alt in wenigen Tagen. Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt, dass du diesen Test machst?" Ich zuckte mit den Achseln: „Ich will den Anschluss nicht verlieren. Ich frage einfach mal Marco, wann er auf den Kleinen aufpassen kann und beginne dann zu trainieren." gab ich nach. Vorsichtig warf ich einen Blick in den Kinderwagen neben mir, in dem Theo friedlich vor sich hin schlummerte. Wenigstens klappte es tagsüber. Nachts lief es hingegen eher durchwachsen. Ich war schon wieder hundemüde, musste die ganze Zeit gähnen.
„Wo sind eigentlich deine Kids?" mein Blick wanderte zu Ann herüber. Sie grinste: „Bei der Nanny Zuhause. Jona und Genevieve hole ich aber sofort aus dem Kindergarten ab." Ich nickte. Nanny. Ob das auch eine Option für Marco und mich war, damit ich eventuell so langsam wieder ins Training und Berufsleben einsteigen konnte? Schnell verwarf ich diesen Gedanken.
„Trainiert Marco denn wieder?" fragte Ann stirnrunzelnd. Ich verdrehte die Augen: „Nicht dieses Thema." murmelte ich leise. Es war echt seit drei tagen ein Dauerbrenner in der ganzen Familie. Mein Vater und Marcos Vater Thomas hatten sich zusammengeschlossen und wollten ihn gestern Abend den Kopf waschen. Tatsächlich wollte er das Training boykottieren, anstatt sich bei der Dienststelle zu melden und zu schildern was Sache war. Niemals wäre er dann überhaupt suspendiert worden. Aber der BVB steckte in einer schwierigen Phase und Marco hatte es echt gefressenen, dass er ständig gegen eine Wand redete, geschweige denn zum Sündenbock gemacht wurde.
Jedenfalls standen mein Schwiegervater und mein eigener Vater gestern Abend vor der Haustür. Thomas war immerhin von Anfang an Marcos Berater und noch nie hatte Marco solch ein Problem gehabt geschweige denn sich so quer gestellt.
„Marco trainiert heute den ersten Tag wieder. Papa und Thomas haben ihm gestern eine Predigt gehalten, aber Marco ist heute morgen nur seinem Vater zu Liebe wieder in Brackel aufgetaucht, nicht weil er seinen kleinen Aufstand beenden wollte." Ann nickte verständnisvoll: „Mario hat auch momentan die Nase voll. Er steht ja länger schon nicht mehr in der festen Startelf und es läuft ja sonst auch gar nicht gut für den Verein in dieser Saison." Sie hatte recht. Momentan schmückte der BVB den zwölften Platz im zweiten drittel der Saison. Das war ganz und gar nicht gut. Am liebsten würde ich mal wieder Mäuschen beim Training spielen und mir angucken, was besser laufen könnte, aber Theo konnte ich schlecht mitnehmen.
Neutral schaute ich meine langjährige Freundin an. Eigentlich wollte ich nochmal wegen der Spannungen zwischen ihr und Mario nachhaken, doch entschied mich dagegen. Stattdessen entwich meinen Lippen ein lauter Seufzer: „Marco holt mich sofort ab. Er wollte unbedingt heute mit mir neue Autos ansehen. Nach dem Unfall ist meins ja nur noch ein Haufen Schrott." erklärte ich ihr. Auf Autos gucken hatte ich so gar keine Lust. Zugegeben, damit hatte ich mich noch nie wirklich beschäftigt - aber das musste ich auch noch nie.
Wenig später schob ich also den Kinderwagen über den Parkplatz und sah vom weiten schon Marco aus seinem Auto aussteigen, um mir mit dem Kinderwagen zu helfen.
„Hast du dir extra fürs Autohaus dieses Hemd mit nach Brackel genommen, um es nach dem Training anzuziehen?" grinste ich erstaunt über den Look meines Mannes. Er kratzte sich verlegen an seinem Hinterkopf: „Ja" gab er zu. Schon lange hatte ich ihn nicht mehr so zurecht gemacht gesehen. Ich zwinkerte ihm schmunzelnd zu, bevor ich Theo in seinem Kindersitz anschnallte und die Tür schloss. Insgeheim hoffte ich, dass die kommende Autofahrt Richtung Düsseldorf nicht so dramatisch verlief wie die letztens nach dem Spieleparadies und der Auffahrunfall.
Nach wenigen Kilometern auf der Autobahn, nahm Marco bereits eine der unzähligen Ausfahrten und vor uns türmte sich eine dieser riesigen Autobahnsäulen die entweder Werbung für McDonalds oder eine Tankstelle machten. Diese hier machte aber Werbung für viel zu teure Automarken. „Marco" murmelte ich, während mein Blick dieses Werbeschild fixierte. „Ja?" fragte er langgezogen, weil er genau wusste was mein Problem war. „Ich sagte ein kleineres, praktisches, aber schnelleres, sicheres Auto." wiederholte ich meine Stichpunkte abgehakt und deutlich, die ich ihm gestern Nacht noch versuchte klar zu machen als Theo uns wach hielt. Ja, kein Problem hatte er gesagt und jetzt standen wir hier vor den ganzen Bonzenkarren. Ich gab ja zu - hin und wieder gefiel es mir in einem von Marcos Autos zu sitzen, aber viel Lieber saß ich immer in meiner alten, kleinen Knutschkugel. Uns begrüßte ein mir auf anhieb ziemlich unsympathischer Autoverkäufer in Schlips und Kragen, der mit Marco bereits per Du war. Während Marco ihm gespannt zuhörte und den Kinderwagen vor sich her schob, als er diesem Typen hinterher eilte, krallte ich meine Hände um seinen Unterarm und ließ mich mitziehen. Er warf mir einen irritierten Blick zu. Das konnte ja heiter werden, aber mein Ziel war es heute keinen Streit zu haben. Ich warf meinem Mann einen vielsagenden Blick zu, als er mich ansah - er schüttelte kurz irritiert den Kopf, bevor er zum Reden ansetzte: „Wie findest du den?" fragte er strahlend. Ich schaute den riesigen, matt-schwarzen Mercedes Benz mit weit über 200 PS ganz kurz an, dann wanderte mein Blick zu unserem Sohn, der so langsam quengelig im Kinderwagen lag und dann wieder zu ihm: „Nein!" sagte ich bestimmt. Der Autoverkäufer schaute mich baff an und versuchte es, dass man ihm nichts anmerkte: „Oh Frau Reus, sie scheinen sehr hohe Ansprüche zu haben!", „Eher weniger!" ich lächelte gequält: „Ich glaube mein Mann und ich - wir haben uns missverstanden oder sie sich. Wie dem auch sei - ich hätte gerne ein kleineres, praktisches Auto." stellte ich klar. Marco warf mir einen miesen Blick zu und schüttelte dabei seinen Kopf. Plötzlich unterbrach Theo die ohnehin angespannte Atmosphäre mit einem lauten Aufschrei und Gebrüll. Ich verlor keine Sekunde, um ihn aus dem Kinderwagen zu heben und auf meinem Arm auf und ab zu wiegen. „Vielleicht solltet ihr an einem anderen Tag wiederkommen, in Ruhe und ohne Kind." bemerkte der Verkäufer plötzlich, als ich den Kleinen gerade beruhigt hatte. Wortlos verdrehte ich meine Augen und hielt meine Hand auf. Marco verstand und drückte mir seinen Autoschlüssel in die Hand. Den Kinderwagen ließ ich dort stehen, den konnte er ja mitnehmen. Beim Auto angekommen dauerte es nicht lange bis Marco nachkam. Ich hielt Theo gerade seine Lieblingseisenbahn hin, da hörte ich Marco Lautstark den Kinderwagen zuklappen und in den Kofferraum verfrachten, bevor er hinter mir auftauchte. Vorsichtig drehte ich mich zu ihm um und stellte mich seinem unmissverständlichen Blick: „Dir kann man auch keine Freude machen." brummte er bloß kopfschüttelnd und ging kurz darauf die restlichen Schritte zur Fahrerseite um einzusteigen. Seufzend strich ich meinem Kleinen, der mich lieb angrinste über seine geröteten Wangen, bevor ich die Tür schloss und ebenfalls einstieg. Hatte Marco recht und man konnte mir wirklich keine Freude machen? Geknickt ließ ich meine Schläfe an die Scheibe neben mir sinken und dachte über die vergangene Stunde nach.
„Dan kaufe dir doch die Karre, wenn du sie unbedingt haben willst." knallte ich ihm dann aber doch noch unglaublich wütend an den Kopf.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now