12.

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Marco und ich lebten die nächsten Tage aneinander vorbei - jeder übernahm seine Aufgaben.
Er legte Theo schlafen, ich holte ihn morgens aus dem Bett und in der Nacht kümmerte ich mich auch um ihn. Das Thema „wieder Arbeiten gehen" rückte selbstverständlich mehr als nur in den Hintergrund - es geriet in Vergessenheit, leider.
Nach dem zweiten Training am späten Nachmittag aß Marco meistens auswärts und beteiligte sich kaum am Familienleben. Es machte mich unglaublich wütend, was er sich mittlerweile erlaubte. Auch wenn ich es nicht wollte, mein Kopf spann sich gewisse Gedankengänge zusammen, die ich irgendwann so sehr verinnerlicht hatte, dass ich nur noch daran denken konnte.
Mein Vertrauen zu ihm bröckelte Tag für Tag mehr - War er überhaupt beim Training? Müsste er nicht schon längst hier sein? Log er mich an oder sagte er die Wahrheit, wenn er meinte er würde mich nicht betrügen? Wo fing betrügen überhaupt für ihn an?
Seufzend lud ich Geschirr in die Spülmaschine ein, während Theo oben seinen Mittagsschlaf hielt. Ich hatte bestimmt seit Tagen kein wirkliches Tageslicht mehr gesehen. Am liebsten hätte ich mich in meinem Zimmer eingesperrt und an nichts mehr gedacht. Es machte mich fertig, dass ich mich selbst zwang so zu leiden.
Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass Marcos und meine Beziehung so einen Tiefpunkt erreichte. War es überhaupt ein Tiefpunkt? Oder war es das Ende?
„Hallo!" Mario stand plötzlich in der aufgeschobenen Terrassentür und lächelte mich an. Vor Schreck fiel mir glatt ein teller aus der Hand und zerplatzte sobald er den Boden erreichte lautstark in fünfzigtausend Teile. „Oh Mist!" murmelte ich hysterisch und kniete mich auf den Boden, um die Scherben aufzusammeln. „Das war das Porzellan von Fürstenberg, das hat Marco von seiner Oma zu unserer Hochzeit bekommen. Der bringt mich um, wenn er bemerkt, dass da was fehlt - oder eben sie, wenn sie mal wieder einfach so herkommt ohne sich anzukündigen und er auf heile Familie machen muss, bis sie weg ist." erklärte ich wie in einem Tunnel. Ich hatte bisher nicht gemerkt, dass Mario mir bereits half die scharfkantigen Teile aufzusammeln: „Bella-" brachte er dann bestimmt ein fünftes Mal über seine Lippen, bis ich ihn überhaupt realisierte. Er griff nach meinen Händen: „Hör auf! Deine ganzen Hände sind schon voller Blut, bemerkst du das denn gar nicht? Du hast dich geschnitten!" Ich starrte zuerst meine Hände an, die in seine gelegt waren, bevor ich zu ihm hochblickte. Erst jetzt durchzog meinen Körper ein stechender Schmerz: „Du hast recht." murmelte ich total durch den Wind. Mario zog mich hoch und stellte den Wasserhahn an, um meine Hände darunter zu ziehen. Ich sah zu, wie sich die rote Flüssigkeit den Abfluss hinunter begab und stöhnte schmerzerfüllt auf. „Das sieht tief aus." bemerkte mein bester Freund und schaute mich mitleidig an. Ich nickte: „Ich kann gar nicht hinsehen." Mario stellte den Hahn wieder ab, griff nach dem Geschirrtuch und legte es mir um die Hand: „Drück das fest drauf, hörst du?" befiehl er mir. Ich nickte brav und versuchte für einen klitzekleinen Moment durchzuatmen. Meine Augen folgten Mario, der einen Handfeger und ein Kehrblech aus der Vorratskammer, um die Scherben im Müll zu verfrachten. Danach wischte er das Blut weg: „Ich bringe die Tüte jetzt sofort nach draußen in den Restmüll. Ich bin mir sicher, dass Marco die Teller nicht gezählt hat. Er wird es nie erfahrne." aufmunternd zwinkerte er mir zu. Ich atmete etwas erleichtert auf, als ich hörte, wie Mario den Deckel der Tonne zuschlug und danach wieder das Wohnzimmer betrat. „Zeig Mal her." wisperte er leise und griff wieder nach meinen Händen. Sie waren kalt und blass, es tat gut als seine warmen Hände, meine berührten. Ich beobachtete ihn dabei, wie er meine Hand inspizierte: „Das hört nicht auf zu bluten, wir fahren besser zur Notaufnahme. Sicher ist sicher." Ich nickte: „Ich muss Theo wecken." Ich wollte gerade einen Schritt vor den anderen machen, da hielt er mich auf. Sein Blick durchdrang mich sofort: „Setz dich gefälligst!" er nickte zum Sofa hinter uns: „Ich wecke den Kleinen. Ann-Kathrin ist mit unseren Kindern und ihren Eltern auf Mallorca, mache dir keine Sorgen." Wieder nickte ich einfach nur und ließ mich von ihm auf das Sofa drücken. Ohne zu zögern eilte er nach oben und weckte meinen Sohn. Irgendetwas fühlte sich komisch an, ich wusste nicht genau was es war, aber ich beschloss, nicht so viel nachzudenken. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wenn Mario Zuhause war, wo war dann Marco? Ein riesiger Kloß bildete sich in meinem Hals, doch ich musste ihn herunterschlucken als Mario mit meinem total verdutzten Sohn auf dem Arm wieder den Raum betrat: „Ich glaube ich habe alles. Er ist frisch gewickelt, die Tasche habe ich hier. Du brauchst dein Portemonnaie - wegen der Krankenkarte." schon wieder dieser Blick. Ich schluckte, griff nach meiner Handtasche und ließ mich von ihm aus dem Haus ziehen, herüber zum Haus der Götzes, dass sie erst vor wenigen Jahren auf dem Grundstück neben unserem Haus gebaut hatten, und stieg in sein Auto. Mario schnallte Theo an, in den Kindersitz seiner Tochter Mina, die nur ein paar Wochen jünger ist als Theo und startete den Motor.
An einer roten Ampel, warf er einen verstohlenen Blick hinüber zu mir. Ich spürte es, wie er mir besorgt musterte. Er fuhr sich mit der rechten hand über die Bartstoppeln, bevor er wieder auf die Straße starrte: „Geht es dir gut? Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst." brachte er nach langem ringen mit sich selbst plötzlich über die Lippen. Perplex schaute ich ihn an: „Wie meinst du?" bekam ich nur hauchend aus mir heraus. Mir war total schwindelig und ich hörte wie durch Watte. Das Tuch um meine Hand fühlte sich gefährlich feucht an doch ich traute mich nicht, es anzusehen. Er zuckte mit den Achseln: „Du bist in dich gekehrt, deine eigentlich immer gebräunte Haut ist blass, deine Augen, die sonst immer strahlen, sind matt. Dein Blick ist starr. Du bist dürr. Ungesund dürr - als würdest du gleich zerbrechen." zählte er vorsichtig auf. Mir war so, als würde ein riesiger Stein auf meinem Brustkorb liegen, denn ich komme kaum atmen: „Du spinnst, Mario." ich versuchte mich an einem gespielt belustigtem Lacher, der kläglich scheiterte. Mario schaute mich schockiert an: „Bella, das kann so nicht weitergehen. Ich mache mir Sorgen." wisperte er. Währenddessen parkte er das Auto auf dem Parkplatz, der am nächsten zum Eingang der Notaufnahme war. Meine Antwort wartete er nicht mehr ab, er stieg aus, nahm Theo auf seinen Arm, bevor er meine Tür aufriss: „Los, wir gehen sofort hinein, ich glaube sonst kippst du gleich-" bei dem Versuch auszusteigen sackte ich plötzlich an seiner Brust zusammen. Mir wurde schwarz vor Augen, ich war weg. „-um" beendete Mario schockiert seinen Satz, bevor er um Hilfe rief, mit meinem weinenden Sohn auf dem Arm.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now