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„Mario Götze, kann man sich über einen so wichtigen Sieg überhaupt noch freuen, wenn man weiß, was sich hinter den Kulissen gerade abspielt?" fragte genau der Sky-Reporter gerade, der mich gestern vor aller Öffentlichkeit bloßgestellt hat. Ich setzte mich auf, lehnte mich nach vorne auf meine Knie und stellte mit der Fernbedienung den Fernseher lauter. Das wird schon alles wieder, hallten Mats Worte in meinem Kopf nach. So gerne würde ich sie glauben. Gestern, da war mir der Kragen vor dem gesamten Vorstand geplatzt und ich bereute auch jetzt kein einziges Wort, das mir gestern über die Lippen gekommen ist. Irgendwie hat mir der Fakt, dass ich mittlerweile nichts mehrstufig verlieren hatte, den Mut gegeben, endlich das auszusprechen, was mir schon so lange auf dem Herzen lag. Wenn der BVB mir nun kündigen würde, dann könnte ich jetzt ohnehin emotional damit abschließen. Ich würde mit Sicherheit einen neuen Job finden sobald die Klage von Louisa im Gericht abgewiesen wird. Andererseits wohnte ich jetzt alleine. Die Lebensunterhaltungskosten trug nicht mehr Marco. Mein Erspartes musste leiden, nachdem Hauskauf und wenn jetzt kein Geld mehr herein kommen würde... dann hätte ich ein Problem. Diese Sorgen wollte ich mir aber nicht auch noch aufbürden, nicht jetzt
. Die Fans im Stadion waren heute unglaublich laut, so kam es mir jedenfalls vor. Marios Blick war alles andere als glücklich. Er schaute den Reporter mit solch einem verächtlichen Blick an, wie ich ihn noch nie von Mario gesehen habe: „Wir sind glücklich über diesen wichtigen Heimsieg." sagte Mario eisern. Er spannte vor Wut seinen Kiefer an und würdigte den Reporter keines Blickes. Es war unschwer zu erkennen, dass er das Video in der Talkrunde über mich bereits gesehen hatte und seine Meinung darüber konnte ich in jeder Facette seines Gesichts ablesen. „Naja, so sehen sie aber nicht aus. Was können sie denn sagen, über die Affäre um Isabella Reus?" Nun schaute Mario ihn doch an. Seine Hand ballte sich instinktiv zu einer Faust. Mir blieb der Atem stehen, ich hatte die Angst, dass Mario gerade kurz davor war, seine Contenance zu verlieren: „Wissen sie, bei allem Respekt, aber ihre gestern kundgegebene Meinung ist für uns als Mannschaft komplett unwichtig. Wir stehen alle hinter Isabella und das geschlossen als Mannschaft. Dazu gehört auch unser Trainer Edin Terzic. Vielleicht sollten sie sich das nächste Mal besser informieren, bevor sie ihre Lügen heraus posaunen. Mehr sage ich dazu nicht." Ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick, geht Mario aus dem Bild und lässt den sichtlich überraschten Reporter alleine zurück. Mein Herz schlug etwas schneller. Marios Worte ließen neue Hoffnung in mir aufflammen. Doch es tat weh, mir das ganze weiter anzusehen. Viel zu gerne wäre ich jetzt dort. Meine Hand griff wie von selbst wieder zur Fernbedienung, um das Elend endlich zu beenden. Der Bildschirm wurde schwarz. Im selben moment schrie Theo, der auf dem Teppich vor mir spielte. Ich Rabenmutter. Es war schon nach acht Uhr und er war noch nicht im Bett. Dabei war er total übermüdet. Mit einem schlechten Gewissen nahm ich ihn auf den Arm und drückte ihn gegen meinen Oberkörper: „Mama hat dich in letzter Zeit viel zu sehr vernachlässigt." seufzte ich. Sein Blick war warm, als könnte er mich verstehen und würde mir so zu mitteilen wollen, dass er wusste, was ich gerade durchmachte und mir Kraft und Liebe schenken wollte. Doch das war nicht so. Er verstand es nicht, sondern vermisste momentan höchstwahrscheinlich ziemlich stark die Zuneigung seiner Mutter. Seufzend ging ich mit ihm auf meinem Arm hoch in sein Zimmer und nahm mir extra viel Zeit, um ihn liebevoll ins Bett zu bringen. Er musste wieder zu meiner ersten Priorität werden, so wie sich das gehörte, dachte ich mir als ich mit dem Babyphone in der Hand sein Zimmer wieder verließ.
Der gestrige Tag hing mir noch immer in den Knochen. Ich war schlecht gelaunt, unruhig und ängstlich. Schlecht geschlafen hatte ich auch. Ich musste mich selbst ermahnen, nicht an jenen Abend zu denken als Mario mich in meinem Elternhaus in den Schlaf gestreichelt hatte oder als wir hier zusammen auf einem Sofa eingeschlafen sind. Irgendwie sehnte ich mich danach. Meine Gedanken kreisten nur um ihn, seitdem Ann-Kathrin mir gesagt hat, er sei in mich verliebt. Mittlerweile, da war ich mir unsicher, was ich überhaupt für ihn empfand. Fakt war, dass sich meine Gefühle zu ihm in den letzten Monaten geändert hatten. Ich fühlte mich jede einzelne Sekunde die ich mit ihm verbracht hatte so wohl und verstanden, dass mein zerbrochenes Herz jedes Mal ein bisschen mehr heilte, wenn wir beide Zeit miteinander verbrachten. Doch dann war da meine gescheiterte Ehe zu Marco, die wirren Gefühlen, die ich noch für ihn hegte und meine grundsätzliche Unsicherheit in allen belangen, seitdem mein Leben einem Scherbenhaufen glich. Zwar hatte ich Mats gesagt, dass ich nichts für Mario empfand, doch wenn ich ehrlich war, hatte ich mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht - bis jetzt.
Davon abgesehen wollte ich gar nicht darüber nachdenken, dass mich jemand liebte, der mir so wichtig war, denn Ich fühlte mich noch nie so unwohl in meiner eigenen Haut wie momentan, stand seit Wochen völlig neben mir, war gar nicht mehr ich selbst - und ich wusste auch nicht mehr, wer ich überhaupt sein wollte. Ich war Anfang zwanzig als ich mit Marco zusammenkam, nun sind über sechs Jahre vergangen und ich hatte das Gefühl, nie ohne ihn gelebt zu haben. Ich bin erwachsen geworden mit ihm zusammen. War meine ganze Jugend lang verheiratet. Hatte wenig Erfahrungen gemacht, die mich und meinen Charakter prägten, weil ich mich nie ausprobieren konnte - oder wollte. Das alles war neu für mich und ohne es zugeben zu wollen gefiel es mir irgendwie, die Möglichkeit zu haben mein Leben noch einmal komplett neu gestalten zu können, weil ich erst 27 war. Mir standen noch alle Türen offen, diese Erfahrungen nach denen ich mich sehnte zu sammeln. Doch die Zeit mit Marco bereute ich nicht und hätte er mich nicht betrogen, wären die Gedanken die ich mir gerade machte, nicht einmal ansatzweise aufgekommen.
Mats sagte mir gestern, die Paartherapie wäre eine völlige Zeitverschwendung. Er selbst hatte sie mit Cathy ganze zwei Mal versucht und dennoch hätten sie sich immer wieder getrennt. Erst die endgültige Trennung war für Ludwig das Beste, denn je älter er wurde, desto mehr bekam er die Strapazen seiner Eltern mit und litt darunter. Er hatte recht. Man musste das wohl seiner Kinder über das eigene stellen. Eine Freundschaft zwischen Marco und mir, die gab es zwar noch nie, weil wir uns erst nicht wirklich leiden konnten und uns dann aber direkt ineinander verliebten - doch vielleicht wäre sie nach allem was geschehen ist der bessere, vernünftigere Schritt. Auch wenn ich ihn nicht gehen lassen wollte, weil er - oder mindestens die Erinnerung an ihn - mir so wichtig war. Und dann war da noch die Hoffnung an die ich mich klammerte, dass das alles zwischen uns wieder gut werden kann. Es war ein unerträgliches Gefühl, so in der Schwebe zu hängen.
Auf dem Weg herunter ins offene Wohnzimmer bemerkte ich erst, dass draußen ein plötzliches Sommergewitter über Dortmund zog. Es regnete in Strömen und durch die Panoramafenster in meinem Wohnzimmer, dass ich von der Treppe aus bereits sah, schlugen die Blitze so unfassbar nah ein, dass ich fasziniert aus dem Fenster starrte. Erst das einmalige Klingeln an meiner Haustür sorgte dafür, dass ich meinen Blick von dem Naturschauspiel abwenden konnte. Verwundert rümpfte ich die Nase und lief zur Tür. Der Weg kam mir viel länger vor als er es eigentlich war. Ich legte meine Hand um die Klinke und öffnete die Tür schwungvoll. Vor mir stand Mario. Klitschnass. Noch nie hatte er mich so angesehen - sein Blick war dunkel und willensstark. „Mario?" wisperte ich verwundert. In meinem Bauch spürte ich bei dem Anblick seiner nassen Haare und den Shirt, das förmlich an seinen Bauchmuskeln klebte, ein komisches flattern. „Bella..." keuchte er außer Atem. Er war doch gerade noch am Stadion, wie hatte er es so schnell hier her geschafft? Doch bei seinem Blick sollte ich mich das nicht mehr fragen. Er sah so entschlossen aus, dass ich die Ahnung hatte, er würde nun alles auf eine Karte setzen. Er kam herein und stand plötzlich so nah vor mir, das ich unauffällig etwas nach hinten taumelte. „Bella, ich kann das nicht mehr. Dich gestern mit ihm zu sehen - er hat dich nicht verdient. Schon lange nicht mehr, er wird sich nicht ändern Bella! Marco ist zwar mein bester Freund, aber er ist nicht mehr der Mann, der er mal war. Er würde dich früher oder später wieder und wieder verletzen." redete er aufgebracht drauf los. Wie versteinert schaute ich Mario an und verlor mich dabei in seinen goldenen Augen. Vorsichtig schloss ich die Tür hinter mir und wusste nicht so recht, wie ich reagieren sollte. Meine Atmung war viel zu schnell und ich war überfordert mit der Situation. Mario schaute mich noch immer eindringlich an. Sein Blick war so stark, dass ich ihm gar nicht ausweichen konnte. Er fuhr sich durch sein nasses Haar und murmelte ein aufgebrachtes: „Ach, scheiß drauf!" in sich hinein, bevor er mir näher kam. Ich ging instinktiv einen Schritt zurück, doch er machte einen weiteren Schritt auf mich zu. Noch einen, und noch einen. Bis er vor mir stand, so dicht, dass ich sein pulsierendes Herz hören konnte, seinen Atem auf meiner Nase spürte und ich zu ihm aufsehen musste. In mir setzte nichts ein, kein Gefühl oder Reflex, der mich dazu veranlasste, die Distanz zwischen uns wiederherzustellen. Nein, eher bildete sich ein unvorhergesehenes Kribbeln in meinem Bauch und die Erleichterung trat ein, ihn endlich wieder zu sehen, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte. Plötzlich legte Mario seine Hand in meinen Nacken, zog meinen Kopf nahe an seinen heran, seine andere Hand wanderte an meiner Seite entlang und blieb auf meiner Hüfte stehen. Nach der Länge eines Herzschlags legte er energisch seine Lippen auf meine. Seine Zunge fuhr sanft über meine Unterlippe. Meine Hände lagen auf seinem Brustkorb. Sein Herzschlag, den ich auf meiner Handfläche pulsieren spürte, war so schnell, dass ich wusste, es kostete ihn viel Überwindung, diesen Schritt zu wagen. Wie von selbst öffnete sich mein Mund einen Spalt breit, seine Zunge fand meine. Ich erwiderte seinen Kuss. Er drückte mich gegen die Haustür hinter uns und sorgte dafür, dass es immer leidenschaftlicher wurde, bis mir ein Seufzer entwich. Scheiße dachte ich mir. Das war so unglaublich falsch und doch fühlte ich mich so gut dabei in diesem Moment. In meinem Unterleib entstand ein unglaubliches Ziehen und meine Haut schrie förmlich nach mehr von der Aufmerksamkeit, die er meinem Körper und mir widmete. Als hätte er sich schon so lange genau nach diesen Berührungen von ihm gesehnt. Langsam wanderten meiner Hände von seiner Brust hinauf in seinen Nacken. Ich verschränkte meine Arme und machte im selben Augenblick einen kurzen Satz, Mario reagierte sofort und stützte meine Beine, die ich in diesem Moment um seine Hüfte geschlungen hatte. Ohne den Kuss zu unterbrechen, ließ er mich ein paar Schritte später auf das Sofa gleiten. Seine Lippen wanderten an meinem Hals herunter und hinterließen sanfte Küsse auf meiner Haut. Sein Atem, der meinen Hals streifte, sorgte für eine Gänsehaut - doch diese entstand nicht auf meinen Armen sondern ganz woanders. Mario stockte plötzlich und schluckte - wahrscheinlich hatte er erst jetzt realisiert, was gerade geschah und sah mich besorgt an, während er über mir lehnte. „Mario" wisperte ich leise. Wieder schluckte er: „Bella, e- es tut mir leid. Ich habe dich total überrumpelt." murmelte er schockiert. Ich schüttelte meinen Kopf: „Mario bitte, mach weiter." flehte ich wieder. Wie von selbst rutschten meine Hände unter sein Nasses Shirt und meine Finger fuhren die Konturen seiner Bauchmuskeln ab. Ich biss mir auf die Unterlippe und schaute ihm wieder in die Augen. Ich sah wie sich seine Lust in ihnen widerspiegelte, doch gleichzeitig auch, wie er zögerte. Kurz schloss ich meine Augen, dachte darüber nach wie ich ihn darin unterstützen sollte aufzuhören, weil es mit Sicherheit die vernünftigere der Entscheidungen war, anstatt ihn anzuflehen weiter zu machen, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, lagen seine Lippen wieder auf meinen und ein Laut verließ meine Lippen, den ich gar nicht mehr von mir kannte. Daraufhin war das Eis zwischen uns völlig gebrochen und dieses Gefühl von ihm begehrt zu werden, das gab mir so unglaublich viel.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now