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„Wenn es nicht so vorhersehbar gewesen wäre, dass sich eine Frau in einer solch wichtigen Position für einen Verein, in wirren Beziehungsgefügen verfängt und den Verein somit in einem extrem schlechten Licht darstellt, hätte ich gesagt es sei sehr erschütternd, dass sie nun Zuhause sitzen muss, ohne Mann, mit einjährigem Kind. Aber Mitleid ist hier fehl am Platz: Isabella Adriana Reus ist der Inbegriff von Frauen, die sich hoch schlafen, um tief zu fallen. Das der BVB sie trotzdem eingestellt und immer wieder befördert hat, zeigt doch in was für einer misslichen Lage sich der Verein mittlerweile befindet. Sie haben eine billige Arbeitskraft eingestellt, die nicht einmal im Ansatz die Qualitäten und Erfahrungen verfügt, um an der Seite des Cheftrainers Edin Terzic zu stehen und der BVB hat alles unter dem Mantel versteckt, dass Gleichberechtigung auch im Fußball wichtig sei. Das alles ist eine unfassbare Geschichte, die bis vor Gericht gelandet ist. Wenn sie mich fragen, dann muss an den Gerüchten etwas dran sein. Denn nicht nur ihr Ehemann Marco Reus lässt sich scheiden, nein auch die Klage wegen übler Nachsage und Mobbing am Arbeitsplatz wurde sich mit Sicherheit nicht aus den Fingern gesaugt. Der Verein hätte sich nicht nur suspendieren sollen. Er hätte sie Feuern sollen."

Eine fette Gänsehaut überzog meinen Körper. Ich spürte förmlich, wie jedes einzelne Haar auf meinem Arm sich aufrichtete. Zitternd schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus, bevor ich fest schluckte, um den sich anbahnenden Tränen keine Chance zu bieten. Nicht hier, ermahnte ich mich selbst und öffnete ein wenig gefasster meine Augen, um in die Augenpaare zu blicken, die mich voller Erwartung fixierten. Meine klitschnassen Hände rieb ich nervös an meiner dunklen Anzughose trocken. Vor wenigen Stunden lag ich noch zusammen mit Mats in der Lounge seiner Terrasse und versuchte die positiven Seiten des Lebens aufzuzählen und jetzt saß ich hier: im Meetingraum des Vereins, zusammen mit meinem Vater, der noch immer Sportarzt der Mannschaft ist, seinem Kollegen Helmut, der die Physio leitet und bei denen ich mein Praktikum vor über sechs Jahren begonnen habe. Watzke sah mich mit einem eindringlichen Blick an, den ich nicht deuten konnte. Sebastian Kehl hingegen, schaute mich bemitleidend an. Sascha Fligges Gesicht zierte wie immer ein Pokerface, wie sollte es auch anders sein bei einem Pressesprecher. Nicht einmal seine Mundwinkel zuckten. Sammers Blick ging nachdenklich gen Decke, während Rauball seine Hand vor dem Mund platziert hatte. Ihm war die Situation sichtlich unangenehm. Schließlich blickte ich in Edins dunkle Augen, die mich fixiert hatten. Er saß neben mir und spielte nervös mit seinen Händen, die in seinem Schoß lagen, herum. „Wenn Sie das auch so sehen." überwand ich mich plötzlich dazu, zu sagen. Irgendwie hatte ich es satt mich schuldig für etwas zu fühlen, dass nicht im geringsten Ansatz meine Schuld war. Das was dieser Sky-Reporter in dem Video von sich gab, waren nichts als Lügen. Mein Blick wurde starr und kalt und ich biss mir so auf die Zähne, dass mein Kiefer sich anspannte. „Bitte?" entfloh es Watzke. „Bitte?" wiederholte ich seinen Tonfall und richtete mich auf. Ich war eine erwachsene, gestandene Frau, die sich nicht von Männern klein zureden lassen hatte. Ich war mir meines Talents bewusst und musste mich nicht verstecken. „Das sollte ich sie fragen." meine zu große Bluse rutschte beim Aufstehen aus meinem Hosenbund und an meinen dünnen Beinen nach unten. Das sollte eigentlich nicht passieren. Jetzt glich mein Outfit einem Schlafanzug, aber auch das war mir egal. Kurz starrte ich meine weißen Sneaker an, um mich wieder zu fangen. Danach setzte ich mein Pokerface auf, ging herüber zum Monitor und schaltete ihn aus. „Vor über sechs Jahren wurde ich als Jahrespraktikantin hier eingestellt und habe mich auf den Verein eingelassen. Sie, Herr Watzke, haben mir das Studium angeboten. Wegen ihnen, Herr Sammer, habe ich meinen Master gemacht, um meine Qualitäten auszuweiten. Um die Berechtigung zu haben, Trainieren zu dürfen und eigentlich nicht nur das. Hansi Flick zum Beispiel war selbst Fußballspieler, was ihn anscheinend zu einem Trainer qualifiziert, Joachim Löw ist eigentlich Groß- und Außenhandelskaufmann. Marco Rose Sozialversicherungskaufmann. Alle werden öffentlich anerkannt. Ich habe die optimale Ausbildung, um eine Trainerin sein zu können, aber selbst wenn ich einen Doktor hinterher hängen würde, sie würden es nicht anerkennen, weil ich eine Frau bin, habe ich recht?" fragte ich in die Runde. Betretenes Schweigen war meine Antwort: „Mit einem hat der Reporter recht. Ich bin anscheinend nur wegen ihrer Not einen Co-Trainer zu finden befördert worden und, weil sie Edin haben wollten und Edin - er wollte nur Trainer werden, wenn ich es mit ihm zusammen werde. Das wir ein Team sind und die U-23 Mannschaft vor meiner Schwangerschaft zur Meisterschaft verholfen haben wurde gar nicht beachtet. Mich in der neuen Position einzustellen war ein Zwang - unter dem Vorwand, Gleichberechtigung zu schaffen. Sie wollten Edin, nicht mich.", „Wir wollten euch beide, Isabella." schaltete sich Sebastian ein. Ich schüttelte fassungslos den Kopf: „Nein. Sonst würde es nicht zugelassen werden, dass man mich und mein Privatleben öffentlich ausschlachtet, aber während der Name meines Mannes aus allen Berichten feinsäuberlich entfernt wird und der, der Praktikantin anonym bleibt, verlieren sie als mein Arbeitgeber weder öffentlich, noch privat kein einziges Wort über und für mich oder unterstützen mich. Stattdessen lassen sie mich absichtlich ins offene Messer laufen und treten noch nach wenn ich am Boden liege, indem sie mich plötzlich suspendieren und das nach all den Jahren, in denen ich mir hier wortwörtlich den Arsch aufgerissen habe." ich lachte bitter auf. „Bella" Edin kam zu mir, ich stand immer noch fassungslos vor dem Monitor, doch meine Haltung war aufrecht, mein Blick souverän und kalt zugleich. Er legte seine Hand auf meinen Unterarm und schaute mich eindringlich an: „Hör auf." murmelte er kaum hörbar und er meinte es nur gut: „Du zerstörst dir gerade alles." Ich musterte ihn und schluckte: „Es ist ohnehin schon alles zerstört." und wandte meinen Blick von ihm ab. Mein Vater saß wie versteinert auf seinem Stuhl und starrte in seine Notizen. Ich wusste, dass ich ihn gerade unglaublich enttäuscht und verletzt hatte mit meinen ehrlichen Worten. So ein Verhalten hatte er und Mama mir nicht beigebracht, aber so ging es nicht weiter. Ich räusperte mich: „Ich hätte nach Spanien gehen können, nach Liverpool zu Jürgen Klopp oder in die Deutsche Nationalmannschaft. Als Frau. Wegen meiner Qualitäten, nicht um irgendeiner Fassade und Kampagne gerecht zu werden, aber ich bin hier geblieben. Weil ich ihnen vertraut habe, weil ich ihnen Loyal gegenüber bleiben wollte. Weil der Verein mehr für mich ist, als mein Arbeitgeber. Das alles haben sie mit Füßen getreten. sie wissen die Wahrheit doch genau. Ich habe mich weder hochgeschlafen, noch irgendwelche Verbindungen ausgenutzt um dort zu stehen, wo ich gerade stehe. Ich bin nicht ihr Bauernopfer. Also, um dieses Gespräch abzuschließen: wenn sie den Worten dieses Reportes mehr Glauben schenken wollen als mir, dann senden sie mir die Kündigung zu. Ganz einfach." sagte ich, ohne auch nur einen Funken von Reue dabei zu verspüren. Nein, es machte sich eher Erleichterung in mir breit. Zufrieden ließ ich Edin stehen, ging seelenruhig zu meinem Platz zurück, packte meine Sachen in meine Tasche und ging zur Tür: „Ich wünsche ihnen einen schönen Abend und falls wir uns nicht mehr sehen, dann danke ich jedem einzelnen von ihnen trotz allem was passiert ist. Ich habe gerne hier gearbeitet." Nachdem die Tür hinter mir ins schloss fiel und der Adrenalinspiegel plötzlich absackte, zitterte ich am ganzen Körper. Mats lehnte draußen an seinem Auto und runzelte seine Stirn als er mich entdeckte. Er warf unsicher einen Blick auf seine Uhr: „Das hat ja keine zwanzig Minuten gedauert" seine Worte klangen wie eine Frage, doch anstatt ihm zu antworten schlang ich meine Arme um seinen Torso und drückte mich gegen seine Brust. Nach einer kurzen Schockstarre schlang Mats seine Arme um meine Schultern und drückte mich noch enger an sich. Ich brauchte ihm nichts mehr zu sagen, er ahnte bereits, dass dieses Treffen gerade Zukunftsentscheidend war und mir der Kragen geplatzt ist. „Das wird schon alles wieder." nuschelte mein Cousin, der eher wie mein großer Bruder war, gegen meinen Haaransatz. Ich sagte nichts, atmete nur tief ein und aus. Tränen flossen nicht mehr. Wie denn auch? Nachdem ich wochenlang wegen der verschiedensten Sachen geheult hatte, war mein Tränenreservoir ausgereizt. Ich fühlte mich gerade auch nicht mehr erleichtert. Ich fühlte mich leer und schwach. Ich spürte eigentlich gar nichts mehr, außer meinen schnellen Herzschlag, der die Stille zwischen Mats und mir ausfüllte.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now