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Atemlos kickte ich mir nach der grottenschlechten Trainingseinheit in der kleinen Kabine die Schuhe von meinen Füßen. Man, taten mir die Quanten weh. Wer hatte diese unbequemen Teile eigentlich angeschafft? Das war der Nachteil an den ganzen Sponsorings und Pflichten. Ich hatte keine Chance mir mal meine eigenen Schuhe anzuziehen, die ich wirklich bequem fand. Ich ließ mich auf die Bank fallen und schnaubte. Ich sollte mich nicht beschweren. Vielleicht wäre ja eine Nummer größer die Lösung?
Nach einer ausgiebigen Dusche schmiss ich mich in gemütliche Klamotten und verließ das Trainingsgelände. Wenn ich auf eines nun überhaupt keine Lust hatte, dann auf das was mich in meinem neuen Zuhause erwarten würde.
Ja, ich hatte es getan. Ich hatte mir eine Haushälfte gekauft. Ein Neubau, am Phönixsee direkt in der Nähe von Mats. Sie war modern, sehr hell und groß genug - zwei Etagen und ein ausgebauter Dachboden. Eigentlich war sie viel zu groß, aber ich hatte mich bequatschen lassen und außerdem saß mir der Zeitdruck im Nacken. Marco und ich hatten ein Scheidungsjahr vor uns, sobald ich ausgezogen war. Es dauerte ganze sechs Wochen bis ich an dem Punkt war, an dem ich jetzt bin und doch war das alles erst der Anfang. Die Saison war fast beendet und anstatt Edin und ich unser Ziel das oberste Drittel erreicht zu haben in Greifbarer Nähe anhimmeln konnten, waren wir in der goldenen Mitte doch ziemlich weit davon und von unseren Versprechungen entfernt. So hatten wir und das nicht vorgestellt - und der Verein sich sicherlich auch nicht. Wunder vollbringen konnten wir andererseits ebenso wenig, vor allem mit einer Truppe, die sich selbst bereits aufgegeben hatte.
Kopfschüttelnd wegen meiner eigenen Gedanken, den Türmen von Kisten und unaufgebauten Möbeln in meinem neuen Eigenheim ging ich auf mein Auto zu, bis mich ausgerechnet Marcos Stimme davon zurückhielt, sofort einzusteigen: „Bella!" er hechtete auf mich zu und kam kurz vor mir zum stehen: „Deine Post" ich nahm den einzelnen Brief hastig entgegen und stopfte ihn ohne darauf zu achten in meine Tasche. Privat versuchte ich Marco, und damit meine Zweifel an unserer endgültigen Trennung,  gerade so gut ich konnte aus dem Weg zu gehen. Ansonsten würde ich wahrscheinlich wieder in Selbstmitleid versinken. „Ich hole jetzt Theo von deiner Mutter ab." setzte er mich in Kenntnis, als ich kein Wort über meine Lippen brachte. Ich nickte: „D-d-danke." stotterte ich beinahe schon schüchtern. Marco lächelte irritiert: „An den Termin beim Scheidungsanwalt übermorgen denkst du noch, richtig?" erinnerte er mich unsicher. Wieder nickte ich: „Ja, natürlich.", „In Ordnung. Du wirkst so verstreut, deshalb dachte ich es sei besser dich zu erin-", „Marco. Danke. Ich habe verstanden." unterbrach ich ihn und schaute enttäuscht zu Boden. „Alles klar", er räusperte sich: „Dann bis morgen." Ich winkte ihm kurz hinterher, bevor ich ins Auto einstieg und am liebsten meinen Kopf gegen das Lenkrad hätte knallen lassen.
Doch ich riss mich zusammen, fuhr nach Hause und drehte den Schlüssel in der leeren Wohnung um.
Noch nie hatte ich alleine gelebt. Verzweifelt rieb ich mir über die Wangen als ich das Chaos im Wohnzimmer sah. Wenigstens war die Küche aufgebaut. Ich musste hier unbedingt so langsam klar Schiff machen, damit Theo und ich uns endlich einleben konnten. Nur wo sollte ich anfangen? Ob ich mir das alles so gut überlegt hatte? Bei Marco wohnen zu bleiben wäre definitiv der bequemere Weg gewesen. Schließlich hatte er mir angeboten, das Haus zu behalten. Nein, das kam auch nicht in Frage. Ich wollte endlich unabhängig sein. Mein eigenes Leben aufbauen. Zur Ruhe kommen und meinen Frieden finden. Mit dem ganzen Mist abschließen.
Ich erinnerte mich an den Brief und kramte ihn aus meiner Sporttasche. Achtlos schmiss ich ihn auf die Theke. Mit gerunzelter Stirn überflog ich den Absender. Das Gericht? Der musste über die Scheidung sein. Dann reichte es ja noch, wenn ich mich übermorgen um den Brief kümmerte, wenn wir ohnehin zu Anwalt mussten. Das Fachchinesisch verstand ich ohnehin nicht.
Als es unerwarteter Weise klingelte, schilderte ich auf meinen Socken wieder in Richtung Haustür und öffnete sie ohne große Erwartungen: „Umzugs-Hilfsservice gefälligst?" Mario hielt mir ein sechser Bier in der einen und den Koffer einer bekannten Handwerker-Marke in der anderen Hand. Ich nickte während ich auf meiner Lippe herum kaute und bat ihn herein. Er schlüpfte artig aus seinen Schuhen bevor er durch den Flur ins Wohnzimmer tapste. „Wo sind die Kinder?" fragte ich verwundert. „Ann ist mit Enriquo aus Spanien zurückgekehrt und hat die Kinder übers Wochenende in die Wohnung nach Düsseldorf geschleppt." murmelte dieser bloß. Ich nickte verwundert. „Und Theo?", „Bei Marco." Mario nickte genauso wie ich. „Und jetzt war die alleine so langweilig, dass du hergekommen bist?" grinste ich amüsiert. Mario ließ sich auf mein Sofa fallen und klopfte neben sich: „Ne, Mats hat mir einen Tipp gegeben. Er konnte nicht selbst kommen, er ist irgendwie-", „Auf dem Geburtstag seiner Mutter." ergänzte ich Mario und ließ mich ächzend neben ihn fallen. „Genau, wieso bist du nicht auch da? Sie ist doch deine Tante.", „Ja, sie ist Papas Schwester, aber ich hatte keinen Nerv dafür. Ich muss mich seitdem die Scheidung in der Klatschpresse breitgetreten wird doch überall nur noch rechtfertigen." schnaubte ich fassungslos.
Eigentlich wollte ich nicht mehr daran denken, dass irgendjemand aus unserem weiteren Umfeld der Presse brühwarm und detailliert von der Trennung erzählt hatte. Bis heute wusste ich nicht, wer das war. Vielleicht war es auch besser so, denn derjenige hätte wahrscheinlich nicht mehr das Tageslicht gesehen, hätte er ich danach auf dem falschen Fuß erwischt. „Ach Quatsch. Das stimmt doch nicht.", „Doch, hast du es nicht gelesen? Ich bin Karrieregeil und Marco ist der arme Mann, der sich so links liegen gelassen gefühlt hat, dass es ihn dazu berechtigt hat mich zu betrügen." zitierte ich den Artikel und deutete auf die Klatschzeitung auf dem Karton vor uns, der mir momentan als Couchtisch diente. Kopfschüttelnd blätterte Mario durch die Seiten: „Guck mal, ihr steht direkt neben Prinz Harry und Meghan Markle. Das muss man auch erstmal schaffen." kicherte Mario. „Die heißt doch schon lange nicht mehr Markle, sondern Duchess of irgendetwas." warf ich ein. Marios Lachen wurde lauter: „Das ist doch total egal! Dass du für diesen Schrott drei Euro bezahlt hast reicht mir schon. Du sollst sowas doch nicht lesen. Abgesehen davon - wer kauft sich heutzutage noch Magazine aus Papier?" Ich hatte mittlerweile meinen Kopf auf meiner Handfläche und den Ellenbogen auf dem Rückenpolster des Sofas abgestützt und beobachtete Mario lachend. Die Welt sah schon wieder etwas besser aus seitdem er da war. Zufrieden rückte ich näher zu ihm und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab.
„Mir geht das alles auf die Nerven. Die Arbeit, dieses Haus, mein Leben. Ich habe keinen Bock mehr." murmelte ich nach einer ganzen Weile deprimiert und schaute wieder zu ihm hoch. Marios Hand fuhr ganz langsam durch meine langen braunen Haare, während er nach den richtigen Worten rang und sein Blick mich beinahe durchlöcherte, doch ich hielt ihm stand: „Weiß du was Bella? Das ist völlig okay. Das gehört dazu und es werden bald auch besserer Tage kommen, ganz bestimmt." sagte er plötzlich - und irgendwie tat genau das gut. Nicht immer das ganze Schöngerede oder die ständige Gefühlsunterdrückung, sondern die Möglichkeit das Gefühlschaos so zu nehmen wie es war: verworren und undurchsichtig.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now