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Sebastian reichte mir eine Tasse und schaute mich noch immer entschuldigend an. Ich wusste, dass ihn die Schuldgefühle plagten, obwohl er kaum etwas dafür konnte, dass ich vom Dienst suspendiert wurde. Er war lediglich derjenige, der es mir übermitteln musste. Seufzend nahm den Kaffee an und zwang mich sogar zu einem aufbauenden Lächeln. Danach schweifte mein Blick wieder über die Bande des Trainingsplatzes zu Edin und den Männern, die gerade trainierten. Ohne mich.
„Sascha Fligge hat gesagt, dass du vielleicht eine Pressemitteilung heraus geben solltest. Die Gerüchte nehmen ja gerade überhand." murmelte Sebastian und lenkte mich schon wieder davon ab, mich zumindest vom Weiten auf das Training zu konzentrieren.
Es fühlte sich direkt wieder so an, als würde mir die Luft ausgehen. Sofort erinnerte ich mich an den Tag beim Anwalt vor ungefähr einer Woche. Nachdem Marco und ich das Gebäude verließen blieb mir genauso die Luft weg. Ich begann immer schneller zu atmen. Um mich herum war alles schummerig. Ich steigerte mich so sehr in den Ärger hinein, den ich spürte, dass ich beinahe umkippte - wäre nicht Marco an meiner Seite gewesen.
Er hatte mir alles bis ins kleinste Detail erzählt. Erst hatte Marco Louisa nur darum gebeten, sich von ihm und mir fernzuhalten, dann wollte er ihr eine Stelle bei einem anderen Verein sichern, im Gegenzug sollte sie aber auch wirklich aus Dortmund verschwinden. Irgendwann hat er keinen Ausweg mehr gesehen. Er hat mit den hohen Tieren des Vereins gesprochen, Watzke und sogar Zorc hatten sich eingemischt und Louisa wurde aufgrund ihres Verhaltens Mats und Marco gegenüber gekündigt. Sie konnte keine professionelle Distanz wahren, deshalb war es das einzig richtige. Das dachte ich jedenfalls. Bis mir ein paar Nächte später eingefallen ist, dass ich genauso an ihrer Stelle hätte sein können. Als ich Marco kennenlernte, konnte ich da professionelle Distanz wahren? Schließlich war ich ebenso Angestellte beim Verein. Wahrscheinlich genauso wenig wie sie - doch ich hatte das Glück, dass Marco meine Gefühle erwiderte, dass ich keine Familie zerstörte und es deshalb keinen Grund gab, zu handeln auch wenn es wahrscheinlich zu Beginn genauso ungern gesehen wurde. Seitdem wusste ich nicht mehr, ob ich wirklich wütend auf sie sein durfte. Dennoch war ich immer noch überrumpelt von ihren Anschuldigungen, die mein Leben so beeinflussten, dass ich vor lauter Verzweiflung nicht mehr wusste, wohin mit mir. Ich hatte sie weder gejobbt, noch schlecht geredet oder dafür gesorgt, dass sie gehen musste. Selbst Marco hatte die Entscheidung nicht in der Hand. Schlussendlich war es der Verein, der sie herauswarf und ob es gerechtfertigt war oder nicht - ich musste es ausbaden und das als eigentliches Opfer der ganzen Sache.
„Ich sehe jeden Tag die Meldungen über mich, keine Sorge." grummelte ich leise und trank den letzten Schluck Kaffee in einem Zug aus. „Also? Soll ich Sascha bitten-", „Nein." unterbrach ich meinen langjährigen Kollegen: „Ich äußere mich nicht offiziell dazu. Es geht niemanden etwas an, dass Ich in einer Ehekrise stecke und meine Studentin habe ich nicht heraus gemobbt, sondern sie hat mit meinem Mann geschlafen. Marco und ich haben uns einen Anwalt genommen und der Vorfall wird schnellstmöglich vor Gericht geklärt. Den Eilantrag hat Marco gestern zusammen mit dem Anwalt ausgearbeitet und dorthin geschickt. Das Urteil wird Pressemitteilung genug sein." Sebastian gab endlich nach: „Okay" seufzte er laut: „Ich verstehe.".
Daraufhin kam mein Vater mit Theo auf dem Arm aus dem Gebäude. Ich hörte ihn schon vom Weiten weinen und nahm meinem Vater ihn sofort ab. „Er ist jetzt frisch gewickelt." lächelte mein Vater. „Danke, Papa." ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu, war froh, dass ich meine Eltern hatte. Sie hielten mir mit dem Job und bei allem was gerade in meinem Leben schief lief, den Rücken frei. „Er ist ja ganz warm." bemerkte ich besorgt und wiegte meinen Sohn auf meinem Arm auf und an. Langsam hörte er auf zu weinen und nuckelte erschöpft an seinem Schnuller. Seine Wangen waren rot, seine Augen glänzten. Ich ahnte Böses. „Ach, der Kleine zahnt bestimmt nur." winkte mein Vater ab. „Hoffentlich." murmelte ich leise.
Doch meine bösen Vorahnungen bewahrheiteten sich später natürlich. Mit jeder Stunde die der Abend voranschritt wurde Theo heißer, er bekam Fieber und konnte nicht mehr aufhören, zu weinen. Ich war total überfordert so alleine, versuchte ihn in den Schlaf zu wiegen, zu singen, abzulenken oder alles andere erdenkliche, was man so kannte. Gerade, als ich meine Mutter anrufen und nach Rat fragen wollte, zuckte ich zurück. Ich erinnerte mich, dass sie heute Abend gemeinsam mit meinem Vater ausgehen wollte und entschied mich selbstverständlich dagegen, ihnen diesen einen Abend auch noch zu nehmen indem ich sie verzweifelt anrief.
Doch ich wusste nicht mehr weiter - Theos Weinen wurde immer lauter und nichts was ich versuchte, schien zu helfen.
Ich setzte mich mit ihm auf dem Arm auf das Sofa, versuchte sein Schreien kurz auszublenden, um nachzudenken und nicht sofort mit ihm mitzuweinen und spielte nervös mit dem Smartphone in meiner freien, linken Hand herum.
Mir fiel nur einer ein, der gerade in Dortmund war - und das war Marco. Mats war mit seinem Sohn bei seinen Eltern versackt, nachdem seine Mutter vor ein paar Tagen Geburtstag hatte. Er war ohnehin gerade verletzt und die Ablenkung tat ihm gut, denn er gab es zwar nicht zu, aber er hatte sogar Gefühle für Louisa entwickelt, während sie andere Interessen gehabt zu haben schien. Das war eine unglaublich verzwickte Situation für uns alle und auch für die Freundschaft zwischen Marco und Mats.
„ach komm" gab ich mir selbst den letzten Ruck und drückt die Kurzwahl Nummer eins auf meinem Smartphone, unter der noch immer Marcos Nummer gespeichert war. „Ja?" ging er sofort heran, es musste nicht ein Mal klingeln. Im Hintergrund hörte man den Fernseher und für einen kurzen Augenblick hatte ich unser unglaublich gemütliches Wohnzimmer vor Augen - ich konnte es soar riechen, bevor ich meine Augen wieder öffnete und die Baustelle vor mir betrachten musste. „Bella, was ist mit dem Kleinen? Wieso weint er so?" fragte Marco besorgt. „Marco, t-tut mir leid, aber kannst du bitte kommen? Theo ist krank und ich bin kurz davor, zu Verzweifeln.", „Da fragst du noch? Ich bin schon auf dem Weg zum Auto. Bis gleich!"

Optimisten - Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt