18.

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Als die ersten paar Meter Fahrt hinter mir lagen, fuhr ich sofort rechts heran und legte erschöpft meine Stirn auf den oberen Teil des Lenkrads. Meine Hände hatten die Seiten des Steuers bereits fest umklammert. „Scheiße" murmelte ich zu mir selbst und ließ daraufhin meine Stirn vor Wut gegen das Lenkrad knallen. Und nochmal. Und nochmal. Das kann doch nicht wahr sein. Es musste ein fürchterlicher Alptraum sein. Nein, es war keiner, sonst wäre ich schon längst aufgewacht. Das was passiert ist, das war real. Leider. Ich rieb mir reuevoll meine Stirn, die wie verrückt vor sich hin puckerte und versuchte es nicht zuzulassen, dass diese Bilder von Marco und seiner was auch immer meine Gedanken restlos einnahmen - und doch taten sie es ungefragt und vor allem unaufhaltsam. „Wo soll ich denn jetzt hin?" fragte ich mich selbst ratlos als würde mir plötzlich eine Stimme aus dem Off antworten. Wohl nicht. Ich lehnte meinen zittrigen Körper zurück in den Sportsitz seines Wagens und versuchte durchzuatmen: „Hilfe" brummte ich als die Panik mich trotzdem so langsam wieder überkam. Was jetzt alles auf mich zukommen würde. Eine Scheidung mit Mitte zwanzig. Mein Kind wird ein Scheidungskind. Super, wirklich. Ich werde ihn allein erziehen müssen. Das bekäme ich niemals hin. Hätte ich mich damals bloß nicht auf ihn eingelassen. Nein, das stimmt nicht. Wir hatten eigentlich eine wunderschöne Beziehung.
Das Vibrieren meines Smartphones riss mich für einen kurzen Augenblick aus meinen unglaublich wirren Gedanken.

„Theo bleibt heute Nacht bei Mama und mir!
Alles wird wieder gut, Kleine.
Ruhe dich aus, wir sprechen morgen.
Liebe Dich
Papa"

Erleichtert atmete ich aus. Ich war nicht gerne von meinem Sohn getrennt, aber er liebte seine Großeltern beinahe mehr als ich und ich hatte jegliche Kraft die noch in mir schlummerte für heute bereits verbraucht. Also nun lief ich eigentlich auf äußerster Sparflamme. Dankbar ließ ich mein Smartphone sinken und starrte auf die Straße neben mir.
Genau das stellte mich wieder vor die gewisse Frage: Wohin? Ich wollte auf keinen Fall nach Hause. Das würde mich noch mehr zerstören nach diesem elendigen Tag und dazu hatte ich diese Ahnung, dass Marco dort sein würde. All diese Erinnerungen, Bilder. Ich musste an die Leinwand denken, die noch immer im Wohnzimmer über unserem Sofa hing. Marco hatte mir sie zum ersten Hochzeitstag geschenkt. Er ließ eines unser Hochzeitsfotos darauf drucken. Wir tanzten im dunkeln mit wenig warmen Licht eng umschlungen, Stirn an Stirn unserer ersten Tanz und grinsten uns verliebt an. Wir hatten ihn damals nicht einmal geprobt - hatten nicht daran gedacht. Das war aber egal, wir standen nicht auf so einen Firlefanz. Oh wie sehr ich dieses Bild liebte - und das wusste er. Es war etwas ramponiert, nachdem er sein Smartphone gegen die Wand an der es hing geschmissen hat und es dadurch dramatisch zu Boden fiel, aber vielleicht passte genau das nach den letzten Jahren besser zu unserer Beziehung als ein perfektes, gerades Bild.
Was machte man mit so einem Bild jetzt, wo eine Scheidung Anstand?
Ich fuhr zu Mats, weil ich unbedingt jemanden an meiner Seite brauchte, der mich verstehen konnte.
Niemals hätte ich gedacht, dass ich irgendwann mal an der gleichen Stelle stand wie er vor ein paar Jahren als Cathy ihn betrogen hatte. In deren Ehebett. Als ich aus dem Auto stieg überkam mich schon wieder diese Panik als ich darüber nachdachte, ob Marco auch mit dieser - ugh - in unserem Ehebett - ach, ich sollte aufhören darüber nachzudenken. Konnte ich aber nicht.
„Bella?" fragte Mats kauend als er die Tür öffnete und mich erschrocken musterte. „Tut mir leid, aber ich wusste nicht wo ich hin sollte. Dein Gefühl war richtig, also Marco - er - ich - ich weiß nicht. Oh mein Gott, ich brauche jetzt wirklich wieder ein eigenes Auto und eine eigene Wohnung, Mats. Ich habe noch nie in meinem Leben eine eigene Wohnung gehabt, ich bin doch direkt bei Marco eingezogen. Oh Gott, wie naiv ich war. Diese ganzen Möbel die ich kaufen muss und ich muss sofort wieder arbeiten gehen. Sechs Jahre und fast fünf davon verheiratet. Alles für die Tonne, alles." voller Hysterie machte ich keinen Halt. Mats schüttelte seinen Kopf und schaute mich total perplex an. „Oh Gott!" schrie ich auf: „Ich habe ganz vergessen, dass dich das ganze auch betrifft! Vergiss einfach was ich gesagt habe. Ich finde schon einen anderen Ort zu-" Mats brachte mich zum schweigen indem er seine starken Arme um meinen zierlichen Körper schlang und mich eng an sich drückte. Für einen kurzen Moment kehrte Ruhe in mir ein und ich konnte tief durchatmen. Mit geschlossenen Augen genoss ich das Gefühl von Geborgenheit. Erst als ich die Augen wieder öffnete schaute ich in Marios schockierten Augen, der anscheinend die ganze Zeit hinter Mats stand. Dieser löste sich gerade von mir und schaute ebenso hinter sich zu Mario. Kurz fragte ich mich, ob er nichts besseres zutun hatte als hier zu sein, doch dann fiel mir ein, dass Ann-Kathrin mit den Kids und ihren Eltern immer noch auf Mallorca war. Er musste sich ziemlich alleine gelassen fühlen. Warum sie wohl so lange weg war? Ich musste ihr unbedingt mal schreiben. Irgendwie hatten wir uns ein wenig auseinander gelebt. „Wie bitte?" stammelte mein bester Freund daraufhin: „Ich glaube ich habe es nicht richtig verstanden." Ich ging auf ihn zu, mir stiegen schon wieder die Tränen in die Augen: „Ich - ich war in Brackel und habe Marco dabei erwischt wie er mit Louisa geschlafen hat." sprach ich es zum ersten Mal laut aus. Marios Kinnlade fiel noch weiter herunter, obwohl ich dachte es ginge erst gar nicht. Mats schob uns beide ins Wohnzimmer. Während ich mir ohne noch einen geraden Satz bilden zu können die Augen ausheulte, starrten die beiden sich fassungslos an. „Niemals hätte ich gedacht, dass wir mal an diesem Punkt stehen würden." wisperte Mario ratlos, in der Hoffnung ich würde es nicht wahrnehmen. Mats nickte, während er meinen Rücken tätschelte. „Ich bestelle uns mal was zu essen." brummte dieser daraufhin und machte sich aus dem Staub. Er konnte sich das Elend nicht mehr mit ansehen, das spürte ich. Ich hätte nicht herkommen sollen. Mario zögerte nicht von dem gegenüberliegenden Stück Sofa auf dem er bisher saß aufzustehen und sich neben mich zu setzen. Ich hatte mittlerweile voller Scham mein Gesicht in meinen Händen vergraben während ich gekrümmt auf dem Sofa saß. Seine starke Hand glitt plötzlich wie selbstverständlich über meinen Rücken. Als er unten angekommen war, drückte er meinen Körper in seine Richtung, sodass mein Kopf in seinen Schoß landete. Ich heulte einfach weiter un er hörte nicht auf mich beruhigen zu wollen. Ich spürte jeden einzelnen seiner Finger über meine Wirbelsäule gleiten und merkte, dass es mich tatsächlich ein wenig entspannen ließ. Die Tränen wurden etwas weniger. Meine Atmung gleichmäßiger. Meine Augenlider schwerer. Man war ich müde, dabei war es erst 14 Uhr. „Irgendwie hat noch nichts auf." Mats trat wieder in den Raum: „Dachte es wäre später"
Ich spürte noch, wie er sich neben Mario fallen ließ, bevor der rest meines Verstandes aussetzte. „shhht" kam es nur von Mario: „Ich glaube sie schläft." murmelte er, bevor er einen Vorschlag machte: „Ich kann etwas kochen, später.", „Ja, wieso nicht. Ihr würde es gut tun. Bro, sag mal wie hast du sie denn überhaupt beruhigen können? Ich hatte Angst, dass sie nie wieder aufhört zu weinen.", „Ich weiß es nicht, ich habe nichts gesagt, habe sie nur gehalten." seufzte Mario: „Ich könnte Marco den Hals umdrehen, ob der wohl in der Midlifecrisis ist? Guck dir sie mal an. Bei Bella geht gar nichts mehr. Sie muss unbedingt sofort aus diesem Loch heraus, komme was wolle - ob Marco mein bester Freund ist oder nicht.", „Ich schätze es ist die Midlifecrisis, ja. Du hast recht, sie muss wieder die Alte werden, aber ob dieser Mensch überhaupt noch existiert? Wir haben zu lange zugesehen, Mario. Ich hätte schon viel eher eingreifen müssen. Ich habe schon lange gemerkt, dass es ihr nicht gut geht.", „Mach dir keine Vorwürfe. Wir kriegen das wieder hin. Ich kann sie nicht mehr leiden sehen. Das geht nicht mehr. Ich muss mir irgendetwas einfallen lassen."

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now