Prolog

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Es war mitten in der Nacht und nicht einmal eines meiner Augen hatte auch nur eine halbe Sekunde Schlaf ergattert, als ich meine Beine aus dem riesigen - aber dafür leeren Bett schob und in meine Hausschuhe schlüpfte. Er schrie nicht mehr. Gerade hatte er doch noch geschrien. Ich wischte mir mit dem Ärmel meines Schlafanzugs den Schlaf aus den Augen und steckte meinen Kopf vorsichtig durch die Tür des Zimmers meines acht Monate alten Sohnes. Das kleine Nachtlicht in Form eines Teddys tauchten den Raum in ein warmes Licht. Obwohl ich von der Tür aus sah, wie sich der süße kleine Bauch von Theo regelmäßig hob und dann daraufhin wieder sank, ging ich auf ihn zu und nahm ihn vorsichtig auf meinen Arm, sodass ich endlich seine regelmäßige Atmung auf meinem eigenen Brustkorb spürte. Erleichtert atmete ich aus. Schon besser. Endlich verließ die Anspannung meinen Körper. Warum ich diese Ängste hatte, wusste ich nicht. Ich konnte mir nicht erklären, ob es mit der Fehlgeburt damals zusammen hing oder damit, dass Marco so viel unterwegs war durch den Fußball. Es schien so, als müsste ich damit leben und genau deshalb musste ich irgendwie alles tun, um diese Ängste zu zulassen, aber ihnen gleichzeitig nicht zu viel Raum zu gewähren. Das ging sonst schief. Dabei schlief er meistens so unbeschwert und problemlos nachts, dass es Marco immer total ungern sah wie ich ihn aus seinem Bettchen holte.
Im dunklen Schlafzimmer angekommen setzte ich mich auf meine Seite des Bettes und lehnte mich mit dem Rücken an die Kopfstütze hinter mir. „Eigentlich habe ich dem Papa versprochen, dass ich das nicht mehr mache" murmelte ich leise, während ich ihm mit meiner Handfläche langsam über seinen kleinen Kopf streichelte, der auf meiner Brust lag: „aber weißt du was? Er ist nicht da und was er nicht weiß macht ihn nicht heiß." Manchmal konnte ich kaum fassen, dass dieses wunderschöne Kind mein Sohn war.
Diese riesigen Augen und seinen etwas dunkleren Teint hatte er definitiv von mir, aber dafür das blonde Haar und, ich war mir mittlerweile sicher, auch die Farbe seiner Augen von Marco. Obwohl er ein paar Wochen zu früh auf die Welt kam wuchs er prächtig und war momentan übersäht von süßem Babyspeck.
Irgendwann bemerkte ich, wie mein Smartphone neben mir leise vibrierte. Meine Augen wurden riesig. Was? Das war schon mein Wecker? Es war tatsächlich sechs Uhr morgens. Vorsichtig schlich ich mich wieder zusammen mit Theo in sein Kinderzimmer und legte ihn wieder in seinem Bettchen ab. Ich ließ die Tür auf und machte mich mit dem Babyphone zusammen ins Bad. Dort genehmigte ich mir eine blitzschnelle Dusche und schlüpfte danach in ein elegantes Outfit.
Gerade als ich mir die Haare föhnen wollte, begann Theo ins Babyphone zu quengeln. Immerhin kein Weinen, dachte ich mir als ich den Föhn sofort wieder ablegte und zurück in den Flur stolperte. „Mist, warum ist Marco denn immer so oft weg!" fluchte ich, als ich über seine Trainingsschuhe stolperte und beinahe ins Kinderzimmer flog. Ich hatte schließlich auch nur zwei Arme und zwei Beine. „Ist ja schon gut." murmelte ich so sanft wie möglich. Der Kleine grinste mich erleichtert an. So gelassen wie möglich wickelte ich ihn, machte ihn fertig und ging mit ihm auf dem Arm die Treppen herunter. In der großen Wohnküche setzte ich ihn in seinen Hochstuhl und begann ihn mit seinem Lieblingsbrei zu füttern. Währenddessen kam ich endlich mal dazu, mich wieder hinzusetzen. „Mist, schon acht Uhr." murmelte ich als ich mein Smartphone kurz aufleuchten ließ und begann darauf herum zu wischen, um Marcos Mutter anzurufen. Ich hatte heute diesen wichtigen Geschäftstermin mit einem Sponsoren in Brackel. So langsam musste ich nämlich wieder ans Arbeiten kommen, sonst kam ich gar nicht mehr rein. Louisa traute man so ein Gespräch noch nicht zu. Es ging um die neuen Trikots der nächsten Saison und dessen Werbeemblem und keiner hatte es bis jetzt geschafft den Deal wirklich einzustielen, weshalb ich angerufen wurde. Ja, darauf war ich stolz.
Eigentlich hätte Manuela schon längst da sein müssen, sie wollte für die höchstens drei Stunden auf Theo aufpassen, damit ich alles in Brackel unter Dach und Fach bringen konnte. Theo beobachtete mich skeptisch. Ich musste lächeln als ich zu ihm hochsah: „Die Oma war ja noch nie die Pünktlichkeit in Person." seufzte ich, als könnte er mich verstehen. Er nickte passender Weise. „Bella?" meldete diese sich plötzlich an meinem Ohr. „Ah Manuela, da bist du ja. Wann bist du hier?" lachte ich. Theo hatte sich mittlerweile den Babylöffel gekrallt und kaute darauf herum, während er mich beobachtete. „Du, mir geht es sowas von schlecht. Ich habe Magen-Darm. Ich schaffe es heute leider nicht." murmelte sie traurig. Ich schluckte laut: „Gute Besserung. Mache dir keine Sorgen, ich kriege das schon irgendwie hin!" warf ich hastig hinterher, bevor wir gleichzeitig auflegten. Das passte mir jetzt so gar nicht in den Kram. Theos hungriges Quengeln riss mich aus meinen Überlegungen. Schnell nahm ich ihm den Löffel ab und fütterte ihn in Ruhe zu Ende. Er ging vor.
Es ging nicht anders - dann musste ich ihn eben mit nach Brackel nehmen. Während der Fahrt schaute ich öfter in den Rückspiegel und musste grinsen. Er sah so süß aus in diesem kleinen Puma-Set und den Sportsöckchen.
Ich hielt nicht so viel davon einen riesigen Kinderwagen überall mit hin zu schleppen, weshalb ich blitzschnell die Tasche vom Beifahrersitz griff und sie mir um die Schulter legte, bevor ich ihn aus den Sitz und auf meinen Arm nahm. Gut, dass ich so sportlich war. Sonst wäre ich spätestens jetzt zu Grunde gegangen. Ich ging keine drei Meter durchs Gebäude, da lief ich meinem pfeifenden Vater entgegen, der sofort stehenblieb, als er mich sah: „Bella!" strahlte er glücklich: „Was macht ihr zwei denn hier?", er musterte mich, sah sofort den Stress der in meinem Inneren brodelte, die teilweise noch klammen Haare die mein Gesicht umrahmten und die Augenringe der letzten, schlaflosen Nacht. „Halt' Mal bitte kurz, das ist echt schwer!" murmelte ich und gab ihm natürlich die Tasche, nicht das Kind. Theo strampelte voller Freude als er seinen Opa sah und blubberte glücklich vor sich hin. „Ich bin hier wegen des Gespräch für die neuen Trikots." erklärte ich. „Und Theo?" fragte er mit einem verliebten Grinsen auf den Lippen, als er den Kleinen spielerisch mit seinem Zeigefinger ärgerte. Ich seufzte: „Manuela wollte Babysitten, aber sie liegt flach." Mein Vater nickte. „Ich glaube, ich nehme ihn einfach mit zum Meeting. Theo ist ja ganz unkompliziert und heute besonders gut drauf. Das wird schon irgendwie gut gehen. Anders geht es ja nicht. Marco ist immerhin noch bis heute Abend unterwegs wegen des Champions League Spiels. Man, das ist alles echt anstrengender als ich dachte wenn er ständig weg von Zuhause ist." Der Stress der letzten 72 Stunden und davor fast zwei Wochen stand mir ins Gesicht geschrieben. Ich war ausgelaugt, wurde durch den Stress immer dürrer und fühlte mich schlecht. Zwischen langsam wieder arbeiten, Kind und Haushalt blieb kaum Luft zum Atmen übrig, wenn man auf sich allein gestellt war. Mein Vater legte behutsam seinen Arm um meine Schultern und seufzte: „Kann ich mir vorstellen. Ich habe gerade Puffer, gib ihn mir. Ihm wäre doch furchtbar langweilig in diesem Meeting." gab er zu bedenken. Ich stöhnte erleichtert auf: „Ich dachte schon du fragst nie." strahlte ich meinen Vater erleichtert an, der sich Theo sofort krallte und ihm einen Kuss auf die Wange drückte, als er ihn auf seiner Hüfte absetzte und auf und ab wippte. Mein Herz ging auf wenn ich meinen Vater dabei beobachtete, wie er mit seinem Enkel umging. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Ich wusste, ich konnte Theo sorgenfrei für drei Stunden bei ihm lassen. Erleichtert legte ich meine Arme um meinen Vater und drückte einen Kuss auf die Ecke seiner Lippen: „Papa, du bist echt der Beste!" jubelte ich und riskierte einen Blick auf die Uhr: „Oh, ich muss jetzt sofort hoch! Danke, danke, danke! Wir sehen uns gleich!" rief ich ihnen hastig zu, nachdem ich meinen Sohn einen Kuss auf seine vollen Lippen drückte und zum Meeting-Raum sprintete.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now