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Meine Wangen waren noch total rot wegen der Anstrengung vorhin beim Training und meine nassen Haare, die sich aus meinem Dutt gelöst hatten, wehten im warmen Sommerwind durch mein Gesicht, während sie von Sekunde zu Sekunde trockener wurden. Marco schloss seinen Mund wieder und schluckte leise, bevor er zögerlich seine Hand in meine Richtung hob und mir die losen Haarsträhnen zärtlich hinters Ohr schob. Als er die sensible Haut meines Nackens mit seinen Fingern streifte, überfuhr meinen Körper unerwartet eine strake Gänsehaut. Ich biss mir auf die Unterlippe als ich zu ihm hoch blickte und warf ihm einen fragenden Blick zu. Marcos Augen wanderten von meinen Füßen, die lediglich in Badelatschen steckten bei diesen Temperaturen, über mein sportliches Sommerkleid zu meinem fragenden Gesicht. Als hätte er sich dann wieder gefangen, begann er wieder damit, sein souveränes Lächeln aufzusetzen: „Ich wollte Zeit mit Theo verbringen" begann er und kratzte sich dann verlegen an seinem Hinterkopf: „und mit dir - wollen wir in zusammen von meiner Mutter abholen?" Ein wenig überrumpelt entgleiste mir mein neutraler Gesichtsausdruck, doch ich musste nicht lange überlegen. Für Theo wäre es sicherlich schön, dass er Zeit mit uns beiden verbringen konnte - und ich war auch nicht davon abgeneigt. Also nickte ich: „Ich habe heute morgen Mats Planschbecken abgeholt, das wollte ich für den Kleinen aufbauen und-" Marco legte seine Hand auf meinen Oberarm, um mich zu unterbrechen: „Ich dachte vielleicht, dass wir zu uns fahren-" seine Augen wurden groß: „Ich meinte Nachhause" versuchte er sich heraus zu retten: „Wir könnten in den Pool gehen und ich habe die Sonneninsel heute morgen bereits aufgebaut und das Wasser wärmer stellen lassen für den Kleinen." Ich nickte: „Okay, hört sich super an." Mats, der die ganze Zeit neben uns stand räusperte sich: „Ich fahre dann alleine nach Hause. Marco nimmt dich bestimmt mit." er zwinkerte seinem besten Freund zu und lächelte mich an. Ich sah dennoch die Fragezeichen in seinem Blick, schließlich wollte er sichergehen, dass ich wirklich Zeit mit Marco verbringen wollte. „Alles klar, fahr ruhig." sagte ich ehrlich. Das war Mats Stichwort, er ging alleine über Parkplatz zu seinem Auto und war innerhalb weniger Sekunden über alle Berge.
Ich ging Marco hinterher und stieg in sein Auto ein. Das war bis vor wenigen Monaten noch tägliche Routine fr uns und heute fühlte es sich so fremd und aufregend als würde es gerade zum ersten Mal passiert zugleich an. Es dauerte nicht lange da wich das ländliche Gebiet der Stadt und wir bogen in die Siedlung ein, in der Marcos Eltern - meine Schwiegereltern - lebten. Ich hatte mich bis auf kleine Phasen mit seinen Schwestern immer gut mit seiner Familie verstanden. Doch seit einigen Monaten hatte ich sie kaum noch gesehen.
„Ich gehe kurz rein, bleib ruhig-", „Nein, ich komme mit. Warte." ächzend schob ich mich vom Sitz und schlug die Beifahrertür zu, bevor ich zu Marco ging, der vor der Haustür auf mich wartete und mir einen besorgten Blick zuwarf: „Hast du schmerzen?" fragte er plötzlich wie aus dem nichts und ich runzelte meine Stirn: „Nein" wehrte ich ab. Er drehte den Schlüssel in der Tür seines Elternhauses um, warf mir noch einen skeptischen Blick zu, bevor er mich vor ihm ins Haus treten ließ.
Zwischen uns war alles so vorsichtig, keiner wollte dem anderen auf den Schlips treten und manchmal war das ziemlich anstrengend, aber andererseits musste es sein, wenn wir miteinander auskommen wollten. Wir waren schließlich Eltern - Eltern des süßen Fratzes, der gerade auf uns zugeraunt kam: „Mama!" quiekte er kaum verständlich. Ich ging in die Hocke und nahm ihn auf dem Arm. Während der Bewegung verzog ich unangenehm mein Gesicht. Ich hatte schon seit Wochen schmerzen im Unterleib und hatte es ständig auf die Periode geschoben. Marco hatte also natürlich recht - doch ich war zu stolz es zuzugeben. Vor allem vor ihm. „Du hast wohl schmerzen!" zischte er leise hinter mir, als er seinem Sohn glücklich über den Kopf strich. „Marco!" ermahnte ich ihn genervt. Daraufhin hob er verteidigend seine Hände. „Theo? Wo bist du?" ertönte Manuelas Stimme in der Küche. Suchend trat sie in den Flur und erschrak, als sie uns dort sah: „Mensch, ich dachte ihr wärt Fremde! Wir waren gerade draußen. Yvonne und Melanie sind auch da. Kommt doch kurz mit durch in den Garten." bot sie uns an. Ich spürte Marcos Hand auf meinen unterem Rücken, die mich sachte nach Vorne schob, als ich nicht reagierte. Widerwillig ließ ich Theo wieder ab und nahm ihm an die Hand, damit er die schritte durch das Wohnzimmer hindurch nach draußen selbst laufen konnte, auch wenn sie ziemlich wackelig waren. Auf Marcos Schwestern zu treffen hatte ich eigentlich nicht vor. Obwohl unsere Beziehung immer gut war, sie litt in den letzten Jahren definitiv sehr unter Anspannung und Vorwürfen. Mit zusammengebissenen Zähnen ging ich durch die Terassentür und  lächelte ihnen unsicher zu: „Hallo" presste ich hervor. Sie nickten mir zu und konnten ihre Überraschung, dass wir zwei gemeinsam da waren, kaum zurückhalten. „Mensch, dass wir das noch erleben dürfen!" begann Yvonne direkt zu sticheln. Ich warf Marco einen verzweifelten Blick zu: „Yvonne, das muss jetzt echt nicht sein!" schritt er sofort ein, bevor seine Schwester Fahrt aufnahm. So kannte ich ihn gar nicht. Er ließ das Geschehen früher eher immer ein wenig laufen, bevor er sich dann selten einschaltete, wenn es wirklich grenzwertig wurde. Überrascht schaute Yvonne ihn an: „Was ist denn ich habe gar nichts gesagt?" brummte sie. „Dein Ton reicht doch schon." murmelte Marco achselzuckend. „Ja, was denn? Ich kann Bella auch ins Gesicht sagen, dass sie sich endlich entscheiden soll, wie es weiter geht mit euch. Dieses Hin und Her das hält doch keiner mehr aus. Vor allem nicht euer Kind. Ich verstehe nicht, was sie noch hier will, sie hätte die Scheidungsunterlagen doch schon längst einreichen können und das Thema wäre gegessen. Doch sie hat es noch immer nicht getan und taucht plötzlich wieder auf. Wohl doch Angst, finanziell nicht mehr in trockenen Tüchern zu sein, nicht?" warf sie mir an den Kopf. Aus einer Kurzschlusshandlung heraus, nahm ich Theo auf meinen Arm und verließ fluchtartig den Garten.
„Sag Mal Yvonne, spinnst du?" hörte ich Marco wütend. „Weißt du wie viel Mühe es sie kostet, mich überhaupt anzusehen? Sie hat jedes Recht unsicher zu sein und ich bin mehr als froh, dass ich sie noch nicht meine Ex-Frau nennen muss! Was ist denn in dich gefahren?" schnaubte er. Doch anstatt, dass seine Stimme immer leiser wurde durch die Entfernung, wurde sie immer lauter und seine schnellen Schritte ertönten hinter mir - bis er mich eingeholt hatte und er nach meiner Hüfte griff, um mich zu stoppen und mich in seine Richtung zu drehen. „Tut mir leid." entschuldigte er sich sofort außer Atem. Ich schaute ihn nur kurz an, fixierte dann die Blumen schräg hinter ihm und schluckte verzweifelt. Marco nahm mir den Kleinen ab und drehte mit seiner freien Hand vorsichtig meinen Kopf wieder in seine Richtung: „Yvonne spinnt." wisperte er und schaute mich eindringlich an. Ich nickte wortlos und zwang mich zu einem kleinen Lächeln, bevor ich mich von ihm in Richtung Gartentor ziehen ließ.
Vielleicht spann seine Schwester - vielleicht war sie aber auch die einzige die meine eigenen Gedanken unverblümt aussprach, ohne Angst, mich verletzen zu wollen. Ja, natürlich fragte ich mich auch selbst was ich noch hier machte, warum die Unterlagen auf meinem Schreibtisch verstaubten und wieso ich sie nie in den Postkasten einwerfen konnte, wenn ich sogar davor stand. Warum ich mich nicht scheiden lassen konnte von diesem Mann, der mir so etwas angetan hatte und das, nachdem es schon eine kleine Ewigkeit katastrophal zwischen uns lief. Alles war ein riesiges Hin und Her, so viele Menschen die mir wichtig waren waren darin involviert und alles. Geriet aus den Fugen. Und als wäre das alles nicht schon genug, hatte es selbst auch noch verschlimmert, indem ich mit Mario geschlafen hatte. Ich musste es ihm noch beichten und hatte keine Ahnung wie er es auffassen würde.
Noch weniger Ahnung hatte ich davon, wie ich endlich aus dieser ganzen Sache herauskam. Ich hatte keinen blassen Schimmer.
Wie fand ich bloß endlich heraus, was ich wirklich wollte?

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now