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Es dauerte keine zwanzig Minuten, da klingelte es endlich an meiner Haustür und ich hatte sie noch nie so schnell in meinem Leben geöffnet, wie in diesem Augenblick. Theo lag immer noch schreiend in meinen Armen und zappelte so unruhig, dass ich ihn kaum halten kann. Erleichtert atmete ich auf, als Marco in kurzen Shorts, einem Hoodie und zotteligem Haar vor mir stand. Er schien sich nicht einmal umgezogen zu haben, das verrieten auch die Badeschlappen in die seine Füße stecken. Die Luft, die in diesem Augenblick von draußen herein kam war schwül und unangenehm, die Sonne ging gerade erst unter, obwohl es schon fast zehn Uhr war. Trotzdem war mir kalt. Vor Angst und Sorge um Theo - und vor dem Stress den ich seit Stunden über mich ergehen lassen musste. „Marco!" brachte ich, zwischen dem Geschrei unseres Sohnes und meiner Verzweiflung, kaum hörbar hervor. „Was ist denn los?" fragte Marco aufgebracht als er mir ins Wohnzimmer folgte und sah sich währenddessen auffällig unauffällig in meiner neuen Bleibe um. „I-ich- ich habe keine Ahnung. Er weint seit Stunden und hat Fieber. Er isst nichts, will nicht trinken, seine Nase läuft wie bescheuert. Marco, i-ich kann nicht mehr." stammelte ich verzweifelt.
Mein noch-Ehemann musterte zuerst mich, meine komisch zusammengebundenen Haare, das lange, dreckige Shirt und die Sportsocken, die an meinen Fesseln ständig herunterrutschten - bis sein Blick unseren Sohn erhaschte, der seinen knallroten Kopf in meiner Halsgrube kuschelte und so langsam dafür sorgte, dass mein rechtes Ohr für immer taub wurde. Wie eine elektrische Wippe, wog ich ihn noch immer auf und ab, bis Marco seine Arme ausstreckte: „Beruhig dich Scha-" er stoppte und räusperte sich leise: „Beruhige dich Bella. Das kriegen wir gemeinsam hin."
Ich konnte es kaum fassen. Kurz nachdem Theos Kopf den Oberkörper seines Vaters berührte, wurde aus seinem Brüllen ein relativ leises Schluchzen. Ein Winseln, dass sich beinahe und mit viel Einbildung so anhörte, wie ganz normale Stille. Marcos Hand streichelte behutsam den Kopf unseres Sohnes. Er sah sich um und ging hinüber zur offenen Küche: „Ich habe meine Mutter angerufen auf dem Weg hier hin. Wir müssen versuchen, das Fieber zu senken." Ich sah ihm dabei zu, wie er lauwarmes Wasser über einen Waschlappen laufen ließ und ihn auswrang. Fest verschränkte ich meine Arme unter meiner Brust und fühlte mich unglaublich hilflos und ausgelaugt als ich einfach so neben Marco stand und ihm nicht unterstützen konnte. Mein Kopf fühlte sich leer an, wie Watte. Die Selbstzweifel fraßen mich mal wieder auf. Andererseits war ich unglaublich begeistert von Marco. Er ging mit unserem Sohn zurück zum Sofa, legte ihm ab und legte den Waschlappen vorsichtig auf Theos Stirn. Der Kleine wurde immer ruhiger und zugänglicher. Es war so, als würde sich Marcos Ruhe und Gelassenheit auf ihn übertragen. So langsam begangen sich meine angespannten Muskeln wieder zu lösen. Ich hörte auf, mich im Türrahmen anzulehnen und setzte mich zu Marco aufs Sofa. Er streichelte Theos Bauch und konnte seinen Blick kaum von ihm abwenden. Ganz langsam schien unser kranker Drops einzuschlafen.
Erschöpft ließ ich mich in die Kissen sinken. Diese Ruhe. Gerade, als ich mir mit den Händen über das Gesicht fuhr und einen lauten Seufzer kaum noch unterdrücken konnte, hatte Marco den Kleinen im Reisebett, dass er schnell im Wohnzimmer aufgebaut hatte, schlafen gelegt und ließ sich wieder neben mir fallen: „Brauchst du etwas? Essen? Trinken?" fragte er mich fürsorglich. Ich schüttelte ganz langsam meinen Kopf. Es ging nicht schneller. Mensch, wieso begann der plötzlich so zu pochen? Stirnrunzelnd legte er seine Hand gegen meine Stirn: „Bella, du bist genauso warm." bemerkte Marco trocken. Ich riss meine Augen auf: „Nein, mir geht es blendend." versuchte ich es und rappelte mich auf, damit ich mich gerade hinsetzen konnte. Langsam drückte er mich wieder in die Kissen und machte platz, um meine Beine hochzulegen: „Du bleibst schön liegen. Ich hole das Fieberthermometer." und schon verschwand er. Ein wenig perplex lag ich da und musste mir eingestehen, dass es sich gut anfühlte, nicht immer die starke, unabhängige Frau sein zu müssen. Obwohl ich eigentlich nur für eine Sekunde die Augen schließen wollte, hatte ich als ich sie wieder öffnete eine Sofadecke über dem Körper liegen und hörte ein lautes Piepen an meinem Ohr. „Du hast fast neununddreißig Grad. Ihr habt euch mit Sicherheit gemeinsam irgendwo angesteckt." Ich griff, obwohl es Hochsommer war, nach der warmen Decke und kuschelte mich darin ein. Marco saß an der Kante des Sofapolsters und strich mir vorsichtig ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Besorgt schaute ich ihn an: „Du musst schnell fahren! Nicht, dass du dich auch ansteckst." schreckte ich auf. „Na und? Ich werde einen Teufel tun und dich in deinem Zustand alleine lassen. Ihr zwei braucht jemanden, der euch jetzt verwöhnt und gesund pflegt." Erleichtert atmete ich auf. Ich hätte nicht gewusst, wie ich es hätte schaffen sollte, wäre er jetzt gegangen. Das Thermometer piepte kurz darauf ein zweites Mal: „Theos Fieber sinkt jedenfalls schon. Vielleicht sollte ich dir auch Wadenwickel machen." er zwinkerte mir zu und setzte sich wieder neben mich. „Bloß nicht" lachte ich erschöpft auf und schaute zu ihm hoch: „ich warne dich!", Marco schüttelte lächelnd den Kopf, bevor er wieder zur Küche hastete.
Wenig später kam er mit einer Tasse Tee wieder: „Der Tee von unserem Zwerg kühlt schon in seinem Becher ab. Ihr müsst viel trinken." Ich nickte dankbar, bevor ich an der heißen Flüssigkeit nippte. „Marco" wisperte ich leise. Er schaute mich fragend an: „Ich wollte dir nur sagen - ich bin dankbar dafür, dass du hier bist. Ohne dich würde er jetzt immer noch schreien und womöglich wäre sein Fieber noch weiter gestiegen. Ich war total überfordert.", „Ihr seid meine Familie. Ich weiß, dass ich es nicht immer war, aber ich möchte für euch da sein. Zumindest ab jetzt immer, wenn ihr mich braucht." er lächelte mich unsicher, aber ehrlich zugleich an.
„Sag mal..." begann ich wieder leise. Amüsiert schmunzelnd wandte er sich wieder von seinem Smartphone ab und schmiss es ans Fußende des Sofas: „Darf ich...?" ich schaute fragend zu ihm hoch. Mein Blick wanderte zu seinem Oberkörper. Marco nickte etwas überfordert, lehnte sich zurück in die großen Sofakissen und öffnete seine Arme. Mein Herz überschlug sich fast als ich mich ächzend aufraffte, um mich in seine Arme legen zu können. Ich schmiegte mich an seinen Brustkorb und konnte mich ganz langsam entspannen.
Schon lange hatte ich mich nicht mehr so umsorgt gefühlt. Es tat gut zu wissen, dass ich mich wieder auf Marco verlassen konnte.

Optimisten - Marco ReusNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ