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Als ich am nächsten Tag das Haus verließ und mir meine Trainingstasche über die Schulter warf, bekam ich Bauchschmerzen vor lauter Aufregung. Heute war Edins und mein erster Tag als Trainerteam für die Profimannschaft des BVBs, eine knappe Woche nachdem es bekanntgemacht wurde. Ich war zwar nur die Co-Trainerin, aber mein jahrelanger Kollege pochte darauf, dass wir gleichberechtigte Partner waren. Natürlich freute ich mich schon unfassbar auf die spannende, neue Zeit und dennoch schwirrte mir momentan so unendlich viel im Kopf herum, dass diese Freude überschattet wurde.
Meine Mutter hatte sich extra eine Woche freu genommen, um Theo zu betreuen, nachdem die Kitas ein Reinfall waren. Vielleicht sollte ich Ann-Kathrin mal um Rat bitten, aber sie verweilte momentan auf Mallorca, so wie ich es auf Social Media mitbekommen hatte. Früher hatten wir uns entweder täglich gesehen oder wenigstens ein Mal am Tag miteinander telefoniert. Ich vermisste sie ungemein als meine Freundin und wurde fast bekloppt, so viel schwirrte nach gestern in meinem Kopf herum.
Wie in einem Tunnel gefangen stieg ich aus dem Auto aus und knallte die Tür hinter mir zu. In dem Augenblick als mein Ohr das Geräusch verarbeitete, fiel mir ein, dass ich mich unbedingt noch um ein neues Auto kümmern musste, nachdem meins ein wirtschaftlicher Totalschaden war. Das hatte ich wochenlang vor mich her geschoben. Gerade tat es Mats' Zweitwagen aber auch, ich fragte mich eh, wofür er zwei Autos hatte. Apropos Mats - nach den ersten drei Schritte in Richtung Gebäude lief mein Cousin mir über den Weg und legte in einem flüssigen Übergang seinen Arm um meine Schultern, während wir gleichzeitig durch die Tür schlüpften: „Lange nicht mehr gesehen mein Herzblatt. Bist du untergetaucht?" scherzte er mit wackelnden Augenbrauen. Ich schüttelte amüsiert den Kopf: „Vielleicht ein wenig. Jetzt bin ich aber wieder hier und scheuche dich gleich über den Platz." grinste ich. Ein Knoten bildete sich in meinem Magen, als wir an dem Trainingsraum vorbeigingen, in dem Marco mich mit Louisa betrogen hatte. Es würde lange dauern, bis ich einfach so diesen Raum kreuzen oder gar betreten könnte, ohne dieses unbehagliche Gefühl. Egal, das musste ich abschütteln. Mats winkte mir zu als er in Richtung Kabinen verschwand und rief mir ein amüsiertes: „Nach dem Training lade ich dich ein, nehme dir nichts vor!" zu. Ich nickte lächelnd, doch als er außer Sichtweite war verschwand es sofort wieder. Mir war nicht nach Lächeln zumute. Seit Wochen nicht mehr, aber das musste ich überspielen. Hier in Brackel musste die Professionalität endlich wieder einkehren. Ich war froh, dass alle Beteiligten bis jetzt Stillschweigen bewahrt haben und das Thema nicht die Chefetage erreichte. Kaum auszudenken die Scheidung würde durchsickern. Als ich nach meinem Tablet kramte, legten sich plötzlich zwei große Hände auf meine Schultern. Ich erschrak kurz, bevor ich mich wieder entspannte. Lächelnd drehte ich mich um und schaute in Marios hellbraune Augen und erstarrte für einen Augenblick. Das Sonnenlicht traf sie perfekt, sodass sie förmlich funkelten. „Hey" wisperte er: „Brauchst du etwas? Ein paar gute Worte? Einen Snack? Eine Umarmung?" wollte er unauffällig wissen. Ich ließ mein Blick kurz über den Platz schweifen. Es war noch niemand außer er da. Ich zögerte kurz und kaute auf meiner Unterlippe herum. „Warte, ich habe in meinem Rucksack noch einen Riegel-" fing er schon an. Ich schüttelte meinen Kopf und legte meine Hand auf seinen Oberarm: „Nein Mario. Danke. Ich - ich..." begann ich zu stammeln. Mario verstand, schloss den letzten Meter zwischen uns und ließ meinen Oberkörper sanft gegen seine trainierte Brust gleiten. Ich atmete erleichtert aus. „Du schaffst das, hörst du? Du bist Top und Edin genauso. Wir glauben an euch und wissen, dass wir die Saison mit euch noch drehen können." ich hörte das er sanft lächelte anhand seiner Stimme und entspannte mich etwas mehr. Als er sich von mir löste verweilten seine Hände auf meinen Oberarmen und drückten sie ein Mal fest. „Marco und ich haben gestern miteinander gesprochen." murmelte ich leise. Mario schien sichtlich überrascht zu sein. „Er will es mit uns unbedingt nochmal versuchen.", „Und was hast du darauf geantwortet?" rutschte es ihm ungeduldig heraus. Ich musterte ihn rätselnd: „Ich, ich - äh - habe gesagt, dass ich es mir überlege." Mario ließ für einen kurzen Augenblick seine Schultern durchhängen, bevor er sich binnen weniger Augenblicke wieder gerade aufrichtete: „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll." murmelte er leise. Ich seufzte. Warum schaute er mich bloß plötzlich so enttäuscht an? Ich schluckte laut und schaute entschuldigend zu ihm hoch. Mario räusperte sich: „Weißt du was Bella? Du musst auf dein Herz hören. Ich kann dir da nicht hinein reden, das sollte ich einfach nicht tun." gab er zu. Ich nickte langsam: „Du hast recht" stimmte ich ihm zu: „Ich hätte meinen Mund halten sollen." ich wandte meinen Blick von ihm ab und griff endlich nach meinem Tablet, um Edins und meine Pläne noch einmal durchzugehen.
Konzentrieren konnte ich mich aber nicht mehr. Wahrscheinlich reagierte Mario so, weil ich ih. Daran erinnerte, dass es zwischen Ann und ihm endgültig aus war. Sie hat immerhin schon ihren neuen, diesen Spanier Enriquo, der sogar ein Laufstegmodel für Versace war. Jedenfalls hatte mir das Google ausgespuckt. Ich konnte Ann jedoch nicht verstehen. Mario war ein unglaublicher Mann und Vater, wie konnte sie ihn gehen lassen? War ich vielleicht zu eingefahren auf die erste Liebe und naiv, dass ich innerlich erwartete, dass so eine enge Bindung ewig hielt? Das musste es sein. Und total unsensibel war ich noch obendrauf - vielleicht sollte ich aufhören, ihn mit meinen Problemen noch zusätzlich zu belasten. Das würde er mir auch nicht antun.
Nach dem Training genehmigte ich mir eine schnelle Dusche, warf mich in gemütliche Klamotten und warf wenige Minuten später meine Tasche ins Auto. Dann ließ ich mich seitlich bei offener Tür auf den Fahrersitz fallen und schlüpfte sofort wieder aus meinen Schuhen hinaus, um mir die Füße zu reiben. An diese Anstrengung musste ich mic erst einmal wieder gewöhnen. Erschrocken blickte ich hoch als ich Schuhe vor mir entdeckte und schaute wieder in Marios Augen. Er ging in die Hocke, um mit mir auf einer Augenhöhe zu sein und grinste als er bemerkte, was ich da gerade veranstaltete. Ich grinste ebenso. „Das Training war Spitze." zwinkerte er mir zu. Ich lächelte: „Danke" kam es mir krächzend über die Lippen. Mario lachte leise und legte stützend seine Hand auf meinem Knie ab: „Du hast das gut und professionell hinbekommen. Auch Marco gegenüber." sagte er ehrlich. Erleichtert schaute ich ihn an: „Sicher?" wollte ich wissen. Er nickte: „Versprochen!" nickte er. In mir kribbelte es so komisch, seitdem seine Hand mein Knie berührte. Ich wurde ganz unruhig. „Es tut mir übrigens leid, dass ich dich eben zu getextet habe mit meinen Problemen." entschuldigte ich mich ehrlich. Er winkte ab: „Bitte nicht. Dir muss gar nichts leid tun." er zog mich hoch: „Los, wir gehen einmal um das Gelände spazieren und du erzählst mir alles" er griff nach meiner Hand und zog mich hoch. Wie verblödet begann ich zu lachen, als ich auf beiden Beinen stand. „Diesmal gebe ich dir sogar helfende Ratschläge, versprochen." murmelte er peinlich berührt. Ich lachte leise.
Dieses Hin und Her meiner verletzten Gefühle, so langsam ging es mir besser und doch schwirrten meine Gedanken wild umher. Ich war unglaublich ausgelaugt.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now